Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

zulegen, die Würde der Menschheit zu behaupten, ohne in halt-
lose Uebertreibungen zu gerathen. Der Unterschied mag nicht
so groß sein, wie man sich ihn oft eingebildet hat: er bleibt
immerhin groß genug, um gewisse thierfreundliche Declamatio-
nen und über die Menschheit hinaus sich erstreckende Egalite-
und Fraternite-Gelüste als unfreiwillige Parodien der Bestrebun-
gen dieser Declamatoren selbst erscheinen zu lassen*).

Wir gründen unsere Ansicht vom Vorzuge des Menschen
auf folgenden einfachen Schluß. Zwei gleichartige und gleich
kräftige Ursachen müssen auch gleichartige und gleich kräftige
Wirkungen hervorbringen; finden wir nun letztere in Wirklich-
keit nicht gegeben, so dürfen wir auch erstere nicht annehmen,
müssen im Gegentheil aus der Verschiedenheit zweier Wirkun-

*) In einer Anmerkung sei ein kleiner Excurs gestattet. Beaumarchais,
der Dichter des Barbier von Sevilla, Figaros Hochzeit und der schuldvollen
Mutter, einer der Vorbereiter der französischen Revolution, hatte einen Hund,
auf dessen Halsband er die Inschrift eingraben liefs: Beaumarchais m'appar-
tient
.
Diese hündische Niederträchtigkeit, die sich mit vieler Logik zum Hund
eines Hundes erklärt, ist Rameaus Neffen würdig, eine bezeichnende Aeuße-
rung der Gesellschaft, welcher Beaumarchais und Rameaus Neffe angehören.
Und nun, muß man nicht an die Wunder Hegelscher Dialektik glauben, an
das Umspringen der Gegensätze, wenn man bald darauf in derselben Gesell-
schaft von einer Verkündigung der Menschenrechte hört? Und wenn man an
solche Wunder nicht glaubt, wenn man nach der Logik der exacten Physik
in jeder Folge nur die ihr angemessene Ursache erkennt, wird man sich ent-
halten können, in der Proclamation der Menschenrechte etwas anderes als eine
Lüge zu sehen, würdig der Gesellschaft, der sie entsprang? So müßte man
schließen aus den Prämissen, selbst wenn die Consequenzen, der weitere Ver-
lauf der Revolution unter Marat, dem Terrorismus, Napoleon nicht noch deut-
licher sprächen. Und bis heute hat sich nichts geändert. Und solche Revo-
lutionen weiß man in Deutschland immer noch als große Schöpfungen der
Weltgeschichte zu rühmen! Viel Logik möge man in ihnen sehen -- nur nicht
die Logik des weltgeschichtlichen Geistes; furchtbare Ausbrüche der Lüge,
nicht der Wahrheit. -- Aber wann wird Deutschland aufhören, die wider-
spruchsvolle Erscheinung darzubieten des geistig größten und dennoch un-
selbständigsten Volkes! Nachdem man oben, an den Höfen zuerst, angefangen
hatte, französische Hofsitte einzuführen, hat man auch unten begonnen, fran-
zösische Volksmanier anzunehmen -- Logik und Nemesis! Andere blicken
nach England, wo dicke Finsterniß des Mittelalters an hellem lichtem Tage
herrscht, wo es unter den Protestanten Mönche giebt. Man weiß es vielleicht
in Deutschland nicht, daß z. B. die Lehrer der Colleges der Universität Oxford
sich nicht verheirathen dürfen. Wie arm müssen die reichen Deutschen sein,
die sich zu jenen bettel-mönchischen Protestantisten gesellen! Da bin ich nun
freilich aus einem Excurs von neuem excurrirt. Ich bitte um Entschuldigung.
18

zulegen, die Würde der Menschheit zu behaupten, ohne in halt-
lose Uebertreibungen zu gerathen. Der Unterschied mag nicht
so groß sein, wie man sich ihn oft eingebildet hat: er bleibt
immerhin groß genug, um gewisse thierfreundliche Declamatio-
nen und über die Menschheit hinaus sich erstreckende Égalité-
und Fraternité-Gelüste als unfreiwillige Parodien der Bestrebun-
gen dieser Declamatoren selbst erscheinen zu lassen*).

Wir gründen unsere Ansicht vom Vorzuge des Menschen
auf folgenden einfachen Schluß. Zwei gleichartige und gleich
kräftige Ursachen müssen auch gleichartige und gleich kräftige
Wirkungen hervorbringen; finden wir nun letztere in Wirklich-
keit nicht gegeben, so dürfen wir auch erstere nicht annehmen,
müssen im Gegentheil aus der Verschiedenheit zweier Wirkun-

*) In einer Anmerkung sei ein kleiner Excurs gestattet. Beaumarchais,
der Dichter des Barbier von Sevilla, Figaros Hochzeit und der schuldvollen
Mutter, einer der Vorbereiter der französischen Revolution, hatte einen Hund,
auf dessen Halsband er die Inschrift eingraben liefs: Beaumarchais m’appar-
tient
.
Diese hündische Niederträchtigkeit, die sich mit vieler Logik zum Hund
eines Hundes erklärt, ist Rameaus Neffen würdig, eine bezeichnende Aeuße-
rung der Gesellschaft, welcher Beaumarchais und Rameaus Neffe angehören.
Und nun, muß man nicht an die Wunder Hegelscher Dialektik glauben, an
das Umspringen der Gegensätze, wenn man bald darauf in derselben Gesell-
schaft von einer Verkündigung der Menschenrechte hört? Und wenn man an
solche Wunder nicht glaubt, wenn man nach der Logik der exacten Physik
in jeder Folge nur die ihr angemessene Ursache erkennt, wird man sich ent-
halten können, in der Proclamation der Menschenrechte etwas anderes als eine
Lüge zu sehen, würdig der Gesellschaft, der sie entsprang? So müßte man
schließen aus den Prämissen, selbst wenn die Consequenzen, der weitere Ver-
lauf der Revolution unter Marat, dem Terrorismus, Napoleon nicht noch deut-
licher sprächen. Und bis heute hat sich nichts geändert. Und solche Revo-
lutionen weiß man in Deutschland immer noch als große Schöpfungen der
Weltgeschichte zu rühmen! Viel Logik möge man in ihnen sehen — nur nicht
die Logik des weltgeschichtlichen Geistes; furchtbare Ausbrüche der Lüge,
nicht der Wahrheit. — Aber wann wird Deutschland aufhören, die wider-
spruchsvolle Erscheinung darzubieten des geistig größten und dennoch un-
selbständigsten Volkes! Nachdem man oben, an den Höfen zuerst, angefangen
hatte, französische Hofsitte einzuführen, hat man auch unten begonnen, fran-
zösische Volksmanier anzunehmen — Logik und Nemesis! Andere blicken
nach England, wo dicke Finsterniß des Mittelalters an hellem lichtem Tage
herrscht, wo es unter den Protestanten Mönche giebt. Man weiß es vielleicht
in Deutschland nicht, daß z. B. die Lehrer der Colleges der Universität Oxford
sich nicht verheirathen dürfen. Wie arm müssen die reichen Deutschen sein,
die sich zu jenen bettel-mönchischen Protestantisten gesellen! Da bin ich nun
freilich aus einem Excurs von neuem excurrirt. Ich bitte um Entschuldigung.
18
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0311" n="273"/>
zulegen, die Würde der Menschheit zu behaupten, ohne in halt-<lb/>
lose Uebertreibungen zu gerathen. Der Unterschied mag nicht<lb/>
so groß sein, wie man sich ihn oft eingebildet hat: er bleibt<lb/>
immerhin groß genug, um gewisse thierfreundliche Declamatio-<lb/>
nen und über die Menschheit hinaus sich erstreckende Égalité-<lb/>
und Fraternité-Gelüste als unfreiwillige Parodien der Bestrebun-<lb/>
gen dieser Declamatoren selbst erscheinen zu lassen<note place="foot" n="*)">In einer Anmerkung sei ein kleiner Excurs gestattet. <hi rendition="#g">Beaumarchais,</hi><lb/>
der Dichter des Barbier von Sevilla, Figaros Hochzeit und der schuldvollen<lb/>
Mutter, einer der Vorbereiter der französischen Revolution, hatte einen Hund,<lb/>
auf dessen Halsband er die Inschrift eingraben liefs: <hi rendition="#b"><hi rendition="#i">Beaumarchais m&#x2019;appar-<lb/>
tient</hi>.</hi> Diese hündische Niederträchtigkeit, die sich mit vieler Logik zum Hund<lb/>
eines Hundes erklärt, ist Rameaus Neffen würdig, eine bezeichnende Aeuße-<lb/>
rung der Gesellschaft, welcher Beaumarchais und Rameaus Neffe angehören.<lb/>
Und nun, muß man nicht an die Wunder Hegelscher Dialektik glauben, an<lb/>
das Umspringen der Gegensätze, wenn man bald darauf in derselben Gesell-<lb/>
schaft von einer Verkündigung der Menschenrechte hört? Und wenn man an<lb/>
solche Wunder nicht glaubt, wenn man nach der Logik der exacten Physik<lb/>
in jeder Folge nur die ihr angemessene Ursache erkennt, wird man sich ent-<lb/>
halten können, in der Proclamation der Menschenrechte etwas anderes als eine<lb/>
Lüge zu sehen, würdig der Gesellschaft, der sie entsprang? So müßte man<lb/>
schließen aus den Prämissen, selbst wenn die Consequenzen, der weitere Ver-<lb/>
lauf der Revolution unter Marat, dem Terrorismus, Napoleon nicht noch deut-<lb/>
licher sprächen. Und bis heute hat sich nichts geändert. Und solche Revo-<lb/>
lutionen weiß man in Deutschland immer noch als große Schöpfungen der<lb/>
Weltgeschichte zu rühmen! Viel Logik möge man in ihnen sehen &#x2014; nur nicht<lb/>
die Logik des weltgeschichtlichen Geistes; furchtbare Ausbrüche der Lüge,<lb/>
nicht der Wahrheit. &#x2014; Aber wann wird Deutschland aufhören, die wider-<lb/>
spruchsvolle Erscheinung darzubieten des geistig größten und dennoch un-<lb/>
selbständigsten Volkes! Nachdem man oben, an den Höfen zuerst, angefangen<lb/>
hatte, französische Hofsitte einzuführen, hat man auch unten begonnen, fran-<lb/>
zösische Volksmanier anzunehmen &#x2014; Logik und Nemesis! Andere blicken<lb/>
nach England, wo dicke Finsterniß des Mittelalters an hellem lichtem Tage<lb/>
herrscht, wo es unter den Protestanten Mönche giebt. Man weiß es vielleicht<lb/>
in Deutschland nicht, daß z. B. die Lehrer der Colleges der Universität Oxford<lb/>
sich nicht verheirathen dürfen. Wie arm müssen die reichen Deutschen sein,<lb/>
die sich zu jenen bettel-mönchischen Protestantisten gesellen! Da bin ich nun<lb/>
freilich aus einem Excurs von neuem excurrirt. Ich bitte um Entschuldigung.</note>.</p><lb/>
                <p>Wir gründen unsere Ansicht vom Vorzuge des Menschen<lb/>
auf folgenden einfachen Schluß. Zwei gleichartige und gleich<lb/>
kräftige Ursachen müssen auch gleichartige und gleich kräftige<lb/>
Wirkungen hervorbringen; finden wir nun letztere in Wirklich-<lb/>
keit nicht gegeben, so dürfen wir auch erstere nicht annehmen,<lb/>
müssen im Gegentheil aus der Verschiedenheit zweier Wirkun-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">18</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[273/0311] zulegen, die Würde der Menschheit zu behaupten, ohne in halt- lose Uebertreibungen zu gerathen. Der Unterschied mag nicht so groß sein, wie man sich ihn oft eingebildet hat: er bleibt immerhin groß genug, um gewisse thierfreundliche Declamatio- nen und über die Menschheit hinaus sich erstreckende Égalité- und Fraternité-Gelüste als unfreiwillige Parodien der Bestrebun- gen dieser Declamatoren selbst erscheinen zu lassen *). Wir gründen unsere Ansicht vom Vorzuge des Menschen auf folgenden einfachen Schluß. Zwei gleichartige und gleich kräftige Ursachen müssen auch gleichartige und gleich kräftige Wirkungen hervorbringen; finden wir nun letztere in Wirklich- keit nicht gegeben, so dürfen wir auch erstere nicht annehmen, müssen im Gegentheil aus der Verschiedenheit zweier Wirkun- *) In einer Anmerkung sei ein kleiner Excurs gestattet. Beaumarchais, der Dichter des Barbier von Sevilla, Figaros Hochzeit und der schuldvollen Mutter, einer der Vorbereiter der französischen Revolution, hatte einen Hund, auf dessen Halsband er die Inschrift eingraben liefs: Beaumarchais m’appar- tient. Diese hündische Niederträchtigkeit, die sich mit vieler Logik zum Hund eines Hundes erklärt, ist Rameaus Neffen würdig, eine bezeichnende Aeuße- rung der Gesellschaft, welcher Beaumarchais und Rameaus Neffe angehören. Und nun, muß man nicht an die Wunder Hegelscher Dialektik glauben, an das Umspringen der Gegensätze, wenn man bald darauf in derselben Gesell- schaft von einer Verkündigung der Menschenrechte hört? Und wenn man an solche Wunder nicht glaubt, wenn man nach der Logik der exacten Physik in jeder Folge nur die ihr angemessene Ursache erkennt, wird man sich ent- halten können, in der Proclamation der Menschenrechte etwas anderes als eine Lüge zu sehen, würdig der Gesellschaft, der sie entsprang? So müßte man schließen aus den Prämissen, selbst wenn die Consequenzen, der weitere Ver- lauf der Revolution unter Marat, dem Terrorismus, Napoleon nicht noch deut- licher sprächen. Und bis heute hat sich nichts geändert. Und solche Revo- lutionen weiß man in Deutschland immer noch als große Schöpfungen der Weltgeschichte zu rühmen! Viel Logik möge man in ihnen sehen — nur nicht die Logik des weltgeschichtlichen Geistes; furchtbare Ausbrüche der Lüge, nicht der Wahrheit. — Aber wann wird Deutschland aufhören, die wider- spruchsvolle Erscheinung darzubieten des geistig größten und dennoch un- selbständigsten Volkes! Nachdem man oben, an den Höfen zuerst, angefangen hatte, französische Hofsitte einzuführen, hat man auch unten begonnen, fran- zösische Volksmanier anzunehmen — Logik und Nemesis! Andere blicken nach England, wo dicke Finsterniß des Mittelalters an hellem lichtem Tage herrscht, wo es unter den Protestanten Mönche giebt. Man weiß es vielleicht in Deutschland nicht, daß z. B. die Lehrer der Colleges der Universität Oxford sich nicht verheirathen dürfen. Wie arm müssen die reichen Deutschen sein, die sich zu jenen bettel-mönchischen Protestantisten gesellen! Da bin ich nun freilich aus einem Excurs von neuem excurrirt. Ich bitte um Entschuldigung. 18

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/311
Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/311>, abgerufen am 25.11.2024.