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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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ist; oder vielmehr nur dieses flattert frei in der Luft, jenes gar
nicht. Der thierische Leib ist ebenso mit seinen vier Füßen
an den Boden angeheftet, während der menschliche frei in die
Luft hinein ragt. Der fördernde Einfluß dieser freiern Beweg-
lichkeit durch die Bewegungsgefühle auf die Intellectualität ist
unberechenbar.

Hierzu kommen noch zwei andere Punkte, die sich beide
auf den Gefühlssinn beziehen. Der thierische Leib ist mit ei-
ner dicken starr behaarten Haut überzogen: der menschliche
Leib hat eine viel zartere, mit dünnen Haaren besetzte und vie-
len Gefühlsorganen versehene Haut. Hierdurch tritt der Mensch
in eine viel lebendigere Berührung mit der Außenwelt. Wo
das Thier nur dumpf fühlt, gewinnt der Mensch eine bestimmte
Empfindungserkenntniß.

Viel wichtiger aber noch und die eigentliche Spitze und
das Ziel der genannten beiden Einrichtungen des menschlichen
Körpers, nämlich der aufrechten Stellung und der zarten Ober-
haut, ist die Hand, oder der ganze Arm mit der Hand. Hier
erkennt man in wundervoller Weise die Oekonomie, die Spar-
samkeit der Natur. Ohne dem Menschen noch andere Glieder
zu geben, als dem Thiere, hat sie ihm dennoch mehr Glieder
gegeben. Denn indem sie die menschliche Gestalt so einrich-
tete, daß zwei Füße denselben Dienst verrichten, welchen dem
Thiere vier Füße leisten, konnte sie die beiden andern Füße
des Menschen zu Armen mit Händen umgestalten. Diese Glie-
der sind die freiesten des menschlichen Körpers; sie bewegen
sich nicht bloß nach allen sechs Seiten, vorwärts, rückwärts,
rechts, links, nach oben und nach unten, sondern diese Bewe-
gungen werden auch noch allseitig combinirt. An die Beweg-
lichkeit der Hand, des Daumens, brauche ich nur zu erinnern.
Dazu ist die Haut der Finger, besonders der Spitzen, mit dicht-
gedrängten kleinen Tastorganen übersäet. Solche Glieder hät-
ten schon viel nützen können, selbst wenn sie immer noch zum
Gehen verwendet werden müßten. Die aufrechte Stellung aber,
indem sie dieselben vom Boden losreißt, erhebt sie in die ihrer
würdige Sphäre der Freiheit. Nun wird Hand und Arm das
Werkzeug der Werkzeuge und ein besonderer Sinn zur Erkennt-
niß von Raumverhältnissen, durch welchen das Auge unterstützt
wird. Die räumlichen Anschauungen des Menschen müssen un-
gleich entwickelter sein, als die des Thiers. Die Raumanschau-

ist; oder vielmehr nur dieses flattert frei in der Luft, jenes gar
nicht. Der thierische Leib ist ebenso mit seinen vier Füßen
an den Boden angeheftet, während der menschliche frei in die
Luft hinein ragt. Der fördernde Einfluß dieser freiern Beweg-
lichkeit durch die Bewegungsgefühle auf die Intellectualität ist
unberechenbar.

Hierzu kommen noch zwei andere Punkte, die sich beide
auf den Gefühlssinn beziehen. Der thierische Leib ist mit ei-
ner dicken starr behaarten Haut überzogen: der menschliche
Leib hat eine viel zartere, mit dünnen Haaren besetzte und vie-
len Gefühlsorganen versehene Haut. Hierdurch tritt der Mensch
in eine viel lebendigere Berührung mit der Außenwelt. Wo
das Thier nur dumpf fühlt, gewinnt der Mensch eine bestimmte
Empfindungserkenntniß.

Viel wichtiger aber noch und die eigentliche Spitze und
das Ziel der genannten beiden Einrichtungen des menschlichen
Körpers, nämlich der aufrechten Stellung und der zarten Ober-
haut, ist die Hand, oder der ganze Arm mit der Hand. Hier
erkennt man in wundervoller Weise die Oekonomie, die Spar-
samkeit der Natur. Ohne dem Menschen noch andere Glieder
zu geben, als dem Thiere, hat sie ihm dennoch mehr Glieder
gegeben. Denn indem sie die menschliche Gestalt so einrich-
tete, daß zwei Füße denselben Dienst verrichten, welchen dem
Thiere vier Füße leisten, konnte sie die beiden andern Füße
des Menschen zu Armen mit Händen umgestalten. Diese Glie-
der sind die freiesten des menschlichen Körpers; sie bewegen
sich nicht bloß nach allen sechs Seiten, vorwärts, rückwärts,
rechts, links, nach oben und nach unten, sondern diese Bewe-
gungen werden auch noch allseitig combinirt. An die Beweg-
lichkeit der Hand, des Daumens, brauche ich nur zu erinnern.
Dazu ist die Haut der Finger, besonders der Spitzen, mit dicht-
gedrängten kleinen Tastorganen übersäet. Solche Glieder hät-
ten schon viel nützen können, selbst wenn sie immer noch zum
Gehen verwendet werden müßten. Die aufrechte Stellung aber,
indem sie dieselben vom Boden losreißt, erhebt sie in die ihrer
würdige Sphäre der Freiheit. Nun wird Hand und Arm das
Werkzeug der Werkzeuge und ein besonderer Sinn zur Erkennt-
niß von Raumverhältnissen, durch welchen das Auge unterstützt
wird. Die räumlichen Anschauungen des Menschen müssen un-
gleich entwickelter sein, als die des Thiers. Die Raumanschau-

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[281/0319] ist; oder vielmehr nur dieses flattert frei in der Luft, jenes gar nicht. Der thierische Leib ist ebenso mit seinen vier Füßen an den Boden angeheftet, während der menschliche frei in die Luft hinein ragt. Der fördernde Einfluß dieser freiern Beweg- lichkeit durch die Bewegungsgefühle auf die Intellectualität ist unberechenbar. Hierzu kommen noch zwei andere Punkte, die sich beide auf den Gefühlssinn beziehen. Der thierische Leib ist mit ei- ner dicken starr behaarten Haut überzogen: der menschliche Leib hat eine viel zartere, mit dünnen Haaren besetzte und vie- len Gefühlsorganen versehene Haut. Hierdurch tritt der Mensch in eine viel lebendigere Berührung mit der Außenwelt. Wo das Thier nur dumpf fühlt, gewinnt der Mensch eine bestimmte Empfindungserkenntniß. Viel wichtiger aber noch und die eigentliche Spitze und das Ziel der genannten beiden Einrichtungen des menschlichen Körpers, nämlich der aufrechten Stellung und der zarten Ober- haut, ist die Hand, oder der ganze Arm mit der Hand. Hier erkennt man in wundervoller Weise die Oekonomie, die Spar- samkeit der Natur. Ohne dem Menschen noch andere Glieder zu geben, als dem Thiere, hat sie ihm dennoch mehr Glieder gegeben. Denn indem sie die menschliche Gestalt so einrich- tete, daß zwei Füße denselben Dienst verrichten, welchen dem Thiere vier Füße leisten, konnte sie die beiden andern Füße des Menschen zu Armen mit Händen umgestalten. Diese Glie- der sind die freiesten des menschlichen Körpers; sie bewegen sich nicht bloß nach allen sechs Seiten, vorwärts, rückwärts, rechts, links, nach oben und nach unten, sondern diese Bewe- gungen werden auch noch allseitig combinirt. An die Beweg- lichkeit der Hand, des Daumens, brauche ich nur zu erinnern. Dazu ist die Haut der Finger, besonders der Spitzen, mit dicht- gedrängten kleinen Tastorganen übersäet. Solche Glieder hät- ten schon viel nützen können, selbst wenn sie immer noch zum Gehen verwendet werden müßten. Die aufrechte Stellung aber, indem sie dieselben vom Boden losreißt, erhebt sie in die ihrer würdige Sphäre der Freiheit. Nun wird Hand und Arm das Werkzeug der Werkzeuge und ein besonderer Sinn zur Erkennt- niß von Raumverhältnissen, durch welchen das Auge unterstützt wird. Die räumlichen Anschauungen des Menschen müssen un- gleich entwickelter sein, als die des Thiers. Die Raumanschau-

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/319>, abgerufen am 25.11.2024.