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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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ladinischen Mundarten findet, und wir uns daher erlauben, die Aufmerksamkeit des sprachforschenden Lesers auf das lexikalisch Fremde in jenen Idiomen zu richten, so glauben wir doch nicht, daß sich diese verlornen, vielleicht rhätischen Wasseräderchen zu einer Quelle vereinigen werden, die ein ausgiebiges Schöpfen zuließe. Andere unbekannte Idiome aber sind in den Alpen nicht mehr aufzufinden.

Weil sich die Thäler von Gröden und Enneberg gegen das deutsche Sprachgebiet hin öffnen, so wollten schon manche ihren Romanismus befremdlich finden. Wenn man für die italienischen Gegenden Südtirols das Theokritische: Dorisden d'exesti, doko, tois Dorieessin , gelten ließ, so schien man dagegen den Grödnern das Postulat zu stellen, sie hätten eigentlich von Rechtswegen deutsch zu reden und ihre Wälschheit könne also nur auf künstlichem Wege erklärt werden. Man behauptete daher, ihre Urväter seyen Flüchtlinge aus den römischen Mansionen am Eisack und im Pusterthale gewesen, die sich bei der Völkerwanderung in diese Berge gerettet, oder sie stammten von militärischen Colonien her, welche die Römer zur Verbindung jener festen Plätze in diese Thäler geführt. Uns scheint nun die eine dieser Hypothesen so unnöthig wie die andere. Als nämlich die Römer Rhätien unterjocht hatten, ließen sie sich in dem eroberten Gebirgslande in eben dem Maße nieder, wie in andern besiegten Ländern, und in wenig Jahrhunderten war ihre Sprache, wie in Spanien und Gallien, zur allgemeinen erhoben. Als die Deutschen in das Land drangen, setzten sie sich zunächst nur in der Thalsohle, an den Straßen fest, die ihre Verbindung mit Italien sichern mußten, und an diesen Heerwegen war es zuverlässig, wo auch zuerst die deutsche Sprache Wurzel faßte. Was nicht auf diesem ihrem Zuge lag, widerstand der Germanisirung gewiß noch lange Zeit, und es sind vielleicht noch keine siebenhundert Jahre, daß auf den Höhen des Brenners und an jenen die dem Eisack entlang an Brixen vorbei nach Bozen zu laufen, romanisch gesprochen wurde. Auf den Halden von Gufidaun, im Thale von Lüsen und Villnöß und an der Mündung des Grödnerthales bis hinab nach Vels geschah dieß wohl noch in bedeutend

ladinischen Mundarten findet, und wir uns daher erlauben, die Aufmerksamkeit des sprachforschenden Lesers auf das lexikalisch Fremde in jenen Idiomen zu richten, so glauben wir doch nicht, daß sich diese verlornen, vielleicht rhätischen Wasseräderchen zu einer Quelle vereinigen werden, die ein ausgiebiges Schöpfen zuließe. Andere unbekannte Idiome aber sind in den Alpen nicht mehr aufzufinden.

Weil sich die Thäler von Gröden und Enneberg gegen das deutsche Sprachgebiet hin öffnen, so wollten schon manche ihren Romanismus befremdlich finden. Wenn man für die italienischen Gegenden Südtirols das Theokritische: Δωρίσδεν δ'ἔξεστι, δοκῶ, τοῖς Δωριέεσσιν , gelten ließ, so schien man dagegen den Grödnern das Postulat zu stellen, sie hätten eigentlich von Rechtswegen deutsch zu reden und ihre Wälschheit könne also nur auf künstlichem Wege erklärt werden. Man behauptete daher, ihre Urväter seyen Flüchtlinge aus den römischen Mansionen am Eisack und im Pusterthale gewesen, die sich bei der Völkerwanderung in diese Berge gerettet, oder sie stammten von militärischen Colonien her, welche die Römer zur Verbindung jener festen Plätze in diese Thäler geführt. Uns scheint nun die eine dieser Hypothesen so unnöthig wie die andere. Als nämlich die Römer Rhätien unterjocht hatten, ließen sie sich in dem eroberten Gebirgslande in eben dem Maße nieder, wie in andern besiegten Ländern, und in wenig Jahrhunderten war ihre Sprache, wie in Spanien und Gallien, zur allgemeinen erhoben. Als die Deutschen in das Land drangen, setzten sie sich zunächst nur in der Thalsohle, an den Straßen fest, die ihre Verbindung mit Italien sichern mußten, und an diesen Heerwegen war es zuverlässig, wo auch zuerst die deutsche Sprache Wurzel faßte. Was nicht auf diesem ihrem Zuge lag, widerstand der Germanisirung gewiß noch lange Zeit, und es sind vielleicht noch keine siebenhundert Jahre, daß auf den Höhen des Brenners und an jenen die dem Eisack entlang an Brixen vorbei nach Bozen zu laufen, romanisch gesprochen wurde. Auf den Halden von Gufidaun, im Thale von Lüsen und Villnöß und an der Mündung des Grödnerthales bis hinab nach Vels geschah dieß wohl noch in bedeutend

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[436/0440] ladinischen Mundarten findet, und wir uns daher erlauben, die Aufmerksamkeit des sprachforschenden Lesers auf das lexikalisch Fremde in jenen Idiomen zu richten, so glauben wir doch nicht, daß sich diese verlornen, vielleicht rhätischen Wasseräderchen zu einer Quelle vereinigen werden, die ein ausgiebiges Schöpfen zuließe. Andere unbekannte Idiome aber sind in den Alpen nicht mehr aufzufinden. Weil sich die Thäler von Gröden und Enneberg gegen das deutsche Sprachgebiet hin öffnen, so wollten schon manche ihren Romanismus befremdlich finden. Wenn man für die italienischen Gegenden Südtirols das Theokritische: Δωρίσδεν δ'ἔξεστι, δοκῶ, τοῖς Δωριέεσσιν , gelten ließ, so schien man dagegen den Grödnern das Postulat zu stellen, sie hätten eigentlich von Rechtswegen deutsch zu reden und ihre Wälschheit könne also nur auf künstlichem Wege erklärt werden. Man behauptete daher, ihre Urväter seyen Flüchtlinge aus den römischen Mansionen am Eisack und im Pusterthale gewesen, die sich bei der Völkerwanderung in diese Berge gerettet, oder sie stammten von militärischen Colonien her, welche die Römer zur Verbindung jener festen Plätze in diese Thäler geführt. Uns scheint nun die eine dieser Hypothesen so unnöthig wie die andere. Als nämlich die Römer Rhätien unterjocht hatten, ließen sie sich in dem eroberten Gebirgslande in eben dem Maße nieder, wie in andern besiegten Ländern, und in wenig Jahrhunderten war ihre Sprache, wie in Spanien und Gallien, zur allgemeinen erhoben. Als die Deutschen in das Land drangen, setzten sie sich zunächst nur in der Thalsohle, an den Straßen fest, die ihre Verbindung mit Italien sichern mußten, und an diesen Heerwegen war es zuverlässig, wo auch zuerst die deutsche Sprache Wurzel faßte. Was nicht auf diesem ihrem Zuge lag, widerstand der Germanisirung gewiß noch lange Zeit, und es sind vielleicht noch keine siebenhundert Jahre, daß auf den Höhen des Brenners und an jenen die dem Eisack entlang an Brixen vorbei nach Bozen zu laufen, romanisch gesprochen wurde. Auf den Halden von Gufidaun, im Thale von Lüsen und Villnöß und an der Mündung des Grödnerthales bis hinab nach Vels geschah dieß wohl noch in bedeutend

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/440>, abgerufen am 23.11.2024.