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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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hörte, thue, daß ich jezt gar nicht wußte, wer dieser
Risach sei. Ich fragte daher mit jener Rücksicht, die
man bei solchen Fragen immer beobachtet, und erfuhr,
daß der Freiherr von Risach zwar nicht die höchsten
Staatswürden bekleidet habe, daß er aber in der wich¬
tigen und schmerzlichen Zeit des nunmehr auch altern¬
den Kaisers in den belangreichsten Dingen thätig ge¬
wesen sei, daß er mit den Männern, welche die Ange¬
legenheiten Europa's leiteten, an der Schlichtung
dieser Angelegenheiten gearbeitet habe, daß er von
fremden Herrschern geschäzt worden sei, daß man ge¬
meint habe, er werde einmal an die Spize gelangen,
daß er aber dann ausgetreten sei. Er lebe meistens
auf dem Lande, komme aber öfter herein, und besuche
diesen oder jenen seiner Freunde. Der Kaiser achte
ihn sehr, und es dürfte noch jezt vorkommen, daß hie
und da nach seinem Rathe gefragt werde. Er soll reich
geheirathet, aber seine Frau wieder verloren haben.
Überhaupt wisse man diese Verhältnisse nicht genau.

Alles dieses hatte mir das Hoffräulein gesagt.

"Siehst du, meine liebe Henriette," sprach die alte
Frau, "wie sich die Dinge in der Welt verändern. Du
weißt es noch nicht, weil du noch jung bist, und weil
du nichts erfahren hast. Das Niedrige wird hoch, das

hörte, thue, daß ich jezt gar nicht wußte, wer dieſer
Riſach ſei. Ich fragte daher mit jener Rückſicht, die
man bei ſolchen Fragen immer beobachtet, und erfuhr,
daß der Freiherr von Riſach zwar nicht die höchſten
Staatswürden bekleidet habe, daß er aber in der wich¬
tigen und ſchmerzlichen Zeit des nunmehr auch altern¬
den Kaiſers in den belangreichſten Dingen thätig ge¬
weſen ſei, daß er mit den Männern, welche die Ange¬
legenheiten Europa's leiteten, an der Schlichtung
dieſer Angelegenheiten gearbeitet habe, daß er von
fremden Herrſchern geſchäzt worden ſei, daß man ge¬
meint habe, er werde einmal an die Spize gelangen,
daß er aber dann ausgetreten ſei. Er lebe meiſtens
auf dem Lande, komme aber öfter herein, und beſuche
dieſen oder jenen ſeiner Freunde. Der Kaiſer achte
ihn ſehr, und es dürfte noch jezt vorkommen, daß hie
und da nach ſeinem Rathe gefragt werde. Er ſoll reich
geheirathet, aber ſeine Frau wieder verloren haben.
Überhaupt wiſſe man dieſe Verhältniſſe nicht genau.

Alles dieſes hatte mir das Hoffräulein geſagt.

„Siehſt du, meine liebe Henriette,“ ſprach die alte
Frau, „wie ſich die Dinge in der Welt verändern. Du
weißt es noch nicht, weil du noch jung biſt, und weil
du nichts erfahren haſt. Das Niedrige wird hoch, das

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[316/0330] hörte, thue, daß ich jezt gar nicht wußte, wer dieſer Riſach ſei. Ich fragte daher mit jener Rückſicht, die man bei ſolchen Fragen immer beobachtet, und erfuhr, daß der Freiherr von Riſach zwar nicht die höchſten Staatswürden bekleidet habe, daß er aber in der wich¬ tigen und ſchmerzlichen Zeit des nunmehr auch altern¬ den Kaiſers in den belangreichſten Dingen thätig ge¬ weſen ſei, daß er mit den Männern, welche die Ange¬ legenheiten Europa's leiteten, an der Schlichtung dieſer Angelegenheiten gearbeitet habe, daß er von fremden Herrſchern geſchäzt worden ſei, daß man ge¬ meint habe, er werde einmal an die Spize gelangen, daß er aber dann ausgetreten ſei. Er lebe meiſtens auf dem Lande, komme aber öfter herein, und beſuche dieſen oder jenen ſeiner Freunde. Der Kaiſer achte ihn ſehr, und es dürfte noch jezt vorkommen, daß hie und da nach ſeinem Rathe gefragt werde. Er ſoll reich geheirathet, aber ſeine Frau wieder verloren haben. Überhaupt wiſſe man dieſe Verhältniſſe nicht genau. Alles dieſes hatte mir das Hoffräulein geſagt. „Siehſt du, meine liebe Henriette,“ ſprach die alte Frau, „wie ſich die Dinge in der Welt verändern. Du weißt es noch nicht, weil du noch jung biſt, und weil du nichts erfahren haſt. Das Niedrige wird hoch, das

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/330>, abgerufen am 22.07.2024.