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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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"Ich habe, wie ich sagte, die Zeit nicht gezählt,"
entgegnete sie, "ich bin von hier zu dem Kreuze ge¬
gangen, und bin von dem Kreuze wieder hieher zu¬
rück gekehrt."

Während dieser Worte war ich aus der ungefü¬
gen Stellung im Grase hinter dem Bänklein auf den
freien Raum herüber getreten, der sich vor dem Baume
ausbreitet, Natalie hatte eine leichte Bewegung ge¬
macht, und sich wieder auf das Bänkchen gesezt.

"Nach einem solchen Gange bedürft ihr freilich
der Ruhe," sprach ich.

"Es ist auch nicht gerade deßwillen," antwortete
sie, "weßhalb ich diese Bank suchte. So ermüdet ich
bin, so könnte ich wohl noch recht gut den Weg durch
die Felder und den Garten nach Hause, ja noch einen
viel weiteren machen; aber es gesellte sich zu dem kör¬
perlichen Wunsche noch ein anderer."

"Nun?"

"Auf diesem Plaze ist es schön, das Auge kann
sich ergehen, ich bin bei meinen Gedanken, ich brauche
diese Gedanken nicht zu unterbrechen, was ich doch
thun muß, wenn ich zu den Meinigen zurück kehre."

"Und darum ruhet ihr hier?"

"Darum ruhe ich hier."

„Ich habe, wie ich ſagte, die Zeit nicht gezählt,“
entgegnete ſie, „ich bin von hier zu dem Kreuze ge¬
gangen, und bin von dem Kreuze wieder hieher zu¬
rück gekehrt.“

Während dieſer Worte war ich aus der ungefü¬
gen Stellung im Graſe hinter dem Bänklein auf den
freien Raum herüber getreten, der ſich vor dem Baume
ausbreitet, Natalie hatte eine leichte Bewegung ge¬
macht, und ſich wieder auf das Bänkchen geſezt.

„Nach einem ſolchen Gange bedürft ihr freilich
der Ruhe,“ ſprach ich.

„Es iſt auch nicht gerade deßwillen,“ antwortete
ſie, „weßhalb ich dieſe Bank ſuchte. So ermüdet ich
bin, ſo könnte ich wohl noch recht gut den Weg durch
die Felder und den Garten nach Hauſe, ja noch einen
viel weiteren machen; aber es geſellte ſich zu dem kör¬
perlichen Wunſche noch ein anderer.“

„Nun?“

„Auf dieſem Plaze iſt es ſchön, das Auge kann
ſich ergehen, ich bin bei meinen Gedanken, ich brauche
dieſe Gedanken nicht zu unterbrechen, was ich doch
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„Und darum ruhet ihr hier?“

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[313/0327] „Ich habe, wie ich ſagte, die Zeit nicht gezählt,“ entgegnete ſie, „ich bin von hier zu dem Kreuze ge¬ gangen, und bin von dem Kreuze wieder hieher zu¬ rück gekehrt.“ Während dieſer Worte war ich aus der ungefü¬ gen Stellung im Graſe hinter dem Bänklein auf den freien Raum herüber getreten, der ſich vor dem Baume ausbreitet, Natalie hatte eine leichte Bewegung ge¬ macht, und ſich wieder auf das Bänkchen geſezt. „Nach einem ſolchen Gange bedürft ihr freilich der Ruhe,“ ſprach ich. „Es iſt auch nicht gerade deßwillen,“ antwortete ſie, „weßhalb ich dieſe Bank ſuchte. So ermüdet ich bin, ſo könnte ich wohl noch recht gut den Weg durch die Felder und den Garten nach Hauſe, ja noch einen viel weiteren machen; aber es geſellte ſich zu dem kör¬ perlichen Wunſche noch ein anderer.“ „Nun?“ „Auf dieſem Plaze iſt es ſchön, das Auge kann ſich ergehen, ich bin bei meinen Gedanken, ich brauche dieſe Gedanken nicht zu unterbrechen, was ich doch thun muß, wenn ich zu den Meinigen zurück kehre.“ „Und darum ruhet ihr hier?“ „Darum ruhe ich hier.“

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/327>, abgerufen am 20.05.2024.