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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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schönere wird es kaum geben -- so zeigte sich hier
eine Zusammenstimmung, als müßten die, welche
diese Dinge ursprünglich hatten herrichten lassen, in
ihren einstigen Trachten bei den Thüren hereingehen.
Es ergrif einen ein Gefühl eines Bedeutungsvollen.

"Die Marmore," sagte mein Gastfreund, "sind
aller Orten erworben, geschliffen, geglättet, und nach
einer alterthümlichen Zeichnung vieler Kirchenfenster
eingesezt worden."

"Aber daß ihr die Geräthe so zusammen gefunden
habt, daß sie wie ein Einziges stimmen, ist zu ver¬
wundern," sagte ich.

"Also empfindet ihr, daß sie stimmen?" erwiederte
er. "Seht, das ist mir lieb, daß ihr das sagt. Ihr
seid ein Beobachter, der nicht von der Sucht nach
Altem befangen ist, wie uns unsere Gegner vorwer¬
fen. Ihr empfangt also das Gefühl von den Gegen¬
ständen, und tragt es nicht in dieselben hinein, wie
auch unsere Gegner von uns sagen. Die Sache aber
ist nur so: als man die Nichtigkeit und Leere der lezt¬
vergangenen Zeiten erkannte, und wieder auf das
Alte zurück wies, und es nicht mehr als Plunder und
Trödel ansah, sondern Schönes darin suchte: da ge¬
schahen freilich thörichte Dinge. Man sammelte wie¬

Stifter, Nachsommer. I. 30

ſchönere wird es kaum geben — ſo zeigte ſich hier
eine Zuſammenſtimmung, als müßten die, welche
dieſe Dinge urſprünglich hatten herrichten laſſen, in
ihren einſtigen Trachten bei den Thüren hereingehen.
Es ergrif einen ein Gefühl eines Bedeutungsvollen.

„Die Marmore,“ ſagte mein Gaſtfreund, „ſind
aller Orten erworben, geſchliffen, geglättet, und nach
einer alterthümlichen Zeichnung vieler Kirchenfenſter
eingeſezt worden.“

„Aber daß ihr die Geräthe ſo zuſammen gefunden
habt, daß ſie wie ein Einziges ſtimmen, iſt zu ver¬
wundern,“ ſagte ich.

„Alſo empfindet ihr, daß ſie ſtimmen?“ erwiederte
er. „Seht, das iſt mir lieb, daß ihr das ſagt. Ihr
ſeid ein Beobachter, der nicht von der Sucht nach
Altem befangen iſt, wie uns unſere Gegner vorwer¬
fen. Ihr empfangt alſo das Gefühl von den Gegen¬
ſtänden, und tragt es nicht in dieſelben hinein, wie
auch unſere Gegner von uns ſagen. Die Sache aber
iſt nur ſo: als man die Nichtigkeit und Leere der lezt¬
vergangenen Zeiten erkannte, und wieder auf das
Alte zurück wies, und es nicht mehr als Plunder und
Trödel anſah, ſondern Schönes darin ſuchte: da ge¬
ſchahen freilich thörichte Dinge. Man ſammelte wie¬

Stifter, Nachſommer. I. 30
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[465/0479] ſchönere wird es kaum geben — ſo zeigte ſich hier eine Zuſammenſtimmung, als müßten die, welche dieſe Dinge urſprünglich hatten herrichten laſſen, in ihren einſtigen Trachten bei den Thüren hereingehen. Es ergrif einen ein Gefühl eines Bedeutungsvollen. „Die Marmore,“ ſagte mein Gaſtfreund, „ſind aller Orten erworben, geſchliffen, geglättet, und nach einer alterthümlichen Zeichnung vieler Kirchenfenſter eingeſezt worden.“ „Aber daß ihr die Geräthe ſo zuſammen gefunden habt, daß ſie wie ein Einziges ſtimmen, iſt zu ver¬ wundern,“ ſagte ich. „Alſo empfindet ihr, daß ſie ſtimmen?“ erwiederte er. „Seht, das iſt mir lieb, daß ihr das ſagt. Ihr ſeid ein Beobachter, der nicht von der Sucht nach Altem befangen iſt, wie uns unſere Gegner vorwer¬ fen. Ihr empfangt alſo das Gefühl von den Gegen¬ ſtänden, und tragt es nicht in dieſelben hinein, wie auch unſere Gegner von uns ſagen. Die Sache aber iſt nur ſo: als man die Nichtigkeit und Leere der lezt¬ vergangenen Zeiten erkannte, und wieder auf das Alte zurück wies, und es nicht mehr als Plunder und Trödel anſah, ſondern Schönes darin ſuchte: da ge¬ ſchahen freilich thörichte Dinge. Man ſammelte wie¬ Stifter, Nachſommer. I. 30

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/479>, abgerufen am 22.11.2024.