lösen gesucht. Sie sind ihm selbst nicht zur Klarheit gewor- den; er kann die Widersprüche noch nicht einmal bestimmt aus- sprechen. Daß das Gewordene in jedem Augenblick noch wird, wer wüßte das nicht nach dem alten panta Rei? Was hätte hieran die Sprache Besonderes? In ihr aber herrscht wirklich dieser Gegensatz des Werdens und Gewordenseins in viel tieferer Weise als von Becker gesagt und erkannt ist. -- Doch hören wir weiter: "In der gegebenen Sprache wird nur die ihrer Na- tur nach flüchtige Erscheinung des Gedankens als ein Stätigge- wordenes festgehalten" -- aber wie ist das möglich? denkbar? das seiner Natur nach Flüchtige festhalten, heißt das nicht, seine Natur zerstören? Und ist es denn wohl wahr, daß wir unter Sprache je die stätig gewordene Erscheinung des Gedankens verstehen? oder was ist bei diesen Worten zu denken? -- "und sie (die gesprochene Sprache) ist eigentlich nur die als Stätig- gewordenes aufgefaßte Verrichtung des Sprechens" -- ist das etwas anderes als das Vorangehende? Ist aber die gesprochene Sprache "eigentlich nur die als Stätiggewordenes aufgefaßte Verrichtung des Sprechens, so ist sie nicht, wie es doch so eben hieß, das aus dieser entstandene Product; denn dann ist sie überhaupt "eigentlich" nichts Objectives, Wirkliches, son- dern nur Erzeugniß unseres Festhaltens und Auffassens, also ein subjectives Geschöpf unserer Reflexion, dessen Möglichkeit, Be- rechtigung, Nothwendigkeit zu erweisen ist.
Die Wahrheit des in diesem Eingange Gesagten konnte nicht geprüft, nur die Unmethodik konnte dargelegt werden, welche aus Unklarheit entsprungen, den Nebel verstärkt. Schließ- lich jedoch noch folgende Bemerkung. Eine Nominal-Definition sollte gegeben werden; statt dessen wird man mit sowohl in sich selbst widerspruchsvollen als auch sich einander widerspre- chenden Sätzen, welche eine Real-Definition enthalten, überschüt- tet. Aber nicht bloß diese wird nicht erreicht, sondern auch nicht einmal das, was eine Nominal-Definition leisten sollte, den Gegenstand der Verhandlung zu bestimmen. Wie könnte man den aus der ganzen mitgetheilten Stelle erkennen? Man könnte bei allem Gesagten viel eher an Schreiben und Schrift, d. h. auch an Bilderschrift und Knotenschnüre, denken; ja auf Schrei- ben und Schrift paßt jener Unterschied von Verrichtung und Product und ihre Einheit, wie das von Becker bestimmt ist,
lösen gesucht. Sie sind ihm selbst nicht zur Klarheit gewor- den; er kann die Widersprüche noch nicht einmal bestimmt aus- sprechen. Daß das Gewordene in jedem Augenblick noch wird, wer wüßte das nicht nach dem alten πάντα ῥεῖ? Was hätte hieran die Sprache Besonderes? In ihr aber herrscht wirklich dieser Gegensatz des Werdens und Gewordenseins in viel tieferer Weise als von Becker gesagt und erkannt ist. — Doch hören wir weiter: „In der gegebenen Sprache wird nur die ihrer Na- tur nach flüchtige Erscheinung des Gedankens als ein Stätigge- wordenes festgehalten” — aber wie ist das möglich? denkbar? das seiner Natur nach Flüchtige festhalten, heißt das nicht, seine Natur zerstören? Und ist es denn wohl wahr, daß wir unter Sprache je die stätig gewordene Erscheinung des Gedankens verstehen? oder was ist bei diesen Worten zu denken? — „und sie (die gesprochene Sprache) ist eigentlich nur die als Stätig- gewordenes aufgefaßte Verrichtung des Sprechens” — ist das etwas anderes als das Vorangehende? Ist aber die gesprochene Sprache „eigentlich nur die als Stätiggewordenes aufgefaßte Verrichtung des Sprechens, so ist sie nicht, wie es doch so eben hieß, das aus dieser entstandene Product; denn dann ist sie überhaupt „eigentlich” nichts Objectives, Wirkliches, son- dern nur Erzeugniß unseres Festhaltens und Auffassens, also ein subjectives Geschöpf unserer Reflexion, dessen Möglichkeit, Be- rechtigung, Nothwendigkeit zu erweisen ist.
Die Wahrheit des in diesem Eingange Gesagten konnte nicht geprüft, nur die Unmethodik konnte dargelegt werden, welche aus Unklarheit entsprungen, den Nebel verstärkt. Schließ- lich jedoch noch folgende Bemerkung. Eine Nominal-Definition sollte gegeben werden; statt dessen wird man mit sowohl in sich selbst widerspruchsvollen als auch sich einander widerspre- chenden Sätzen, welche eine Real-Definition enthalten, überschüt- tet. Aber nicht bloß diese wird nicht erreicht, sondern auch nicht einmal das, was eine Nominal-Definition leisten sollte, den Gegenstand der Verhandlung zu bestimmen. Wie könnte man den aus der ganzen mitgetheilten Stelle erkennen? Man könnte bei allem Gesagten viel eher an Schreiben und Schrift, d. h. auch an Bilderschrift und Knotenschnüre, denken; ja auf Schrei- ben und Schrift paßt jener Unterschied von Verrichtung und Product und ihre Einheit, wie das von Becker bestimmt ist,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0066"n="28"/>
lösen gesucht. Sie sind ihm selbst nicht zur Klarheit gewor-<lb/>
den; er kann die Widersprüche noch nicht einmal bestimmt aus-<lb/>
sprechen. Daß das Gewordene in jedem Augenblick noch wird,<lb/>
wer wüßte das nicht nach dem alten πάνταῥεῖ? Was hätte<lb/>
hieran die Sprache Besonderes? In ihr aber herrscht wirklich<lb/>
dieser Gegensatz des Werdens und Gewordenseins in viel tieferer<lb/>
Weise als von Becker gesagt und erkannt ist. — Doch hören<lb/>
wir weiter: „In der gegebenen Sprache wird nur die ihrer Na-<lb/>
tur nach flüchtige Erscheinung des Gedankens als ein Stätigge-<lb/>
wordenes festgehalten”— aber wie ist das möglich? denkbar?<lb/>
das seiner Natur nach Flüchtige festhalten, heißt das nicht, seine<lb/>
Natur zerstören? Und ist es denn wohl wahr, daß wir unter<lb/>
Sprache je die stätig gewordene Erscheinung des Gedankens<lb/>
verstehen? oder was ist bei diesen Worten zu denken? —„und<lb/>
sie (die gesprochene Sprache) ist eigentlich nur die als Stätig-<lb/>
gewordenes aufgefaßte Verrichtung des Sprechens”— ist das<lb/>
etwas anderes als das Vorangehende? Ist aber die gesprochene<lb/>
Sprache „eigentlich nur die als Stätiggewordenes <hirendition="#g">aufgefaßte</hi><lb/>
Verrichtung des Sprechens, so ist sie nicht, wie es doch so<lb/>
eben hieß, das aus dieser entstandene Product; denn dann ist<lb/>
sie überhaupt „eigentlich” nichts Objectives, Wirkliches, son-<lb/>
dern nur Erzeugniß unseres Festhaltens und Auffassens, also ein<lb/>
subjectives Geschöpf unserer Reflexion, dessen Möglichkeit, Be-<lb/>
rechtigung, Nothwendigkeit zu erweisen ist.</p><lb/><p>Die Wahrheit des in diesem Eingange Gesagten konnte<lb/>
nicht geprüft, nur die Unmethodik konnte dargelegt werden,<lb/>
welche aus Unklarheit entsprungen, den Nebel verstärkt. Schließ-<lb/>
lich jedoch noch folgende Bemerkung. Eine Nominal-Definition<lb/>
sollte gegeben werden; statt dessen wird man mit sowohl in<lb/>
sich selbst widerspruchsvollen als auch sich einander widerspre-<lb/>
chenden Sätzen, welche eine Real-Definition enthalten, überschüt-<lb/>
tet. Aber nicht bloß diese wird nicht erreicht, sondern auch<lb/>
nicht einmal das, was eine Nominal-Definition leisten sollte, den<lb/>
Gegenstand der Verhandlung zu bestimmen. Wie könnte man<lb/>
den aus der ganzen mitgetheilten Stelle erkennen? Man könnte<lb/>
bei allem Gesagten viel eher an Schreiben und Schrift, d. h.<lb/>
auch an Bilderschrift und Knotenschnüre, denken; ja auf Schrei-<lb/>
ben und Schrift paßt jener Unterschied von Verrichtung und<lb/>
Product und ihre Einheit, wie das von Becker bestimmt ist,<lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[28/0066]
lösen gesucht. Sie sind ihm selbst nicht zur Klarheit gewor-
den; er kann die Widersprüche noch nicht einmal bestimmt aus-
sprechen. Daß das Gewordene in jedem Augenblick noch wird,
wer wüßte das nicht nach dem alten πάντα ῥεῖ? Was hätte
hieran die Sprache Besonderes? In ihr aber herrscht wirklich
dieser Gegensatz des Werdens und Gewordenseins in viel tieferer
Weise als von Becker gesagt und erkannt ist. — Doch hören
wir weiter: „In der gegebenen Sprache wird nur die ihrer Na-
tur nach flüchtige Erscheinung des Gedankens als ein Stätigge-
wordenes festgehalten” — aber wie ist das möglich? denkbar?
das seiner Natur nach Flüchtige festhalten, heißt das nicht, seine
Natur zerstören? Und ist es denn wohl wahr, daß wir unter
Sprache je die stätig gewordene Erscheinung des Gedankens
verstehen? oder was ist bei diesen Worten zu denken? — „und
sie (die gesprochene Sprache) ist eigentlich nur die als Stätig-
gewordenes aufgefaßte Verrichtung des Sprechens” — ist das
etwas anderes als das Vorangehende? Ist aber die gesprochene
Sprache „eigentlich nur die als Stätiggewordenes aufgefaßte
Verrichtung des Sprechens, so ist sie nicht, wie es doch so
eben hieß, das aus dieser entstandene Product; denn dann ist
sie überhaupt „eigentlich” nichts Objectives, Wirkliches, son-
dern nur Erzeugniß unseres Festhaltens und Auffassens, also ein
subjectives Geschöpf unserer Reflexion, dessen Möglichkeit, Be-
rechtigung, Nothwendigkeit zu erweisen ist.
Die Wahrheit des in diesem Eingange Gesagten konnte
nicht geprüft, nur die Unmethodik konnte dargelegt werden,
welche aus Unklarheit entsprungen, den Nebel verstärkt. Schließ-
lich jedoch noch folgende Bemerkung. Eine Nominal-Definition
sollte gegeben werden; statt dessen wird man mit sowohl in
sich selbst widerspruchsvollen als auch sich einander widerspre-
chenden Sätzen, welche eine Real-Definition enthalten, überschüt-
tet. Aber nicht bloß diese wird nicht erreicht, sondern auch
nicht einmal das, was eine Nominal-Definition leisten sollte, den
Gegenstand der Verhandlung zu bestimmen. Wie könnte man
den aus der ganzen mitgetheilten Stelle erkennen? Man könnte
bei allem Gesagten viel eher an Schreiben und Schrift, d. h.
auch an Bilderschrift und Knotenschnüre, denken; ja auf Schrei-
ben und Schrift paßt jener Unterschied von Verrichtung und
Product und ihre Einheit, wie das von Becker bestimmt ist,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/66>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.