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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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gen Betragen angemessen" ist. Die Stimmritze des Hundes ist
doch so ungelenk gerade nicht. In seinem Winseln, Bellen und
Heulen liegt eine ganze Scala von Tönen; und Zunge und Kie-
fer sind beweglich genug. Wie? sagt Herbart, die Hunde, "die
auf so mancherlei Weise an menschlichen Angelegenheiten Theil
nehmen; die dem Menschen so gern Folgsamkeit beweisen, und
ihm Hülfe leisten? Also während Papageien und Elstern auf
menschliche Töne merken, und sie nachahmen, ohne von dem,
was der Mensch wünscht und will, das Geringste zu fassen,
kann der Hund, des Jägers und des Hirten treuer und geschick-
ter Gehülfe, nur bellen und heulen, -- oder vielmehr, er könnte
sprechen,
und versucht es doch niemals auch nur im Gering-
sten?" Er spricht vielmehr wirklich, ist die Antwort, und ver-
sucht nicht bloß; er drückt uns durch sein Bellen, Heulen, Win-
seln in sehr verständlicher und durchaus genügender Weise seine
"Theilnahme an menschlichen Angelegenheiten, seine Folgsam-
keit", auch seine Gefühlszustände aus -- was kann mehr ver-
langt werden?

Daß die Hausthiere die menschliche Sprache auch im ent-
ferntesten nicht nachahmen, scheint allerdings in einem physi-
schen Mangel seinen Grund zu haben, aber weniger vielleicht
in ungefügigen Sprachwerkzeugen, als in mangelhaftem Gehör,
welches für die Unterschiede der Articulation keinen Sinn hat.
Hier wird man nun auch wieder ausrufen: Wie, der Hund, der
ein so feines Gehör hat! dem unsere Musik unerträglich ist,
weil er aus dem, was uns vollste Harmonie zu sein scheint,
schreiendste Disharmonie vernimmt! Doch das ist auch wieder
so einer von den völlig unbegründeten Schlüssen, die wir nach
Analogie von uns auf das Thier machen. Weil wir aufschreien,
wenn wir eine Disharmonie hören, meinen wir, der Hund, der
bei der Musik heult, müsse dies auch bloß darum thun, weil
er eine unerträgliche Disharmonie vernimmt. Hätte der Hund
einen so zarten Gehörsnerven, er würde sterben vor seinem ei-
genen ohrzerreißenden, Mark und Bein erschütternden Geheul.

Die Hauptsache also ist, daß die Thiere gerade so viel
Sprache haben, als ihrem ganzen Wesen und ihren Bedürfnis-
sen angemessen ist: Sprache des Gefühls und der Anschauung.
Freudig bellend springt der Hund, der spatzieren geführt wird:
Ausdruck des Gemeingefühls; jämmerlich heult der geschlagene,
winselt der bedrängte: Ausdruck des Gefühls; die Thiere stoßen

gen Betragen angemessen“ ist. Die Stimmritze des Hundes ist
doch so ungelenk gerade nicht. In seinem Winseln, Bellen und
Heulen liegt eine ganze Scala von Tönen; und Zunge und Kie-
fer sind beweglich genug. Wie? sagt Herbart, die Hunde, „die
auf so mancherlei Weise an menschlichen Angelegenheiten Theil
nehmen; die dem Menschen so gern Folgsamkeit beweisen, und
ihm Hülfe leisten? Also während Papageien und Elstern auf
menschliche Töne merken, und sie nachahmen, ohne von dem,
was der Mensch wünscht und will, das Geringste zu fassen,
kann der Hund, des Jägers und des Hirten treuer und geschick-
ter Gehülfe, nur bellen und heulen, — oder vielmehr, er könnte
sprechen,
und versucht es doch niemals auch nur im Gering-
sten?“ Er spricht vielmehr wirklich, ist die Antwort, und ver-
sucht nicht bloß; er drückt uns durch sein Bellen, Heulen, Win-
seln in sehr verständlicher und durchaus genügender Weise seine
„Theilnahme an menschlichen Angelegenheiten, seine Folgsam-
keit“, auch seine Gefühlszustände aus — was kann mehr ver-
langt werden?

Daß die Hausthiere die menschliche Sprache auch im ent-
ferntesten nicht nachahmen, scheint allerdings in einem physi-
schen Mangel seinen Grund zu haben, aber weniger vielleicht
in ungefügigen Sprachwerkzeugen, als in mangelhaftem Gehör,
welches für die Unterschiede der Articulation keinen Sinn hat.
Hier wird man nun auch wieder ausrufen: Wie, der Hund, der
ein so feines Gehör hat! dem unsere Musik unerträglich ist,
weil er aus dem, was uns vollste Harmonie zu sein scheint,
schreiendste Disharmonie vernimmt! Doch das ist auch wieder
so einer von den völlig unbegründeten Schlüssen, die wir nach
Analogie von uns auf das Thier machen. Weil wir aufschreien,
wenn wir eine Disharmonie hören, meinen wir, der Hund, der
bei der Musik heult, müsse dies auch bloß darum thun, weil
er eine unerträgliche Disharmonie vernimmt. Hätte der Hund
einen so zarten Gehörsnerven, er würde sterben vor seinem ei-
genen ohrzerreißenden, Mark und Bein erschütternden Geheul.

Die Hauptsache also ist, daß die Thiere gerade so viel
Sprache haben, als ihrem ganzen Wesen und ihren Bedürfnis-
sen angemessen ist: Sprache des Gefühls und der Anschauung.
Freudig bellend springt der Hund, der spatzieren geführt wird:
Ausdruck des Gemeingefühls; jämmerlich heult der geschlagene,
winselt der bedrängte: Ausdruck des Gefühls; die Thiere stoßen

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[276/0314] gen Betragen angemessen“ ist. Die Stimmritze des Hundes ist doch so ungelenk gerade nicht. In seinem Winseln, Bellen und Heulen liegt eine ganze Scala von Tönen; und Zunge und Kie- fer sind beweglich genug. Wie? sagt Herbart, die Hunde, „die auf so mancherlei Weise an menschlichen Angelegenheiten Theil nehmen; die dem Menschen so gern Folgsamkeit beweisen, und ihm Hülfe leisten? Also während Papageien und Elstern auf menschliche Töne merken, und sie nachahmen, ohne von dem, was der Mensch wünscht und will, das Geringste zu fassen, kann der Hund, des Jägers und des Hirten treuer und geschick- ter Gehülfe, nur bellen und heulen, — oder vielmehr, er könnte sprechen, und versucht es doch niemals auch nur im Gering- sten?“ Er spricht vielmehr wirklich, ist die Antwort, und ver- sucht nicht bloß; er drückt uns durch sein Bellen, Heulen, Win- seln in sehr verständlicher und durchaus genügender Weise seine „Theilnahme an menschlichen Angelegenheiten, seine Folgsam- keit“, auch seine Gefühlszustände aus — was kann mehr ver- langt werden? Daß die Hausthiere die menschliche Sprache auch im ent- ferntesten nicht nachahmen, scheint allerdings in einem physi- schen Mangel seinen Grund zu haben, aber weniger vielleicht in ungefügigen Sprachwerkzeugen, als in mangelhaftem Gehör, welches für die Unterschiede der Articulation keinen Sinn hat. Hier wird man nun auch wieder ausrufen: Wie, der Hund, der ein so feines Gehör hat! dem unsere Musik unerträglich ist, weil er aus dem, was uns vollste Harmonie zu sein scheint, schreiendste Disharmonie vernimmt! Doch das ist auch wieder so einer von den völlig unbegründeten Schlüssen, die wir nach Analogie von uns auf das Thier machen. Weil wir aufschreien, wenn wir eine Disharmonie hören, meinen wir, der Hund, der bei der Musik heult, müsse dies auch bloß darum thun, weil er eine unerträgliche Disharmonie vernimmt. Hätte der Hund einen so zarten Gehörsnerven, er würde sterben vor seinem ei- genen ohrzerreißenden, Mark und Bein erschütternden Geheul. Die Hauptsache also ist, daß die Thiere gerade so viel Sprache haben, als ihrem ganzen Wesen und ihren Bedürfnis- sen angemessen ist: Sprache des Gefühls und der Anschauung. Freudig bellend springt der Hund, der spatzieren geführt wird: Ausdruck des Gemeingefühls; jämmerlich heult der geschlagene, winselt der bedrängte: Ausdruck des Gefühls; die Thiere stoßen

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/314>, abgerufen am 12.05.2024.