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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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scheidet sich von dem, was es frißt, und von dem Individuum,
mit dem es um den Fraß streitet. Wie weit ist von da zum
Ich des wildesten Wilden! Während man in die Thiere auf
die unkritischeste Weise alles Mögliche hinein deutet, verhält
man sich den Wilden gegenüber rein skeptisch und stellt sich
dieselben viel zu wild vor. Das Ich des Wilden ist von un-
serm gewöhnlichen Ich um kein Haar breit verschieden, wenn
es auch kein Fichtesches Ich ist. Und wenn das Kind sich bei
seinem Namen und als dritte Person nennt: Karl will essen,
statt: ich will; so liegt auch hierin schon mehr, als der klügste
Hund je erreicht, wiewohl es noch gar kein Ich ist. -- ""Aber,
sagt man"", (und sagen auch wir) ""die Anlage dazu ist doch
vorhanden!"" -- "Das sagt man", entgegnet Herbart, "näm-
lich in der Hoffnung, die Metaphysik werde so geduldig sein,
sich die ursprünglichen Anlagen gefallen zu lassen. Wenn sie
nun nicht so geduldig ist, so wird man es schon darauf müssen
ankommen lassen, ob vielleicht eine fortschreitende Psychologie
dies alles als Producte einer Veredlung erklären könne, zu wel-
cher der Mensch wegen der vorzüglichen Hülfsmittel gelangt,
die von der Gunst seines höchsten Bildners ihm sind zugetheilt
worden". -- Bettelgunst wäre sie, wenn sie sich bloß auf Aeu-
ßeres erstreckte, auf Hand und Fuß, und nicht auch auf die
innere Organisation der Seele selbst. "Die ursprünglichen An-
lagen" sind es, wogegen sich Herbart wendet. Wenn wir aber
auch eine ursprünglich angelegte Vernunft, ein ursprüngliches
Bewußtsein vom reinen Ich, eine ursprüngliche Fähigkeit zur
intellectualen, absoluten Anschauung weglassen: so setzt doch
die "Veredelung", deren nur der Mensch fähig ist, eine Mög-
lichkeit, Fähigkeit, Bedingungen, kurz eine Anlage voraus; und
alle diese Bedingungen sollten lediglich mit dem Leibe gegeben
sein? Die Seele des Menschen sollte nicht in sich selbst die al-
lererste und allerkräftigste Bedingung sein? -- Nun auch einmal
eine Thatsache, den vielen schönen Hundegeschichten gegenüber.
Wer ist denn wohl besser gestellt, leiblich betrachtet, ein Hund
im Vollbesitze seiner Sinne, oder ein blindes, taubes, geruch-
und geschmackloses Kind? Den Tastsinn hatte es; aber was ist
die Hand gegen das Auge! Nun also, Hunde und Bären haben
höchstens tanzen gelernt; das blinde und taube Kind Laura

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scheidet sich von dem, was es frißt, und von dem Individuum,
mit dem es um den Fraß streitet. Wie weit ist von da zum
Ich des wildesten Wilden! Während man in die Thiere auf
die unkritischeste Weise alles Mögliche hinein deutet, verhält
man sich den Wilden gegenüber rein skeptisch und stellt sich
dieselben viel zu wild vor. Das Ich des Wilden ist von un-
serm gewöhnlichen Ich um kein Haar breit verschieden, wenn
es auch kein Fichtesches Ich ist. Und wenn das Kind sich bei
seinem Namen und als dritte Person nennt: Karl will essen,
statt: ich will; so liegt auch hierin schon mehr, als der klügste
Hund je erreicht, wiewohl es noch gar kein Ich ist. — „„Aber,
sagt man““, (und sagen auch wir) „„die Anlage dazu ist doch
vorhanden!““ — „Das sagt man“, entgegnet Herbart, „näm-
lich in der Hoffnung, die Metaphysik werde so geduldig sein,
sich die ursprünglichen Anlagen gefallen zu lassen. Wenn sie
nun nicht so geduldig ist, so wird man es schon darauf müssen
ankommen lassen, ob vielleicht eine fortschreitende Psychologie
dies alles als Producte einer Veredlung erklären könne, zu wel-
cher der Mensch wegen der vorzüglichen Hülfsmittel gelangt,
die von der Gunst seines höchsten Bildners ihm sind zugetheilt
worden“. — Bettelgunst wäre sie, wenn sie sich bloß auf Aeu-
ßeres erstreckte, auf Hand und Fuß, und nicht auch auf die
innere Organisation der Seele selbst. „Die ursprünglichen An-
lagen“ sind es, wogegen sich Herbart wendet. Wenn wir aber
auch eine ursprünglich angelegte Vernunft, ein ursprüngliches
Bewußtsein vom reinen Ich, eine ursprüngliche Fähigkeit zur
intellectualen, absoluten Anschauung weglassen: so setzt doch
die „Veredelung“, deren nur der Mensch fähig ist, eine Mög-
lichkeit, Fähigkeit, Bedingungen, kurz eine Anlage voraus; und
alle diese Bedingungen sollten lediglich mit dem Leibe gegeben
sein? Die Seele des Menschen sollte nicht in sich selbst die al-
lererste und allerkräftigste Bedingung sein? — Nun auch einmal
eine Thatsache, den vielen schönen Hundegeschichten gegenüber.
Wer ist denn wohl besser gestellt, leiblich betrachtet, ein Hund
im Vollbesitze seiner Sinne, oder ein blindes, taubes, geruch-
und geschmackloses Kind? Den Tastsinn hatte es; aber was ist
die Hand gegen das Auge! Nun also, Hunde und Bären haben
höchstens tanzen gelernt; das blinde und taube Kind Laura

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[278/0316] sichern Anzeigen zu erschließen vermocht! Das Thier unter- scheidet sich von dem, was es frißt, und von dem Individuum, mit dem es um den Fraß streitet. Wie weit ist von da zum Ich des wildesten Wilden! Während man in die Thiere auf die unkritischeste Weise alles Mögliche hinein deutet, verhält man sich den Wilden gegenüber rein skeptisch und stellt sich dieselben viel zu wild vor. Das Ich des Wilden ist von un- serm gewöhnlichen Ich um kein Haar breit verschieden, wenn es auch kein Fichtesches Ich ist. Und wenn das Kind sich bei seinem Namen und als dritte Person nennt: Karl will essen, statt: ich will; so liegt auch hierin schon mehr, als der klügste Hund je erreicht, wiewohl es noch gar kein Ich ist. — „„Aber, sagt man““, (und sagen auch wir) „„die Anlage dazu ist doch vorhanden!““ — „Das sagt man“, entgegnet Herbart, „näm- lich in der Hoffnung, die Metaphysik werde so geduldig sein, sich die ursprünglichen Anlagen gefallen zu lassen. Wenn sie nun nicht so geduldig ist, so wird man es schon darauf müssen ankommen lassen, ob vielleicht eine fortschreitende Psychologie dies alles als Producte einer Veredlung erklären könne, zu wel- cher der Mensch wegen der vorzüglichen Hülfsmittel gelangt, die von der Gunst seines höchsten Bildners ihm sind zugetheilt worden“. — Bettelgunst wäre sie, wenn sie sich bloß auf Aeu- ßeres erstreckte, auf Hand und Fuß, und nicht auch auf die innere Organisation der Seele selbst. „Die ursprünglichen An- lagen“ sind es, wogegen sich Herbart wendet. Wenn wir aber auch eine ursprünglich angelegte Vernunft, ein ursprüngliches Bewußtsein vom reinen Ich, eine ursprüngliche Fähigkeit zur intellectualen, absoluten Anschauung weglassen: so setzt doch die „Veredelung“, deren nur der Mensch fähig ist, eine Mög- lichkeit, Fähigkeit, Bedingungen, kurz eine Anlage voraus; und alle diese Bedingungen sollten lediglich mit dem Leibe gegeben sein? Die Seele des Menschen sollte nicht in sich selbst die al- lererste und allerkräftigste Bedingung sein? — Nun auch einmal eine Thatsache, den vielen schönen Hundegeschichten gegenüber. Wer ist denn wohl besser gestellt, leiblich betrachtet, ein Hund im Vollbesitze seiner Sinne, oder ein blindes, taubes, geruch- und geschmackloses Kind? Den Tastsinn hatte es; aber was ist die Hand gegen das Auge! Nun also, Hunde und Bären haben höchstens tanzen gelernt; das blinde und taube Kind Laura

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/316>, abgerufen am 25.11.2024.