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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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Anm.). Er erinnert, "daß der Begriff der Inhärenz, durch den
man die Anknüpfung des Prädicats an das Subject im sogenann-
ten kategorischen Urtheile zu bestimmen glaubt, selbst gänzlich
unbestimmt und unbestimmbar ist, so daß er nichts mehr, als
Verknüpfung überhaupt bedeutet. Z. B. in dem Urtheile: diese
Begebenheit ist erfreulich
, wird Niemand die Eigenschaft zu er-
freuen für eine zum Ereignisse selbst gehörige, ihm eigentlich
inhärirende Bestimmung halten, da sich dieselbe bloß auf sub-
jective Gefühle bezieht"; und Herbart fügt hinzu: "daß der
Begriff der Dependenz eben so unbestimmt ist und eben so ver-
geblich zum ausschließenden Merkmale des hypothetischen Ur-
theils gemacht wird. Sehr viele dergleichen Urtheile bezeichnen
bloß die wahrgenommene Verknüpfung zweier Ereignisse,
von denen man noch nicht weiß, sondern vielleicht eben jetzt
fragt, welches davon als Grund, und welches als Folge, oder
ob beide als Folgen eines Grundes anzusehen seien. Wer die
Natur des Barometers noch nicht kennt, der könnte gleichwohl
seine Bemerkung aussprechen: wenn es schönes Wetter sei, so
stehe gewöhnlich das Quecksilber hoch;
und nun würde ihm die
doppelte Frage natürlich sein: welches ist die Ursache, welches
die Wirkung? -- und welches ist anzusehen als das Zeichen
des andern? Hier wäre Ungewißheit sowohl wegen des Real-
grundes, als wegen des Erkenntnißgrundes; und gleichwohl, dies
bei Seite gesetzt,
bestünde das hypothetische Urtheil als
Aussage einer bloßen Verknüpfung. -- Hiermit fällt
zwar nicht der Unterschied zwischen Inhärenz und Dependenz
überhaupt hinweg, aber er hört auf, die Urtheile zu charakte-
risiren." Nun wüßte ich aber nicht, durch welches andere cha-
rakteristische Merkmal man das kategorische und hypothetische
Urtheil unterscheiden könnte; ja oben haben wir schon gezeigt,
daß das hypothetische Urtheil sich durch ein kategorisches voll-
ständig, seinem ganzen Inhalte nach, wiedergeben läßt, und also
fallen beide Urtheile zusammen und sind nur durch den sprach-
lichen Ausdruck geschieden, d. h. grammatisch, aber nicht lo-
gisch verschieden.

Wir haben zwar hier Hülfe von Herbart entlehnt, stehen
aber mit unserer Ansicht ihm noch mehr entgegen, als den an-
dern Logikern. Herbart nämlich läugnet nur, daß die Begriffe
Inhärenz und Dependenz den Unterschied zwischen kate-
gorischen und hypothetischen Urtheilen begründeten, hält aber

Anm.). Er erinnert, „daß der Begriff der Inhärenz, durch den
man die Anknüpfung des Prädicats an das Subject im sogenann-
ten kategorischen Urtheile zu bestimmen glaubt, selbst gänzlich
unbestimmt und unbestimmbar ist, so daß er nichts mehr, als
Verknüpfung überhaupt bedeutet. Z. B. in dem Urtheile: diese
Begebenheit ist erfreulich
, wird Niemand die Eigenschaft zu er-
freuen für eine zum Ereignisse selbst gehörige, ihm eigentlich
inhärirende Bestimmung halten, da sich dieselbe bloß auf sub-
jective Gefühle bezieht“; und Herbart fügt hinzu: „daß der
Begriff der Dependenz eben so unbestimmt ist und eben so ver-
geblich zum ausschließenden Merkmale des hypothetischen Ur-
theils gemacht wird. Sehr viele dergleichen Urtheile bezeichnen
bloß die wahrgenommene Verknüpfung zweier Ereignisse,
von denen man noch nicht weiß, sondern vielleicht eben jetzt
fragt, welches davon als Grund, und welches als Folge, oder
ob beide als Folgen eines Grundes anzusehen seien. Wer die
Natur des Barometers noch nicht kennt, der könnte gleichwohl
seine Bemerkung aussprechen: wenn es schönes Wetter sei, so
stehe gewöhnlich das Quecksilber hoch;
und nun würde ihm die
doppelte Frage natürlich sein: welches ist die Ursache, welches
die Wirkung? — und welches ist anzusehen als das Zeichen
des andern? Hier wäre Ungewißheit sowohl wegen des Real-
grundes, als wegen des Erkenntnißgrundes; und gleichwohl, dies
bei Seite gesetzt,
bestünde das hypothetische Urtheil als
Aussage einer bloßen Verknüpfung. — Hiermit fällt
zwar nicht der Unterschied zwischen Inhärenz und Dependenz
überhaupt hinweg, aber er hört auf, die Urtheile zu charakte-
risiren.“ Nun wüßte ich aber nicht, durch welches andere cha-
rakteristische Merkmal man das kategorische und hypothetische
Urtheil unterscheiden könnte; ja oben haben wir schon gezeigt,
daß das hypothetische Urtheil sich durch ein kategorisches voll-
ständig, seinem ganzen Inhalte nach, wiedergeben läßt, und also
fallen beide Urtheile zusammen und sind nur durch den sprach-
lichen Ausdruck geschieden, d. h. grammatisch, aber nicht lo-
gisch verschieden.

Wir haben zwar hier Hülfe von Herbart entlehnt, stehen
aber mit unserer Ansicht ihm noch mehr entgegen, als den an-
dern Logikern. Herbart nämlich läugnet nur, daß die Begriffe
Inhärenz und Dependenz den Unterschied zwischen kate-
gorischen und hypothetischen Urtheilen begründeten, hält aber

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[172/0210] Anm.). Er erinnert, „daß der Begriff der Inhärenz, durch den man die Anknüpfung des Prädicats an das Subject im sogenann- ten kategorischen Urtheile zu bestimmen glaubt, selbst gänzlich unbestimmt und unbestimmbar ist, so daß er nichts mehr, als Verknüpfung überhaupt bedeutet. Z. B. in dem Urtheile: diese Begebenheit ist erfreulich, wird Niemand die Eigenschaft zu er- freuen für eine zum Ereignisse selbst gehörige, ihm eigentlich inhärirende Bestimmung halten, da sich dieselbe bloß auf sub- jective Gefühle bezieht“; und Herbart fügt hinzu: „daß der Begriff der Dependenz eben so unbestimmt ist und eben so ver- geblich zum ausschließenden Merkmale des hypothetischen Ur- theils gemacht wird. Sehr viele dergleichen Urtheile bezeichnen bloß die wahrgenommene Verknüpfung zweier Ereignisse, von denen man noch nicht weiß, sondern vielleicht eben jetzt fragt, welches davon als Grund, und welches als Folge, oder ob beide als Folgen eines Grundes anzusehen seien. Wer die Natur des Barometers noch nicht kennt, der könnte gleichwohl seine Bemerkung aussprechen: wenn es schönes Wetter sei, so stehe gewöhnlich das Quecksilber hoch; und nun würde ihm die doppelte Frage natürlich sein: welches ist die Ursache, welches die Wirkung? — und welches ist anzusehen als das Zeichen des andern? Hier wäre Ungewißheit sowohl wegen des Real- grundes, als wegen des Erkenntnißgrundes; und gleichwohl, dies bei Seite gesetzt, bestünde das hypothetische Urtheil als Aussage einer bloßen Verknüpfung. — Hiermit fällt zwar nicht der Unterschied zwischen Inhärenz und Dependenz überhaupt hinweg, aber er hört auf, die Urtheile zu charakte- risiren.“ Nun wüßte ich aber nicht, durch welches andere cha- rakteristische Merkmal man das kategorische und hypothetische Urtheil unterscheiden könnte; ja oben haben wir schon gezeigt, daß das hypothetische Urtheil sich durch ein kategorisches voll- ständig, seinem ganzen Inhalte nach, wiedergeben läßt, und also fallen beide Urtheile zusammen und sind nur durch den sprach- lichen Ausdruck geschieden, d. h. grammatisch, aber nicht lo- gisch verschieden. Wir haben zwar hier Hülfe von Herbart entlehnt, stehen aber mit unserer Ansicht ihm noch mehr entgegen, als den an- dern Logikern. Herbart nämlich läugnet nur, daß die Begriffe Inhärenz und Dependenz den Unterschied zwischen kate- gorischen und hypothetischen Urtheilen begründeten, hält aber

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/210>, abgerufen am 04.05.2024.