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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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men, ich durfte ihm eine Stellung geben, wie ich
wollte, um die Nachahmung zu versuchen; sie gelang
nicht, wenn ich auch alle meine Fertigkeit, die ich im
Zeichnen anderer Gegenstände bereits hatte, darauf
anwendete. Der Vater sagte mir endlich, daß die
Wirkung dieses Bildes vorzüglich in der Zartheit der
Farbe liege, und daß es daher nicht möglich sei, die¬
selbe in schwarzen Linien nachzuahmen. Er machte
mich überhaupt, da er meine Bestrebungen sah, mehr
mit den Eigenschaften der Farben bekannt, und ich
suchte mich auch in diesen Dingen zu unterrichten und
zu üben.

Sonderbar war es, daß ich nie auf den Gedanken
kam, meine Schwester zu betrachten, ob ihre Züge
zum Nachzeichnen geeignet wären, oder den Wunsch
hegte, ihr Angesicht zu zeichnen, obgleich es in mei¬
nen Augen nach dem des Mädchens in der Loge das
schönste auf der Welt war. Ich hatte nie den Muth
dazu. Oft kam mir auch jezt noch der Gedanke, so
schön und rein wie Klotilde könne doch nichts mehr
auf der Erde sein; aber da fielen mir die Züge des
weinenden Mädchens ein, das die Ihrigen zu beruhi¬
gen gestrebt hatten, und von dem ich mir einbildete,
daß es mich im Vorsaale des Theaters freundlich an¬

men, ich durfte ihm eine Stellung geben, wie ich
wollte, um die Nachahmung zu verſuchen; ſie gelang
nicht, wenn ich auch alle meine Fertigkeit, die ich im
Zeichnen anderer Gegenſtände bereits hatte, darauf
anwendete. Der Vater ſagte mir endlich, daß die
Wirkung dieſes Bildes vorzüglich in der Zartheit der
Farbe liege, und daß es daher nicht möglich ſei, die¬
ſelbe in ſchwarzen Linien nachzuahmen. Er machte
mich überhaupt, da er meine Beſtrebungen ſah, mehr
mit den Eigenſchaften der Farben bekannt, und ich
ſuchte mich auch in dieſen Dingen zu unterrichten und
zu üben.

Sonderbar war es, daß ich nie auf den Gedanken
kam, meine Schweſter zu betrachten, ob ihre Züge
zum Nachzeichnen geeignet wären, oder den Wunſch
hegte, ihr Angeſicht zu zeichnen, obgleich es in mei¬
nen Augen nach dem des Mädchens in der Loge das
ſchönſte auf der Welt war. Ich hatte nie den Muth
dazu. Oft kam mir auch jezt noch der Gedanke, ſo
ſchön und rein wie Klotilde könne doch nichts mehr
auf der Erde ſein; aber da fielen mir die Züge des
weinenden Mädchens ein, das die Ihrigen zu beruhi¬
gen geſtrebt hatten, und von dem ich mir einbildete,
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[310/0324] men, ich durfte ihm eine Stellung geben, wie ich wollte, um die Nachahmung zu verſuchen; ſie gelang nicht, wenn ich auch alle meine Fertigkeit, die ich im Zeichnen anderer Gegenſtände bereits hatte, darauf anwendete. Der Vater ſagte mir endlich, daß die Wirkung dieſes Bildes vorzüglich in der Zartheit der Farbe liege, und daß es daher nicht möglich ſei, die¬ ſelbe in ſchwarzen Linien nachzuahmen. Er machte mich überhaupt, da er meine Beſtrebungen ſah, mehr mit den Eigenſchaften der Farben bekannt, und ich ſuchte mich auch in dieſen Dingen zu unterrichten und zu üben. Sonderbar war es, daß ich nie auf den Gedanken kam, meine Schweſter zu betrachten, ob ihre Züge zum Nachzeichnen geeignet wären, oder den Wunſch hegte, ihr Angeſicht zu zeichnen, obgleich es in mei¬ nen Augen nach dem des Mädchens in der Loge das ſchönſte auf der Welt war. Ich hatte nie den Muth dazu. Oft kam mir auch jezt noch der Gedanke, ſo ſchön und rein wie Klotilde könne doch nichts mehr auf der Erde ſein; aber da fielen mir die Züge des weinenden Mädchens ein, das die Ihrigen zu beruhi¬ gen geſtrebt hatten, und von dem ich mir einbildete, daß es mich im Vorſaale des Theaters freundlich an¬

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/324>, abgerufen am 25.08.2024.