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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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hat, deren Aufklärung sie vielmehr allein von der Philosophie
erwarten muß." Nur ob sie das gerade von der Friesisch-Kan-
tischen Philosophie zu erwarten hat, sei zu bezweifeln erlaubt.

Wir sind hinaus über den Gegensatz von Theorie und Em-
pirie, a priori und a posteriori. -- Hr. Aufrecht hält die Sprach-
philosophie für verfrüht. Das will in Wahrheit doch nur sagen,
daß er das Bedürfniß derselben nicht fühlt, nicht begreift, noch
weniger die Mittel kennt, dasselbe zu befriedigen. Statt des
Vielen, was hier zur Berechtigung dieses Bedürfnisses, über sei-
nen Umfang und über seine Bedeutung und endlich über das
Streben und die Möglichkeit es zu befriedigen, gesagt werden
könnte, stellen wir vielmehr die Frage, ob nicht, nach Hrn. Auf-
rechts strenger Ansicht, die Sprachphilosophie auf die griechi-
schen Kalenden zu verschieben sei.

Wenn jemand bekennt; "ich bilde mir nicht ein etwas Rech-
tes zu wissen," so ist zu bedenken, wie Faust diesen seinen
Ausspruch erklärt, indem er weiterhin sagt:

"Ihr Instrumente freilich spottet mein,
Mit Rad und Kämmen, Walz' und Bügel.
Ich stand am Thor, ihr solltet Schlüssel sein;
Zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel.
Geheimnißvoll am lichten Tag,
Läßt sich Natur des Schleiers nicht berauben,
Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag,
Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben."

Wenn ihr Göthe verstehen wollt, so eignet euch sein "Ver-
mächtniß" an.

Hr. Schleiden hat sich neuerdings noch einmal ganz ent-
schieden dahin erklärt, alle Streitigkeiten in der Wissenschaft
rührten bloß von der Methode her; und sobald man sich nur
erst über diese verständigt habe, so würde der ewige Friede da
sein. Es gäbe nämlich überall nur zwei Methoden: die gute
und die schlechte ("im Garten gehn zwei Schafe, ein schwar-
zes und ein weißes"); die gute ist nach ihm die naturwis-
senschaftliche,
die schlechte ist die historische; erstere
ist Selbstdenken, letztere ist Autoritätsglaube.

*

hat, deren Aufklärung sie vielmehr allein von der Philosophie
erwarten muß.“ Nur ob sie das gerade von der Friesisch-Kan-
tischen Philosophie zu erwarten hat, sei zu bezweifeln erlaubt.

Wir sind hinaus über den Gegensatz von Theorie und Em-
pirie, a priori und a posteriori. — Hr. Aufrecht hält die Sprach-
philosophie für verfrüht. Das will in Wahrheit doch nur sagen,
daß er das Bedürfniß derselben nicht fühlt, nicht begreift, noch
weniger die Mittel kennt, dasselbe zu befriedigen. Statt des
Vielen, was hier zur Berechtigung dieses Bedürfnisses, über sei-
nen Umfang und über seine Bedeutung und endlich über das
Streben und die Möglichkeit es zu befriedigen, gesagt werden
könnte, stellen wir vielmehr die Frage, ob nicht, nach Hrn. Auf-
rechts strenger Ansicht, die Sprachphilosophie auf die griechi-
schen Kalenden zu verschieben sei.

Wenn jemand bekennt; „ich bilde mir nicht ein etwas Rech-
tes zu wissen,“ so ist zu bedenken, wie Faust diesen seinen
Ausspruch erklärt, indem er weiterhin sagt:

„Ihr Instrumente freilich spottet mein,
Mit Rad und Kämmen, Walz’ und Bügel.
Ich stand am Thor, ihr solltet Schlüssel sein;
Zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel.
Geheimnißvoll am lichten Tag,
Läßt sich Natur des Schleiers nicht berauben,
Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag,
Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben.“

Wenn ihr Göthe verstehen wollt, so eignet euch sein „Ver-
mächtniß“ an.

Hr. Schleiden hat sich neuerdings noch einmal ganz ent-
schieden dahin erklärt, alle Streitigkeiten in der Wissenschaft
rührten bloß von der Methode her; und sobald man sich nur
erst über diese verständigt habe, so würde der ewige Friede da
sein. Es gäbe nämlich überall nur zwei Methoden: die gute
und die schlechte („im Garten gehn zwei Schafe, ein schwar-
zes und ein weißes“); die gute ist nach ihm die naturwis-
senschaftliche,
die schlechte ist die historische; erstere
ist Selbstdenken, letztere ist Autoritätsglaube.

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[XVII/0023] hat, deren Aufklärung sie vielmehr allein von der Philosophie erwarten muß.“ Nur ob sie das gerade von der Friesisch-Kan- tischen Philosophie zu erwarten hat, sei zu bezweifeln erlaubt. Wir sind hinaus über den Gegensatz von Theorie und Em- pirie, a priori und a posteriori. — Hr. Aufrecht hält die Sprach- philosophie für verfrüht. Das will in Wahrheit doch nur sagen, daß er das Bedürfniß derselben nicht fühlt, nicht begreift, noch weniger die Mittel kennt, dasselbe zu befriedigen. Statt des Vielen, was hier zur Berechtigung dieses Bedürfnisses, über sei- nen Umfang und über seine Bedeutung und endlich über das Streben und die Möglichkeit es zu befriedigen, gesagt werden könnte, stellen wir vielmehr die Frage, ob nicht, nach Hrn. Auf- rechts strenger Ansicht, die Sprachphilosophie auf die griechi- schen Kalenden zu verschieben sei. Wenn jemand bekennt; „ich bilde mir nicht ein etwas Rech- tes zu wissen,“ so ist zu bedenken, wie Faust diesen seinen Ausspruch erklärt, indem er weiterhin sagt: „Ihr Instrumente freilich spottet mein, Mit Rad und Kämmen, Walz’ und Bügel. Ich stand am Thor, ihr solltet Schlüssel sein; Zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel. Geheimnißvoll am lichten Tag, Läßt sich Natur des Schleiers nicht berauben, Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag, Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben.“ Wenn ihr Göthe verstehen wollt, so eignet euch sein „Ver- mächtniß“ an. Hr. Schleiden hat sich neuerdings noch einmal ganz ent- schieden dahin erklärt, alle Streitigkeiten in der Wissenschaft rührten bloß von der Methode her; und sobald man sich nur erst über diese verständigt habe, so würde der ewige Friede da sein. Es gäbe nämlich überall nur zwei Methoden: die gute und die schlechte („im Garten gehn zwei Schafe, ein schwar- zes und ein weißes“); die gute ist nach ihm die naturwis- senschaftliche, die schlechte ist die historische; erstere ist Selbstdenken, letztere ist Autoritätsglaube. *

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. XVII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/23>, abgerufen am 23.04.2024.