"Ich habe nicht bei den Fenstern hinabgeschaut," sagte sie, "es geht vieles auf dem großen Hofe vor, ich achte nicht darauf. Ich habe gar nicht gewußt, daß bei dem Kaiser eine Vorfahrt gewesen ist, er war vor¬ gestern noch nicht ganz gesund. Da mein Mann noch lebte, haben wir immer die Aussicht auf den großen Plaz der Hofburg gehabt, und wie bedeutende Dinge da auch vorgehen, so wiederholen sich doch immer die nehmlichen, wenn man viele Jahre zuschaut; und endlich schaut man gar nicht mehr zu, und hat herin¬ nen ein Buch oder sein Strickzeug, wenn draußen in das Gewehr gerufen wird, oder Reiter zu hören sind, oder Wagen rollen."
"Wer ist denn von denen, die in der Aufwartung bei dem Kaiser wegfuhren, in dem lezten Wagen ge¬ sessen, Henriette?" fragte sie ihre eben eintretende Tochter, das Hoffräulein.
"Das ist der alte Risach gewesen," antwortete diese, "er ist eigens hereingekommen, um sich Seiner Majestät vorzustellen, und seine Freude über dessen Wiedergenesung auszudrücken."
Ich hatte in meiner Jugend öfter den Namen Ri¬ sach nennen gehört, allein ich hatte damals so wenig darauf geachtet, was ein Mann, dessen Namen ich
„Ich habe nicht bei den Fenſtern hinabgeſchaut,“ ſagte ſie, „es geht vieles auf dem großen Hofe vor, ich achte nicht darauf. Ich habe gar nicht gewußt, daß bei dem Kaiſer eine Vorfahrt geweſen iſt, er war vor¬ geſtern noch nicht ganz geſund. Da mein Mann noch lebte, haben wir immer die Ausſicht auf den großen Plaz der Hofburg gehabt, und wie bedeutende Dinge da auch vorgehen, ſo wiederholen ſich doch immer die nehmlichen, wenn man viele Jahre zuſchaut; und endlich ſchaut man gar nicht mehr zu, und hat herin¬ nen ein Buch oder ſein Strickzeug, wenn draußen in das Gewehr gerufen wird, oder Reiter zu hören ſind, oder Wagen rollen.“
„Wer iſt denn von denen, die in der Aufwartung bei dem Kaiſer wegfuhren, in dem lezten Wagen ge¬ ſeſſen, Henriette?“ fragte ſie ihre eben eintretende Tochter, das Hoffräulein.
„Das iſt der alte Riſach geweſen,“ antwortete dieſe, „er iſt eigens hereingekommen, um ſich Seiner Majeſtät vorzuſtellen, und ſeine Freude über deſſen Wiedergeneſung auszudrücken.“
Ich hatte in meiner Jugend öfter den Namen Ri¬ ſach nennen gehört, allein ich hatte damals ſo wenig darauf geachtet, was ein Mann, deſſen Namen ich
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„Ich habe nicht bei den Fenſtern hinabgeſchaut,“
ſagte ſie, „es geht vieles auf dem großen Hofe vor,
ich achte nicht darauf. Ich habe gar nicht gewußt, daß
bei dem Kaiſer eine Vorfahrt geweſen iſt, er war vor¬
geſtern noch nicht ganz geſund. Da mein Mann noch
lebte, haben wir immer die Ausſicht auf den großen
Plaz der Hofburg gehabt, und wie bedeutende Dinge
da auch vorgehen, ſo wiederholen ſich doch immer die
nehmlichen, wenn man viele Jahre zuſchaut; und
endlich ſchaut man gar nicht mehr zu, und hat herin¬
nen ein Buch oder ſein Strickzeug, wenn draußen in
das Gewehr gerufen wird, oder Reiter zu hören ſind,
oder Wagen rollen.“
„Wer iſt denn von denen, die in der Aufwartung
bei dem Kaiſer wegfuhren, in dem lezten Wagen ge¬
ſeſſen, Henriette?“ fragte ſie ihre eben eintretende
Tochter, das Hoffräulein.
„Das iſt der alte Riſach geweſen,“ antwortete
dieſe, „er iſt eigens hereingekommen, um ſich Seiner
Majeſtät vorzuſtellen, und ſeine Freude über deſſen
Wiedergeneſung auszudrücken.“
Ich hatte in meiner Jugend öfter den Namen Ri¬
ſach nennen gehört, allein ich hatte damals ſo wenig
darauf geachtet, was ein Mann, deſſen Namen ich
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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/329>, abgerufen am 16.02.2025.
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