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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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kann; aber nicht ebenso Bedeutungslehre. Die dargelegte Ver-
wirrung ihrer Verhältnisse aber zeigt, wie wichtig ein Name
sein kann.

Ich habe hier von der Bedeutungslehre gesprochen, wie ich
sie, von einer allgemeinen Anschauung und von Begriffen aus-
gehend, nicht anders auffassen kann, muß aber abwarten, wie
ein Mann, wie Hr. Haase, die Sache ansehen wird, der sich
die specielle Bearbeitung der Bedeutungslehre auf klassischem
Sprachgebiete zur besonderen Lebensaufgabe gestellt zu haben
scheint. Was er in der Halleschen Literaturzeitung von 1838
ausgesprochen hat, nämlich seine Abneigung gegen logisches
Schematisiren in der Grammatik und Anerkennung der Indivi-
dualität der Sprachen, läßt mich hoffen, daß wir zusammentref-
fen werden, so verschieden auch unsere Ausgangspunkte sein
mögen. Es führen viele Wege zur Wahrheit, und nicht bloß
einer, nicht bloß gerade dieses Buch und dieser Philosoph, wie
der Dogmatiker meint.

Was nun endlich die Darstellung betrifft, so hoffe ich,
vorliegendes Buch werde klarer sein, als alles, was ich früher
veröffentlicht habe, sowohl wegen der Ausführlichkeit, als auch
wegen der bessern Form. Das muß man freilich nie erwarten,
daß philosophische Untersuchungen über die schwierigsten Pro-
bleme der Wissenschaft im Gewande der gemeinen Umgangs-
und Haussprache erscheinen. Die Philosophie, wie jede Wis-
senschaft, hat ihre Kunstausdrücke, und die strenge Entwicke-
lung von Begriffen, die genaue Verfolgung und sorgfältige Schei-
dung psychologischer Thatsachen wird immer Anstrengung von
Seiten des Lesers erfordern. Der leichtsinnige Recensent, der
selbst eingesteht, daß er mich nicht verstehe und sich beklagt
über meinen "Hang, Dinge, die sich einfach mit wenigen Wor-
ten sagen ließen, durch philosophischen Phrasenkram aufzu-
stutzen," sollte doch bedenken, wenn er denken könnte, daß
er nicht im mindesten wissen kann, ob etwas, was ihm dunkel
und unverständlich geblieben ist, sich mit einfachen Worten
sagen lasse. Montaigne fragt: Ne tient-il qu'aux mots, qu'ils
n'entendent tout ce qu'ils trouvent par escrit?
Aber wie kann

kann; aber nicht ebenso Bedeutungslehre. Die dargelegte Ver-
wirrung ihrer Verhältnisse aber zeigt, wie wichtig ein Name
sein kann.

Ich habe hier von der Bedeutungslehre gesprochen, wie ich
sie, von einer allgemeinen Anschauung und von Begriffen aus-
gehend, nicht anders auffassen kann, muß aber abwarten, wie
ein Mann, wie Hr. Haase, die Sache ansehen wird, der sich
die specielle Bearbeitung der Bedeutungslehre auf klassischem
Sprachgebiete zur besonderen Lebensaufgabe gestellt zu haben
scheint. Was er in der Halleschen Literaturzeitung von 1838
ausgesprochen hat, nämlich seine Abneigung gegen logisches
Schematisiren in der Grammatik und Anerkennung der Indivi-
dualität der Sprachen, läßt mich hoffen, daß wir zusammentref-
fen werden, so verschieden auch unsere Ausgangspunkte sein
mögen. Es führen viele Wege zur Wahrheit, und nicht bloß
einer, nicht bloß gerade dieses Buch und dieser Philosoph, wie
der Dogmatiker meint.

Was nun endlich die Darstellung betrifft, so hoffe ich,
vorliegendes Buch werde klarer sein, als alles, was ich früher
veröffentlicht habe, sowohl wegen der Ausführlichkeit, als auch
wegen der bessern Form. Das muß man freilich nie erwarten,
daß philosophische Untersuchungen über die schwierigsten Pro-
bleme der Wissenschaft im Gewande der gemeinen Umgangs-
und Haussprache erscheinen. Die Philosophie, wie jede Wis-
senschaft, hat ihre Kunstausdrücke, und die strenge Entwicke-
lung von Begriffen, die genaue Verfolgung und sorgfältige Schei-
dung psychologischer Thatsachen wird immer Anstrengung von
Seiten des Lesers erfordern. Der leichtsinnige Recensent, der
selbst eingesteht, daß er mich nicht verstehe und sich beklagt
über meinen „Hang, Dinge, die sich einfach mit wenigen Wor-
ten sagen ließen, durch philosophischen Phrasenkram aufzu-
stutzen,“ sollte doch bedenken, wenn er denken könnte, daß
er nicht im mindesten wissen kann, ob etwas, was ihm dunkel
und unverständlich geblieben ist, sich mit einfachen Worten
sagen lasse. Montaigne fragt: Ne tient-il qu’aux mots, qu’ils
n’entendent tout ce qu’ils trouvent par escrit?
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[XXIV/0030] kann; aber nicht ebenso Bedeutungslehre. Die dargelegte Ver- wirrung ihrer Verhältnisse aber zeigt, wie wichtig ein Name sein kann. Ich habe hier von der Bedeutungslehre gesprochen, wie ich sie, von einer allgemeinen Anschauung und von Begriffen aus- gehend, nicht anders auffassen kann, muß aber abwarten, wie ein Mann, wie Hr. Haase, die Sache ansehen wird, der sich die specielle Bearbeitung der Bedeutungslehre auf klassischem Sprachgebiete zur besonderen Lebensaufgabe gestellt zu haben scheint. Was er in der Halleschen Literaturzeitung von 1838 ausgesprochen hat, nämlich seine Abneigung gegen logisches Schematisiren in der Grammatik und Anerkennung der Indivi- dualität der Sprachen, läßt mich hoffen, daß wir zusammentref- fen werden, so verschieden auch unsere Ausgangspunkte sein mögen. Es führen viele Wege zur Wahrheit, und nicht bloß einer, nicht bloß gerade dieses Buch und dieser Philosoph, wie der Dogmatiker meint. Was nun endlich die Darstellung betrifft, so hoffe ich, vorliegendes Buch werde klarer sein, als alles, was ich früher veröffentlicht habe, sowohl wegen der Ausführlichkeit, als auch wegen der bessern Form. Das muß man freilich nie erwarten, daß philosophische Untersuchungen über die schwierigsten Pro- bleme der Wissenschaft im Gewande der gemeinen Umgangs- und Haussprache erscheinen. Die Philosophie, wie jede Wis- senschaft, hat ihre Kunstausdrücke, und die strenge Entwicke- lung von Begriffen, die genaue Verfolgung und sorgfältige Schei- dung psychologischer Thatsachen wird immer Anstrengung von Seiten des Lesers erfordern. Der leichtsinnige Recensent, der selbst eingesteht, daß er mich nicht verstehe und sich beklagt über meinen „Hang, Dinge, die sich einfach mit wenigen Wor- ten sagen ließen, durch philosophischen Phrasenkram aufzu- stutzen,“ sollte doch bedenken, wenn er denken könnte, daß er nicht im mindesten wissen kann, ob etwas, was ihm dunkel und unverständlich geblieben ist, sich mit einfachen Worten sagen lasse. Montaigne fragt: Ne tient-il qu’aux mots, qu’ils n’entendent tout ce qu’ils trouvent par escrit? Aber wie kann

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. XXIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/30>, abgerufen am 29.03.2024.