nen ich geladen war, oder selbst zu Spaziergängen und Geschäftsbesuchen war mir meine Wohnung wie eine holde bedeutungsvolle Einsamkeit, die mir noch lieber wurde, weil ihre Fenster auf Gärten und wenig geräuschvolle Gegenden hinausgingen.
Die Heiterkeiten wurden in der Stadt immer grö¬ ßer, je näher der Winter seinem Ende zuging, und ich hatte in dieser Hinsicht und oft auch in anderer mehr Ursache und Pflicht zu dieser oder jener Familie einen Gang zu thun.
Bei einer solchen Gelegenheit ereignete sich mit mir ein Vorfall, der mich nach dem Beiwohnen bei der Aufführung des Lear in jenem Winter am meisten beschäftigte.
Wir waren seit Jahren mit einer Familie sehr befreundet, welche in der Hofburg wohnte. Es war die Wittwe und Tochter eines berühmten Mannes, der einmal in großem Ansehen gestanden war. Da der Vater ein bedeutendes Hofamt bekleidet hatte, wurde die Tochter nach seinem Tode auch ein Hof¬ fräulein, weßhalb sie mit der Mutter in der Burg wohnte. Von den Söhnen war einer in der Armee, der andere bei einer Gesandtschaft. Wenn das Fräu¬ lein nicht eben im Dienste war, wurde zuweilen
nen ich geladen war, oder ſelbſt zu Spaziergängen und Geſchäftsbeſuchen war mir meine Wohnung wie eine holde bedeutungsvolle Einſamkeit, die mir noch lieber wurde, weil ihre Fenſter auf Gärten und wenig geräuſchvolle Gegenden hinausgingen.
Die Heiterkeiten wurden in der Stadt immer grö¬ ßer, je näher der Winter ſeinem Ende zuging, und ich hatte in dieſer Hinſicht und oft auch in anderer mehr Urſache und Pflicht zu dieſer oder jener Familie einen Gang zu thun.
Bei einer ſolchen Gelegenheit ereignete ſich mit mir ein Vorfall, der mich nach dem Beiwohnen bei der Aufführung des Lear in jenem Winter am meiſten beſchäftigte.
Wir waren ſeit Jahren mit einer Familie ſehr befreundet, welche in der Hofburg wohnte. Es war die Wittwe und Tochter eines berühmten Mannes, der einmal in großem Anſehen geſtanden war. Da der Vater ein bedeutendes Hofamt bekleidet hatte, wurde die Tochter nach ſeinem Tode auch ein Hof¬ fräulein, weßhalb ſie mit der Mutter in der Burg wohnte. Von den Söhnen war einer in der Armee, der andere bei einer Geſandtſchaft. Wenn das Fräu¬ lein nicht eben im Dienſte war, wurde zuweilen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0326"n="312"/>
nen ich geladen war, oder ſelbſt zu Spaziergängen<lb/>
und Geſchäftsbeſuchen war mir meine Wohnung wie<lb/>
eine holde bedeutungsvolle Einſamkeit, die mir noch<lb/>
lieber wurde, weil ihre Fenſter auf Gärten und wenig<lb/>
geräuſchvolle Gegenden hinausgingen.</p><lb/><p>Die Heiterkeiten wurden in der Stadt immer grö¬<lb/>
ßer, je näher der Winter ſeinem Ende zuging, und<lb/>
ich hatte in dieſer Hinſicht und oft auch in anderer<lb/>
mehr Urſache und Pflicht zu dieſer oder jener Familie<lb/>
einen Gang zu thun.</p><lb/><p>Bei einer ſolchen Gelegenheit ereignete ſich mit<lb/>
mir ein Vorfall, der mich nach dem Beiwohnen bei<lb/>
der Aufführung des Lear in jenem Winter am meiſten<lb/>
beſchäftigte.</p><lb/><p>Wir waren ſeit Jahren mit einer Familie ſehr<lb/>
befreundet, welche in der Hofburg wohnte. Es war<lb/>
die Wittwe und Tochter eines berühmten Mannes,<lb/>
der einmal in großem Anſehen geſtanden war. Da<lb/>
der Vater ein bedeutendes Hofamt bekleidet hatte,<lb/>
wurde die Tochter nach ſeinem Tode auch ein Hof¬<lb/>
fräulein, weßhalb ſie mit der Mutter in der Burg<lb/>
wohnte. Von den Söhnen war einer in der Armee,<lb/>
der andere bei einer Geſandtſchaft. Wenn das Fräu¬<lb/>
lein nicht eben im Dienſte war, wurde zuweilen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[312/0326]
nen ich geladen war, oder ſelbſt zu Spaziergängen
und Geſchäftsbeſuchen war mir meine Wohnung wie
eine holde bedeutungsvolle Einſamkeit, die mir noch
lieber wurde, weil ihre Fenſter auf Gärten und wenig
geräuſchvolle Gegenden hinausgingen.
Die Heiterkeiten wurden in der Stadt immer grö¬
ßer, je näher der Winter ſeinem Ende zuging, und
ich hatte in dieſer Hinſicht und oft auch in anderer
mehr Urſache und Pflicht zu dieſer oder jener Familie
einen Gang zu thun.
Bei einer ſolchen Gelegenheit ereignete ſich mit
mir ein Vorfall, der mich nach dem Beiwohnen bei
der Aufführung des Lear in jenem Winter am meiſten
beſchäftigte.
Wir waren ſeit Jahren mit einer Familie ſehr
befreundet, welche in der Hofburg wohnte. Es war
die Wittwe und Tochter eines berühmten Mannes,
der einmal in großem Anſehen geſtanden war. Da
der Vater ein bedeutendes Hofamt bekleidet hatte,
wurde die Tochter nach ſeinem Tode auch ein Hof¬
fräulein, weßhalb ſie mit der Mutter in der Burg
wohnte. Von den Söhnen war einer in der Armee,
der andere bei einer Geſandtſchaft. Wenn das Fräu¬
lein nicht eben im Dienſte war, wurde zuweilen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/326>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.