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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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soll, und zu deren Gewinnung er meinen Beistand
angerufen habe.

"Erstens ist sie keine Gräfin," antwortete er mir,
"ich weiß nicht genau ihren Stand, ihr Vater ist todt,
und sie lebt in der Gesellschaft einer reichen Mutter;
aber das weiß ich, daß sie nicht von Adel ist, was
mir sehr zusagt, da ich es auch nicht bin -- und zwei¬
tens ist sie und ihre Mutter in diesem Winter nicht
in die Stadt gekommen. Das ist die Ursache, daß ich
sie dir nicht zeigen konnte, und daß du Gelegenheit
fandest, einen Spott gegen mich zu richten. Du mußt
sie aber vorerst sehen. Alle, denen heuer Schönheiten
gesagt worden sind, alle, die man gerühmt hat, alle,
die geblendet haben, sind nichts, ja sie sind noch we¬
niger als nichts gegen sie."

Ich antwortete ihm, daß ich nicht spotten, sondern
die Sache einfach habe sagen wollen.

Wie sich der Frühling immer mehr näherte, rüstete
ich mich zu meiner Reise. Ich wollte heuer früher
reisen, weil ich mir vorgenommen hatte, ehe ich in die
Berge ginge, einen Besuch in dem Rosenhause zu ma¬
chen. Mit jedem Jahre wurden meine Zurüstungen
weitläufiger, weil ich in jedem Jahre mehr Erfahrun¬
gen hatte, und meine Entwürfe weiter hinaus gingen.

ſoll, und zu deren Gewinnung er meinen Beiſtand
angerufen habe.

„Erſtens iſt ſie keine Gräfin,“ antwortete er mir,
„ich weiß nicht genau ihren Stand, ihr Vater iſt todt,
und ſie lebt in der Geſellſchaft einer reichen Mutter;
aber das weiß ich, daß ſie nicht von Adel iſt, was
mir ſehr zuſagt, da ich es auch nicht bin — und zwei¬
tens iſt ſie und ihre Mutter in dieſem Winter nicht
in die Stadt gekommen. Das iſt die Urſache, daß ich
ſie dir nicht zeigen konnte, und daß du Gelegenheit
fandeſt, einen Spott gegen mich zu richten. Du mußt
ſie aber vorerſt ſehen. Alle, denen heuer Schönheiten
geſagt worden ſind, alle, die man gerühmt hat, alle,
die geblendet haben, ſind nichts, ja ſie ſind noch we¬
niger als nichts gegen ſie.“

Ich antwortete ihm, daß ich nicht ſpotten, ſondern
die Sache einfach habe ſagen wollen.

Wie ſich der Frühling immer mehr näherte, rüſtete
ich mich zu meiner Reiſe. Ich wollte heuer früher
reiſen, weil ich mir vorgenommen hatte, ehe ich in die
Berge ginge, einen Beſuch in dem Roſenhauſe zu ma¬
chen. Mit jedem Jahre wurden meine Zurüſtungen
weitläufiger, weil ich in jedem Jahre mehr Erfahrun¬
gen hatte, und meine Entwürfe weiter hinaus gingen.

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[320/0334] ſoll, und zu deren Gewinnung er meinen Beiſtand angerufen habe. „Erſtens iſt ſie keine Gräfin,“ antwortete er mir, „ich weiß nicht genau ihren Stand, ihr Vater iſt todt, und ſie lebt in der Geſellſchaft einer reichen Mutter; aber das weiß ich, daß ſie nicht von Adel iſt, was mir ſehr zuſagt, da ich es auch nicht bin — und zwei¬ tens iſt ſie und ihre Mutter in dieſem Winter nicht in die Stadt gekommen. Das iſt die Urſache, daß ich ſie dir nicht zeigen konnte, und daß du Gelegenheit fandeſt, einen Spott gegen mich zu richten. Du mußt ſie aber vorerſt ſehen. Alle, denen heuer Schönheiten geſagt worden ſind, alle, die man gerühmt hat, alle, die geblendet haben, ſind nichts, ja ſie ſind noch we¬ niger als nichts gegen ſie.“ Ich antwortete ihm, daß ich nicht ſpotten, ſondern die Sache einfach habe ſagen wollen. Wie ſich der Frühling immer mehr näherte, rüſtete ich mich zu meiner Reiſe. Ich wollte heuer früher reiſen, weil ich mir vorgenommen hatte, ehe ich in die Berge ginge, einen Beſuch in dem Roſenhauſe zu ma¬ chen. Mit jedem Jahre wurden meine Zurüſtungen weitläufiger, weil ich in jedem Jahre mehr Erfahrun¬ gen hatte, und meine Entwürfe weiter hinaus gingen.

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/334>, abgerufen am 26.06.2024.