Anm.). Er erinnert, "daß der Begriff der Inhärenz, durch den man die Anknüpfung des Prädicats an das Subject im sogenann- ten kategorischen Urtheile zu bestimmen glaubt, selbst gänzlich unbestimmt und unbestimmbar ist, so daß er nichts mehr, als Verknüpfung überhaupt bedeutet. Z. B. in dem Urtheile: diese Begebenheit ist erfreulich, wird Niemand die Eigenschaft zu er- freuen für eine zum Ereignisse selbst gehörige, ihm eigentlich inhärirende Bestimmung halten, da sich dieselbe bloß auf sub- jective Gefühle bezieht"; und Herbart fügt hinzu: "daß der Begriff der Dependenz eben so unbestimmt ist und eben so ver- geblich zum ausschließenden Merkmale des hypothetischen Ur- theils gemacht wird. Sehr viele dergleichen Urtheile bezeichnen bloß die wahrgenommene Verknüpfung zweier Ereignisse, von denen man noch nicht weiß, sondern vielleicht eben jetzt fragt, welches davon als Grund, und welches als Folge, oder ob beide als Folgen eines Grundes anzusehen seien. Wer die Natur des Barometers noch nicht kennt, der könnte gleichwohl seine Bemerkung aussprechen: wenn es schönes Wetter sei, so stehe gewöhnlich das Quecksilber hoch; und nun würde ihm die doppelte Frage natürlich sein: welches ist die Ursache, welches die Wirkung? -- und welches ist anzusehen als das Zeichen des andern? Hier wäre Ungewißheit sowohl wegen des Real- grundes, als wegen des Erkenntnißgrundes; und gleichwohl, dies bei Seite gesetzt, bestünde das hypothetische Urtheil als Aussage einer bloßen Verknüpfung. -- Hiermit fällt zwar nicht der Unterschied zwischen Inhärenz und Dependenz überhaupt hinweg, aber er hört auf, die Urtheile zu charakte- risiren." Nun wüßte ich aber nicht, durch welches andere cha- rakteristische Merkmal man das kategorische und hypothetische Urtheil unterscheiden könnte; ja oben haben wir schon gezeigt, daß das hypothetische Urtheil sich durch ein kategorisches voll- ständig, seinem ganzen Inhalte nach, wiedergeben läßt, und also fallen beide Urtheile zusammen und sind nur durch den sprach- lichen Ausdruck geschieden, d. h. grammatisch, aber nicht lo- gisch verschieden.
Wir haben zwar hier Hülfe von Herbart entlehnt, stehen aber mit unserer Ansicht ihm noch mehr entgegen, als den an- dern Logikern. Herbart nämlich läugnet nur, daß die Begriffe Inhärenz und Dependenz den Unterschied zwischen kate- gorischen und hypothetischen Urtheilen begründeten, hält aber
Anm.). Er erinnert, „daß der Begriff der Inhärenz, durch den man die Anknüpfung des Prädicats an das Subject im sogenann- ten kategorischen Urtheile zu bestimmen glaubt, selbst gänzlich unbestimmt und unbestimmbar ist, so daß er nichts mehr, als Verknüpfung überhaupt bedeutet. Z. B. in dem Urtheile: diese Begebenheit ist erfreulich, wird Niemand die Eigenschaft zu er- freuen für eine zum Ereignisse selbst gehörige, ihm eigentlich inhärirende Bestimmung halten, da sich dieselbe bloß auf sub- jective Gefühle bezieht“; und Herbart fügt hinzu: „daß der Begriff der Dependenz eben so unbestimmt ist und eben so ver- geblich zum ausschließenden Merkmale des hypothetischen Ur- theils gemacht wird. Sehr viele dergleichen Urtheile bezeichnen bloß die wahrgenommene Verknüpfung zweier Ereignisse, von denen man noch nicht weiß, sondern vielleicht eben jetzt fragt, welches davon als Grund, und welches als Folge, oder ob beide als Folgen eines Grundes anzusehen seien. Wer die Natur des Barometers noch nicht kennt, der könnte gleichwohl seine Bemerkung aussprechen: wenn es schönes Wetter sei, so stehe gewöhnlich das Quecksilber hoch; und nun würde ihm die doppelte Frage natürlich sein: welches ist die Ursache, welches die Wirkung? — und welches ist anzusehen als das Zeichen des andern? Hier wäre Ungewißheit sowohl wegen des Real- grundes, als wegen des Erkenntnißgrundes; und gleichwohl, dies bei Seite gesetzt, bestünde das hypothetische Urtheil als Aussage einer bloßen Verknüpfung. — Hiermit fällt zwar nicht der Unterschied zwischen Inhärenz und Dependenz überhaupt hinweg, aber er hört auf, die Urtheile zu charakte- risiren.“ Nun wüßte ich aber nicht, durch welches andere cha- rakteristische Merkmal man das kategorische und hypothetische Urtheil unterscheiden könnte; ja oben haben wir schon gezeigt, daß das hypothetische Urtheil sich durch ein kategorisches voll- ständig, seinem ganzen Inhalte nach, wiedergeben läßt, und also fallen beide Urtheile zusammen und sind nur durch den sprach- lichen Ausdruck geschieden, d. h. grammatisch, aber nicht lo- gisch verschieden.
Wir haben zwar hier Hülfe von Herbart entlehnt, stehen aber mit unserer Ansicht ihm noch mehr entgegen, als den an- dern Logikern. Herbart nämlich läugnet nur, daß die Begriffe Inhärenz und Dependenz den Unterschied zwischen kate- gorischen und hypothetischen Urtheilen begründeten, hält aber
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0210"n="172"/>
Anm.). Er erinnert, „daß der Begriff der Inhärenz, durch den<lb/>
man die Anknüpfung des Prädicats an das Subject im sogenann-<lb/>
ten kategorischen Urtheile zu bestimmen glaubt, selbst gänzlich<lb/>
unbestimmt und unbestimmbar ist, so daß er nichts mehr, als<lb/>
Verknüpfung überhaupt bedeutet. Z. B. in dem Urtheile: <hirendition="#i">diese<lb/>
Begebenheit ist erfreulich</hi>, wird Niemand die Eigenschaft zu er-<lb/>
freuen für eine zum Ereignisse selbst gehörige, ihm eigentlich<lb/>
inhärirende Bestimmung halten, da sich dieselbe bloß auf sub-<lb/>
jective Gefühle bezieht“; und Herbart fügt hinzu: „daß der<lb/>
Begriff der Dependenz eben so unbestimmt ist und eben so ver-<lb/>
geblich zum ausschließenden Merkmale des hypothetischen Ur-<lb/>
theils gemacht wird. Sehr viele dergleichen Urtheile bezeichnen<lb/>
bloß die wahrgenommene <hirendition="#g">Verknüpfung</hi> zweier Ereignisse,<lb/>
von denen man noch nicht weiß, sondern vielleicht eben jetzt<lb/>
fragt, welches davon als Grund, und welches als Folge, oder<lb/>
ob beide als Folgen <hirendition="#g">eines</hi> Grundes anzusehen seien. Wer die<lb/>
Natur des Barometers noch nicht kennt, der könnte gleichwohl<lb/>
seine Bemerkung aussprechen: <hirendition="#i">wenn es schönes Wetter sei, so<lb/>
stehe gewöhnlich das Quecksilber hoch;</hi> und nun würde ihm die<lb/>
doppelte Frage natürlich sein: welches ist die Ursache, welches<lb/>
die Wirkung? — und welches ist anzusehen als das Zeichen<lb/>
des andern? Hier wäre Ungewißheit sowohl wegen des Real-<lb/>
grundes, als wegen des Erkenntnißgrundes; und gleichwohl, <hirendition="#g">dies<lb/>
bei Seite gesetzt,</hi> bestünde das hypothetische Urtheil als<lb/><hirendition="#g">Aussage einer bloßen Verknüpfung</hi>. — Hiermit fällt<lb/>
zwar nicht der Unterschied zwischen Inhärenz und Dependenz<lb/>
überhaupt hinweg, aber er hört auf, die Urtheile zu charakte-<lb/>
risiren.“ Nun wüßte ich aber nicht, durch welches andere cha-<lb/>
rakteristische Merkmal man das kategorische und hypothetische<lb/>
Urtheil unterscheiden könnte; ja oben haben wir schon gezeigt,<lb/>
daß das hypothetische Urtheil sich durch ein kategorisches voll-<lb/>
ständig, seinem ganzen Inhalte nach, wiedergeben läßt, und also<lb/>
fallen beide Urtheile zusammen und sind nur durch den sprach-<lb/>
lichen Ausdruck geschieden, d. h. grammatisch, aber nicht lo-<lb/>
gisch verschieden.</p><lb/><p>Wir haben zwar hier Hülfe von Herbart entlehnt, stehen<lb/>
aber mit unserer Ansicht ihm noch mehr entgegen, als den an-<lb/>
dern Logikern. Herbart nämlich läugnet nur, daß die Begriffe<lb/>
Inhärenz und Dependenz den Unterschied zwischen kate-<lb/>
gorischen und hypothetischen Urtheilen begründeten, hält aber<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[172/0210]
Anm.). Er erinnert, „daß der Begriff der Inhärenz, durch den
man die Anknüpfung des Prädicats an das Subject im sogenann-
ten kategorischen Urtheile zu bestimmen glaubt, selbst gänzlich
unbestimmt und unbestimmbar ist, so daß er nichts mehr, als
Verknüpfung überhaupt bedeutet. Z. B. in dem Urtheile: diese
Begebenheit ist erfreulich, wird Niemand die Eigenschaft zu er-
freuen für eine zum Ereignisse selbst gehörige, ihm eigentlich
inhärirende Bestimmung halten, da sich dieselbe bloß auf sub-
jective Gefühle bezieht“; und Herbart fügt hinzu: „daß der
Begriff der Dependenz eben so unbestimmt ist und eben so ver-
geblich zum ausschließenden Merkmale des hypothetischen Ur-
theils gemacht wird. Sehr viele dergleichen Urtheile bezeichnen
bloß die wahrgenommene Verknüpfung zweier Ereignisse,
von denen man noch nicht weiß, sondern vielleicht eben jetzt
fragt, welches davon als Grund, und welches als Folge, oder
ob beide als Folgen eines Grundes anzusehen seien. Wer die
Natur des Barometers noch nicht kennt, der könnte gleichwohl
seine Bemerkung aussprechen: wenn es schönes Wetter sei, so
stehe gewöhnlich das Quecksilber hoch; und nun würde ihm die
doppelte Frage natürlich sein: welches ist die Ursache, welches
die Wirkung? — und welches ist anzusehen als das Zeichen
des andern? Hier wäre Ungewißheit sowohl wegen des Real-
grundes, als wegen des Erkenntnißgrundes; und gleichwohl, dies
bei Seite gesetzt, bestünde das hypothetische Urtheil als
Aussage einer bloßen Verknüpfung. — Hiermit fällt
zwar nicht der Unterschied zwischen Inhärenz und Dependenz
überhaupt hinweg, aber er hört auf, die Urtheile zu charakte-
risiren.“ Nun wüßte ich aber nicht, durch welches andere cha-
rakteristische Merkmal man das kategorische und hypothetische
Urtheil unterscheiden könnte; ja oben haben wir schon gezeigt,
daß das hypothetische Urtheil sich durch ein kategorisches voll-
ständig, seinem ganzen Inhalte nach, wiedergeben läßt, und also
fallen beide Urtheile zusammen und sind nur durch den sprach-
lichen Ausdruck geschieden, d. h. grammatisch, aber nicht lo-
gisch verschieden.
Wir haben zwar hier Hülfe von Herbart entlehnt, stehen
aber mit unserer Ansicht ihm noch mehr entgegen, als den an-
dern Logikern. Herbart nämlich läugnet nur, daß die Begriffe
Inhärenz und Dependenz den Unterschied zwischen kate-
gorischen und hypothetischen Urtheilen begründeten, hält aber
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/210>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.