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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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sten die der Köpfe zu. An den landschaftlichen Versu¬
chen mochte ihr die Einseitigkeit aufgefallen sein, da
sie gewiß eine Kennerin landschaftlicher Bildungen
war, weil sie sehr gerne im Sommer einige Wochen
an irgend einer der schönsten Stellen unseres Landes
verweilte. Sie äußerte sich aber in dieser Richtung
nicht. Von den Köpfen sagte sie, daß man auf diese
Weise eine ganze Sammlung merkwürdiger Menschen
anlegen könnte. Ich erwiederte, darauf sei ich nicht
ausgegangen, ich könnte auch nicht so leicht beurthei¬
len, wer ein merkwürdiger Mensch sei. Es habe mir
nur, da ich lange Zeit Gegenstände der Natur gezeich¬
net hatte, eingeleuchtet, daß das menschliche Antliz
der würdigste Gegenstand für Zeichnungen sei, und
da habe ich die Versuche begonnen, es in solchen aus¬
zudrücken. Ich habe Anfangs dabei unwissend fast
immer die Richtung von Naturzeichnungen verfolgt,
bis sich mir etwas Höheres zeigte, dessen Darstellung
darüber hinausgeht, das uns erst die Züge und Mie¬
nen recht menschlich macht, und dessen Vergegenwär¬
tigung ich nun anstrebe, in Ungewißheit, ob es ge¬
lingen werde oder nicht.

Sie fragte auch nach denjenigen von meinen wissen¬
schaftlichen Bestrebungen, die ich im Zusammenhange

ſten die der Köpfe zu. An den landſchaftlichen Verſu¬
chen mochte ihr die Einſeitigkeit aufgefallen ſein, da
ſie gewiß eine Kennerin landſchaftlicher Bildungen
war, weil ſie ſehr gerne im Sommer einige Wochen
an irgend einer der ſchönſten Stellen unſeres Landes
verweilte. Sie äußerte ſich aber in dieſer Richtung
nicht. Von den Köpfen ſagte ſie, daß man auf dieſe
Weiſe eine ganze Sammlung merkwürdiger Menſchen
anlegen könnte. Ich erwiederte, darauf ſei ich nicht
ausgegangen, ich könnte auch nicht ſo leicht beurthei¬
len, wer ein merkwürdiger Menſch ſei. Es habe mir
nur, da ich lange Zeit Gegenſtände der Natur gezeich¬
net hatte, eingeleuchtet, daß das menſchliche Antliz
der würdigſte Gegenſtand für Zeichnungen ſei, und
da habe ich die Verſuche begonnen, es in ſolchen aus¬
zudrücken. Ich habe Anfangs dabei unwiſſend faſt
immer die Richtung von Naturzeichnungen verfolgt,
bis ſich mir etwas Höheres zeigte, deſſen Darſtellung
darüber hinausgeht, das uns erſt die Züge und Mie¬
nen recht menſchlich macht, und deſſen Vergegenwär¬
tigung ich nun anſtrebe, in Ungewißheit, ob es ge¬
lingen werde oder nicht.

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[267/0281] ſten die der Köpfe zu. An den landſchaftlichen Verſu¬ chen mochte ihr die Einſeitigkeit aufgefallen ſein, da ſie gewiß eine Kennerin landſchaftlicher Bildungen war, weil ſie ſehr gerne im Sommer einige Wochen an irgend einer der ſchönſten Stellen unſeres Landes verweilte. Sie äußerte ſich aber in dieſer Richtung nicht. Von den Köpfen ſagte ſie, daß man auf dieſe Weiſe eine ganze Sammlung merkwürdiger Menſchen anlegen könnte. Ich erwiederte, darauf ſei ich nicht ausgegangen, ich könnte auch nicht ſo leicht beurthei¬ len, wer ein merkwürdiger Menſch ſei. Es habe mir nur, da ich lange Zeit Gegenſtände der Natur gezeich¬ net hatte, eingeleuchtet, daß das menſchliche Antliz der würdigſte Gegenſtand für Zeichnungen ſei, und da habe ich die Verſuche begonnen, es in ſolchen aus¬ zudrücken. Ich habe Anfangs dabei unwiſſend faſt immer die Richtung von Naturzeichnungen verfolgt, bis ſich mir etwas Höheres zeigte, deſſen Darſtellung darüber hinausgeht, das uns erſt die Züge und Mie¬ nen recht menſchlich macht, und deſſen Vergegenwär¬ tigung ich nun anſtrebe, in Ungewißheit, ob es ge¬ lingen werde oder nicht. Sie fragte auch nach denjenigen von meinen wiſſen¬ ſchaftlichen Beſtrebungen, die ich im Zuſammenhange

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/281>, abgerufen am 19.05.2024.