welches von der Empfindung zu unterscheiden ist. Die nie- drigsten Thierarten dürften leicht bloß Gefühl ohne Empfindung haben. Ersteres hängt von den Nerven und dem Gehirn oder Centralorgan ab, letztere von den Sinnesorganen. Das Gefühl ist überall im Körper, wo Nerven sind, wenn diese mit dem Centralorgan in unverletztem Zusammenhange stehen; die Em- pfindung verlangt zu ihrer Wirksamkeit eine ganz besondere Einrichtung, einen Sinn, wie wir deren fünf haben. Den fünften Sinn nennt man Gefühl; man muß aber auch diesen Gefühls- sinn, wie man ihn genauer bezeichnen könnte, vom Gefühl un- terscheiden; und das ist nicht schwer. Der Gefühlssinn, auch Tastsinn genannt, unterscheidet zuerst Bestimmungen der Ober- fläche der Körper, das Glatte und Rauhe, Harte und Weiche, Stumpfe und Spitze oder Scharfe, auch die räumliche Ausdeh- nung und Form, das Dicke und Dünne, Breite und Schmale, das Eckige und Runde -- wie das Auge; und der Tastsinn ist ein grober Gesichtssinn, aber eben darum für die Erkenntniß wichtiger, als Geruch und Geschmack. Er lehrt auch Gewichts- bestimmungen, das Schwere und das Leichte, und Temperatur- Unterschiede, also das Warme und Kalte.
Der Unterschied zwischen Gefühlssinn und Gefühl ist nun folgender. Wer die Hand -- oder überhaupt den Körper -- dem Feuer nahe bringt, der hat vermöge des Gefühlssinnes die Empfindung der Wärme; wer sie aber ins Feuer selbst, in die Flamme, steckt, glühendes Eisen berührt, in siedendes Wasser taucht, der fühlt einen Schmerz, der nichts mehr mit der Wahr- nehmung der Wärme gemein hat. Wenn man Schnee berührt, so nimmt man Kälte wahr; wenn man aber die Hand längere Zeit strenger Kälte aussetzt, so schmerzt sie eben so, als wäre sie gebrannt.
Lust und Unlust, angenehm und unangenehm, das sind die beiden allgemeinen Kategorien des Gefühls. Es beruht auf sub- jectiven Zuständen, Veränderungen, Leiden, Förderungen des eigenen Körpers. Der Gefühlssinn dagegen, wie alle Sinne, lie- fert durch die Empfindungen Erkenntnisse von äußern objec- tiven Verhältnissen, welche Wahrnehmungen immer noch mit ei- nem Gefühl des Angenehmen und Unangenehmen verbunden, von ihm begleitet sein mögen. Der kranke Finger erregt nur das Gefühl des Schmerzes, liefert aber keine Erkenntniß mehr, ist empfindungslos; was er auch berührt, alles reizt ihn in glei-
welches von der Empfindung zu unterscheiden ist. Die nie- drigsten Thierarten dürften leicht bloß Gefühl ohne Empfindung haben. Ersteres hängt von den Nerven und dem Gehirn oder Centralorgan ab, letztere von den Sinnesorganen. Das Gefühl ist überall im Körper, wo Nerven sind, wenn diese mit dem Centralorgan in unverletztem Zusammenhange stehen; die Em- pfindung verlangt zu ihrer Wirksamkeit eine ganz besondere Einrichtung, einen Sinn, wie wir deren fünf haben. Den fünften Sinn nennt man Gefühl; man muß aber auch diesen Gefühls- sinn, wie man ihn genauer bezeichnen könnte, vom Gefühl un- terscheiden; und das ist nicht schwer. Der Gefühlssinn, auch Tastsinn genannt, unterscheidet zuerst Bestimmungen der Ober- fläche der Körper, das Glatte und Rauhe, Harte und Weiche, Stumpfe und Spitze oder Scharfe, auch die räumliche Ausdeh- nung und Form, das Dicke und Dünne, Breite und Schmale, das Eckige und Runde — wie das Auge; und der Tastsinn ist ein grober Gesichtssinn, aber eben darum für die Erkenntniß wichtiger, als Geruch und Geschmack. Er lehrt auch Gewichts- bestimmungen, das Schwere und das Leichte, und Temperatur- Unterschiede, also das Warme und Kalte.
Der Unterschied zwischen Gefühlssinn und Gefühl ist nun folgender. Wer die Hand — oder überhaupt den Körper — dem Feuer nahe bringt, der hat vermöge des Gefühlssinnes die Empfindung der Wärme; wer sie aber ins Feuer selbst, in die Flamme, steckt, glühendes Eisen berührt, in siedendes Wasser taucht, der fühlt einen Schmerz, der nichts mehr mit der Wahr- nehmung der Wärme gemein hat. Wenn man Schnee berührt, so nimmt man Kälte wahr; wenn man aber die Hand längere Zeit strenger Kälte aussetzt, so schmerzt sie eben so, als wäre sie gebrannt.
Lust und Unlust, angenehm und unangenehm, das sind die beiden allgemeinen Kategorien des Gefühls. Es beruht auf sub- jectiven Zuständen, Veränderungen, Leiden, Förderungen des eigenen Körpers. Der Gefühlssinn dagegen, wie alle Sinne, lie- fert durch die Empfindungen Erkenntnisse von äußern objec- tiven Verhältnissen, welche Wahrnehmungen immer noch mit ei- nem Gefühl des Angenehmen und Unangenehmen verbunden, von ihm begleitet sein mögen. Der kranke Finger erregt nur das Gefühl des Schmerzes, liefert aber keine Erkenntniß mehr, ist empfindungslos; was er auch berührt, alles reizt ihn in glei-
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welches von der Empfindung zu unterscheiden ist. Die nie-
drigsten Thierarten dürften leicht bloß Gefühl ohne Empfindung
haben. Ersteres hängt von den Nerven und dem Gehirn oder
Centralorgan ab, letztere von den Sinnesorganen. Das Gefühl
ist überall im Körper, wo Nerven sind, wenn diese mit dem
Centralorgan in unverletztem Zusammenhange stehen; die Em-
pfindung verlangt zu ihrer Wirksamkeit eine ganz besondere
Einrichtung, einen Sinn, wie wir deren fünf haben. Den fünften
Sinn nennt man Gefühl; man muß aber auch diesen Gefühls-
sinn, wie man ihn genauer bezeichnen könnte, vom Gefühl un-
terscheiden; und das ist nicht schwer. Der Gefühlssinn, auch
Tastsinn genannt, unterscheidet zuerst Bestimmungen der Ober-
fläche der Körper, das Glatte und Rauhe, Harte und Weiche,
Stumpfe und Spitze oder Scharfe, auch die räumliche Ausdeh-
nung und Form, das Dicke und Dünne, Breite und Schmale,
das Eckige und Runde — wie das Auge; und der Tastsinn ist
ein grober Gesichtssinn, aber eben darum für die Erkenntniß
wichtiger, als Geruch und Geschmack. Er lehrt auch Gewichts-
bestimmungen, das Schwere und das Leichte, und Temperatur-
Unterschiede, also das Warme und Kalte.
Der Unterschied zwischen Gefühlssinn und Gefühl ist nun
folgender. Wer die Hand — oder überhaupt den Körper —
dem Feuer nahe bringt, der hat vermöge des Gefühlssinnes die
Empfindung der Wärme; wer sie aber ins Feuer selbst, in die
Flamme, steckt, glühendes Eisen berührt, in siedendes Wasser
taucht, der fühlt einen Schmerz, der nichts mehr mit der Wahr-
nehmung der Wärme gemein hat. Wenn man Schnee berührt,
so nimmt man Kälte wahr; wenn man aber die Hand längere
Zeit strenger Kälte aussetzt, so schmerzt sie eben so, als wäre
sie gebrannt.
Lust und Unlust, angenehm und unangenehm, das sind die
beiden allgemeinen Kategorien des Gefühls. Es beruht auf sub-
jectiven Zuständen, Veränderungen, Leiden, Förderungen des
eigenen Körpers. Der Gefühlssinn dagegen, wie alle Sinne, lie-
fert durch die Empfindungen Erkenntnisse von äußern objec-
tiven Verhältnissen, welche Wahrnehmungen immer noch mit ei-
nem Gefühl des Angenehmen und Unangenehmen verbunden,
von ihm begleitet sein mögen. Der kranke Finger erregt nur
das Gefühl des Schmerzes, liefert aber keine Erkenntniß mehr,
ist empfindungslos; was er auch berührt, alles reizt ihn in glei-
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/274>, abgerufen am 22.11.2024.
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