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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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auch. Natalie -- ich weiß nicht, war ihre Schönheit
unendlich größer, oder war es ein anderes Wesen in
ihr, welches wirkte -- ich hatte aber dieses Wesen
noch in einem geringen Maße zu ergründen ver¬
mocht, da sie sehr wenig zu mir gesprochen hatte, ich
hatte ihren Gang und ihre Bewegungen nicht beur¬
theilen können, da ich mir nicht den Muth nahm, sie
zu beobachten, wie man eine Zeichnung beobachtet --
aber sie war neben diesen zwei Mädchen weit höher,
wahr klar und schön, daß jeder Vergleich aufhörte.
Wenn es wahr ist, daß Mädchen bezaubernd wirken
können, so konnten die zwei Schwestern bezaubern;
aber um Natalie war etwas wie ein tiefes Glück ver¬
breitet.

Mathilde und mein Gastfreund schienen diese Fa¬
milie sehr zu lieben und zu achten, das zeigte das Be¬
nehmen gegen sie.

Die Mutter der zwei Mädchen schien ungefähr
vierzig Jahre alt zu sein. Sie hatte noch alle Frische
und Gesundheit einer schönen Frau, deren Gestalt
nur etwas zu voll war, als daß sie zu einem Gegen¬
stande der Zeichnung hätte dienen können, wie man
wenigstens in Zeichnungen gerne schöne Frauen vor¬
stellt. Ihr Gespräch und ihr Benehmen zeigte, daß

auch. Natalie — ich weiß nicht, war ihre Schönheit
unendlich größer, oder war es ein anderes Weſen in
ihr, welches wirkte — ich hatte aber dieſes Weſen
noch in einem geringen Maße zu ergründen ver¬
mocht, da ſie ſehr wenig zu mir geſprochen hatte, ich
hatte ihren Gang und ihre Bewegungen nicht beur¬
theilen können, da ich mir nicht den Muth nahm, ſie
zu beobachten, wie man eine Zeichnung beobachtet —
aber ſie war neben dieſen zwei Mädchen weit höher,
wahr klar und ſchön, daß jeder Vergleich aufhörte.
Wenn es wahr iſt, daß Mädchen bezaubernd wirken
können, ſo konnten die zwei Schweſtern bezaubern;
aber um Natalie war etwas wie ein tiefes Glück ver¬
breitet.

Mathilde und mein Gaſtfreund ſchienen dieſe Fa¬
milie ſehr zu lieben und zu achten, das zeigte das Be¬
nehmen gegen ſie.

Die Mutter der zwei Mädchen ſchien ungefähr
vierzig Jahre alt zu ſein. Sie hatte noch alle Friſche
und Geſundheit einer ſchönen Frau, deren Geſtalt
nur etwas zu voll war, als daß ſie zu einem Gegen¬
ſtande der Zeichnung hätte dienen können, wie man
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[408/0422] auch. Natalie — ich weiß nicht, war ihre Schönheit unendlich größer, oder war es ein anderes Weſen in ihr, welches wirkte — ich hatte aber dieſes Weſen noch in einem geringen Maße zu ergründen ver¬ mocht, da ſie ſehr wenig zu mir geſprochen hatte, ich hatte ihren Gang und ihre Bewegungen nicht beur¬ theilen können, da ich mir nicht den Muth nahm, ſie zu beobachten, wie man eine Zeichnung beobachtet — aber ſie war neben dieſen zwei Mädchen weit höher, wahr klar und ſchön, daß jeder Vergleich aufhörte. Wenn es wahr iſt, daß Mädchen bezaubernd wirken können, ſo konnten die zwei Schweſtern bezaubern; aber um Natalie war etwas wie ein tiefes Glück ver¬ breitet. Mathilde und mein Gaſtfreund ſchienen dieſe Fa¬ milie ſehr zu lieben und zu achten, das zeigte das Be¬ nehmen gegen ſie. Die Mutter der zwei Mädchen ſchien ungefähr vierzig Jahre alt zu ſein. Sie hatte noch alle Friſche und Geſundheit einer ſchönen Frau, deren Geſtalt nur etwas zu voll war, als daß ſie zu einem Gegen¬ ſtande der Zeichnung hätte dienen können, wie man wenigſtens in Zeichnungen gerne ſchöne Frauen vor¬ ſtellt. Ihr Geſpräch und ihr Benehmen zeigte, daß

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/422>, abgerufen am 22.07.2024.