Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

sie in der Welt zu dem sogenannten vorzüglicheren
Umgang gehöre. Der Vater schien ein kenntnißvoller
Mann zu sein, der mit dem Benehmen der feineren
Stände der Stadt die Einfachheit der Erfahrung und
die Güte eines Landwirthes verband, auf den die
Natur einen sanften Einfluß übte. Ich hörte seiner
Rede gerne zu. Mathilde erschien bedeutend älter als
die Mutter der zwei Mädchen, sie schien einstens wie
Natalie gewesen zu sein, war aber jezt ein Bild der
Ruhe und, ich möchte sagen, der Vergebung. Ich
weiß nicht, warum mir in den Tagen dieser Ausdruck
schon mehrere Male einfiel. Sie sprach von den Ge¬
genständen, welche von den Besuchenden vorgebracht
wurden, brachte aber nie ihre eigenen Gegenstände
zum Gespräche. Sie sprach mit Einfachheit, ohne
von den Gegenständen beherrscht zu werden, und
ohne die Gegenstände ausschließlich beherrschen zu
wollen. Mein Gastfreund ging in die Ansichten sei¬
nes Gutsnachbars ein, und redete in der ihm eigen¬
thümlichen klaren Weise, wobei er aber auch die Höf¬
lichkeit beging, den Gast die Gegenstände des Ge¬
spräches wählen zu lassen.

So saßen diese zwei Abtheilungen von Menschen

ſie in der Welt zu dem ſogenannten vorzüglicheren
Umgang gehöre. Der Vater ſchien ein kenntnißvoller
Mann zu ſein, der mit dem Benehmen der feineren
Stände der Stadt die Einfachheit der Erfahrung und
die Güte eines Landwirthes verband, auf den die
Natur einen ſanften Einfluß übte. Ich hörte ſeiner
Rede gerne zu. Mathilde erſchien bedeutend älter als
die Mutter der zwei Mädchen, ſie ſchien einſtens wie
Natalie geweſen zu ſein, war aber jezt ein Bild der
Ruhe und, ich möchte ſagen, der Vergebung. Ich
weiß nicht, warum mir in den Tagen dieſer Ausdruck
ſchon mehrere Male einfiel. Sie ſprach von den Ge¬
genſtänden, welche von den Beſuchenden vorgebracht
wurden, brachte aber nie ihre eigenen Gegenſtände
zum Geſpräche. Sie ſprach mit Einfachheit, ohne
von den Gegenſtänden beherrſcht zu werden, und
ohne die Gegenſtände ausſchließlich beherrſchen zu
wollen. Mein Gaſtfreund ging in die Anſichten ſei¬
nes Gutsnachbars ein, und redete in der ihm eigen¬
thümlichen klaren Weiſe, wobei er aber auch die Höf¬
lichkeit beging, den Gaſt die Gegenſtände des Ge¬
ſpräches wählen zu laſſen.

So ſaßen dieſe zwei Abtheilungen von Menſchen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0423" n="409"/>
&#x017F;ie in der Welt zu dem &#x017F;ogenannten vorzüglicheren<lb/>
Umgang gehöre. Der Vater &#x017F;chien ein kenntnißvoller<lb/>
Mann zu &#x017F;ein, der mit dem Benehmen der feineren<lb/>
Stände der Stadt die Einfachheit der Erfahrung und<lb/>
die Güte eines Landwirthes verband, auf den die<lb/>
Natur einen &#x017F;anften Einfluß übte. Ich hörte &#x017F;einer<lb/>
Rede gerne zu. Mathilde er&#x017F;chien bedeutend älter als<lb/>
die Mutter der zwei Mädchen, &#x017F;ie &#x017F;chien ein&#x017F;tens wie<lb/>
Natalie gewe&#x017F;en zu &#x017F;ein, war aber jezt ein Bild der<lb/>
Ruhe und, ich möchte &#x017F;agen, der Vergebung. Ich<lb/>
weiß nicht, warum mir in den Tagen die&#x017F;er Ausdruck<lb/>
&#x017F;chon mehrere Male einfiel. Sie &#x017F;prach von den Ge¬<lb/>
gen&#x017F;tänden, welche von den Be&#x017F;uchenden vorgebracht<lb/>
wurden, brachte aber nie ihre eigenen Gegen&#x017F;tände<lb/>
zum Ge&#x017F;präche. Sie &#x017F;prach mit Einfachheit, ohne<lb/>
von den Gegen&#x017F;tänden beherr&#x017F;cht zu werden, und<lb/>
ohne die Gegen&#x017F;tände aus&#x017F;chließlich beherr&#x017F;chen zu<lb/>
wollen. Mein Ga&#x017F;tfreund ging in die An&#x017F;ichten &#x017F;ei¬<lb/>
nes Gutsnachbars ein, und redete in der ihm eigen¬<lb/>
thümlichen klaren Wei&#x017F;e, wobei er aber auch die Höf¬<lb/>
lichkeit beging, den Ga&#x017F;t die Gegen&#x017F;tände des Ge¬<lb/>
&#x017F;präches wählen zu la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>So &#x017F;aßen die&#x017F;e zwei Abtheilungen von Men&#x017F;chen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[409/0423] ſie in der Welt zu dem ſogenannten vorzüglicheren Umgang gehöre. Der Vater ſchien ein kenntnißvoller Mann zu ſein, der mit dem Benehmen der feineren Stände der Stadt die Einfachheit der Erfahrung und die Güte eines Landwirthes verband, auf den die Natur einen ſanften Einfluß übte. Ich hörte ſeiner Rede gerne zu. Mathilde erſchien bedeutend älter als die Mutter der zwei Mädchen, ſie ſchien einſtens wie Natalie geweſen zu ſein, war aber jezt ein Bild der Ruhe und, ich möchte ſagen, der Vergebung. Ich weiß nicht, warum mir in den Tagen dieſer Ausdruck ſchon mehrere Male einfiel. Sie ſprach von den Ge¬ genſtänden, welche von den Beſuchenden vorgebracht wurden, brachte aber nie ihre eigenen Gegenſtände zum Geſpräche. Sie ſprach mit Einfachheit, ohne von den Gegenſtänden beherrſcht zu werden, und ohne die Gegenſtände ausſchließlich beherrſchen zu wollen. Mein Gaſtfreund ging in die Anſichten ſei¬ nes Gutsnachbars ein, und redete in der ihm eigen¬ thümlichen klaren Weiſe, wobei er aber auch die Höf¬ lichkeit beging, den Gaſt die Gegenſtände des Ge¬ ſpräches wählen zu laſſen. So ſaßen dieſe zwei Abtheilungen von Menſchen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/423
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/423>, abgerufen am 22.07.2024.