werden. Die innigste Beziehung aber ist noch nicht Identität. Diese wird hier abgewiesen.
Becker sagt: "Es ist ein allgemeines Gesetz der lebenden Natur, daß in ihr jede Thätigkeit in einem Stoffe, jedes Geistige in einem Leiblichen in die Erscheinung tritt, und in der leib- lichen Erscheinung seine Begrenzung und Gestaltung findet. Nach diesem Gesetze tritt auch der Gedanke nothwendig in die Erscheinung, und wird ein Leibliches in der Sprache. Die Sprache ist nichts anderes als der in die Erscheinung tretende Gedanke, und beide sind innerlich nur eins und dasselbe." Hier wird also die Identität von Sprechen und Denken nach einer allgemeinen Analogie aller natürlichen Existenzen beurtheilt. Dabei macht man den Fehler, von allen specificirenden Merkmalen ab- zusehen und das Wesen eines eigenthümlichen Daseienden mit dem abstractesten, allgemeinsten Merkmale des Daseins über- haupt erfassen zu wollen. Doch davon ist oben ausführlich ge- sprochen. Gestehen wir hier die Analogie zu und sehen nur, ob die Vergleichung richtig angestellt ist. Nun fragen wir: ist denn Thätigkeit und Stoff darum identisch, weil jene in diesem in die Erscheinung tritt? ist Geistiges und Leibliches identisch, darum weil jenes in diesem lebt? (denn Begrenzung und Gestal- tung findet das Geistige im Leiblichen nie und nimmer. Wie soll Geist von Körper begrenzt werden!) Und eben so wenig ist Sprechen und Denken identisch, weil dieses in jenem er- scheint. Man beachte Beckers Wort "innerlich"; Sprechen und Denken sind "innerlich nur eins und dasselbe." Und äußer- lich? Und was ist hier innerlich und äußerlich? Hier ist Becker inconsequent geworden, d. h. mit dem Worte innerlich durch- bricht entweder eine alte Erinnerung oder ein Funke der Wahr- heit Beckers Grundanschauung. Becker gehört, wie wir oben sahen, der Identitätsphilosophie an, der Alles in einander lief und eins ward. Wenn Becker die Einheit von Stoff und Thätigkeit, Leiblichem und Geistigem, Sprechen und Denken behauptet, so ist dies gegen die Unterscheidung der Kategorien Inneres und Aeußeres gerichtet, deren Berechtigung die Identitätsphilosophie nicht anerkennt. Es giebt kein Inneres und kein Aeußeres; es giebt nur die Einheit, Eins. So giebt es auch kein Sprechen als etwas Aeußeres, und kein Denken als etwas Inneres; es giebt nur Eins: Denk-Sprechen, Sprech-Denken. Der Gedanke gehört der Sprache, ist Sprache, und der Laut gehört dem Denken,
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werden. Die innigste Beziehung aber ist noch nicht Identität. Diese wird hier abgewiesen.
Becker sagt: „Es ist ein allgemeines Gesetz der lebenden Natur, daß in ihr jede Thätigkeit in einem Stoffe, jedes Geistige in einem Leiblichen in die Erscheinung tritt, und in der leib- lichen Erscheinung seine Begrenzung und Gestaltung findet. Nach diesem Gesetze tritt auch der Gedanke nothwendig in die Erscheinung, und wird ein Leibliches in der Sprache. Die Sprache ist nichts anderes als der in die Erscheinung tretende Gedanke, und beide sind innerlich nur eins und dasselbe.“ Hier wird also die Identität von Sprechen und Denken nach einer allgemeinen Analogie aller natürlichen Existenzen beurtheilt. Dabei macht man den Fehler, von allen specificirenden Merkmalen ab- zusehen und das Wesen eines eigenthümlichen Daseienden mit dem abstractesten, allgemeinsten Merkmale des Daseins über- haupt erfassen zu wollen. Doch davon ist oben ausführlich ge- sprochen. Gestehen wir hier die Analogie zu und sehen nur, ob die Vergleichung richtig angestellt ist. Nun fragen wir: ist denn Thätigkeit und Stoff darum identisch, weil jene in diesem in die Erscheinung tritt? ist Geistiges und Leibliches identisch, darum weil jenes in diesem lebt? (denn Begrenzung und Gestal- tung findet das Geistige im Leiblichen nie und nimmer. Wie soll Geist von Körper begrenzt werden!) Und eben so wenig ist Sprechen und Denken identisch, weil dieses in jenem er- scheint. Man beachte Beckers Wort „innerlich“; Sprechen und Denken sind „innerlich nur eins und dasselbe.“ Und äußer- lich? Und was ist hier innerlich und äußerlich? Hier ist Becker inconsequent geworden, d. h. mit dem Worte innerlich durch- bricht entweder eine alte Erinnerung oder ein Funke der Wahr- heit Beckers Grundanschauung. Becker gehört, wie wir oben sahen, der Identitätsphilosophie an, der Alles in einander lief und eins ward. Wenn Becker die Einheit von Stoff und Thätigkeit, Leiblichem und Geistigem, Sprechen und Denken behauptet, so ist dies gegen die Unterscheidung der Kategorien Inneres und Aeußeres gerichtet, deren Berechtigung die Identitätsphilosophie nicht anerkennt. Es giebt kein Inneres und kein Aeußeres; es giebt nur die Einheit, Eins. So giebt es auch kein Sprechen als etwas Aeußeres, und kein Denken als etwas Inneres; es giebt nur Eins: Denk-Sprechen, Sprech-Denken. Der Gedanke gehört der Sprache, ist Sprache, und der Laut gehört dem Denken,
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werden. Die innigste Beziehung aber ist noch nicht Identität.
Diese wird hier abgewiesen.
Becker sagt: „Es ist ein allgemeines Gesetz der lebenden
Natur, daß in ihr jede Thätigkeit in einem Stoffe, jedes Geistige
in einem Leiblichen in die Erscheinung tritt, und in der leib-
lichen Erscheinung seine Begrenzung und Gestaltung findet.
Nach diesem Gesetze tritt auch der Gedanke nothwendig in die
Erscheinung, und wird ein Leibliches in der Sprache. Die
Sprache ist nichts anderes als der in die Erscheinung tretende
Gedanke, und beide sind innerlich nur eins und dasselbe.“ Hier
wird also die Identität von Sprechen und Denken nach einer
allgemeinen Analogie aller natürlichen Existenzen beurtheilt. Dabei
macht man den Fehler, von allen specificirenden Merkmalen ab-
zusehen und das Wesen eines eigenthümlichen Daseienden mit
dem abstractesten, allgemeinsten Merkmale des Daseins über-
haupt erfassen zu wollen. Doch davon ist oben ausführlich ge-
sprochen. Gestehen wir hier die Analogie zu und sehen nur,
ob die Vergleichung richtig angestellt ist. Nun fragen wir: ist
denn Thätigkeit und Stoff darum identisch, weil jene in diesem
in die Erscheinung tritt? ist Geistiges und Leibliches identisch,
darum weil jenes in diesem lebt? (denn Begrenzung und Gestal-
tung findet das Geistige im Leiblichen nie und nimmer. Wie
soll Geist von Körper begrenzt werden!) Und eben so wenig
ist Sprechen und Denken identisch, weil dieses in jenem er-
scheint. Man beachte Beckers Wort „innerlich“; Sprechen
und Denken sind „innerlich nur eins und dasselbe.“ Und äußer-
lich? Und was ist hier innerlich und äußerlich? Hier ist Becker
inconsequent geworden, d. h. mit dem Worte innerlich durch-
bricht entweder eine alte Erinnerung oder ein Funke der Wahr-
heit Beckers Grundanschauung. Becker gehört, wie wir oben
sahen, der Identitätsphilosophie an, der Alles in einander lief und
eins ward. Wenn Becker die Einheit von Stoff und Thätigkeit,
Leiblichem und Geistigem, Sprechen und Denken behauptet, so
ist dies gegen die Unterscheidung der Kategorien Inneres und
Aeußeres gerichtet, deren Berechtigung die Identitätsphilosophie
nicht anerkennt. Es giebt kein Inneres und kein Aeußeres; es
giebt nur die Einheit, Eins. So giebt es auch kein Sprechen
als etwas Aeußeres, und kein Denken als etwas Inneres; es giebt
nur Eins: Denk-Sprechen, Sprech-Denken. Der Gedanke gehört
der Sprache, ist Sprache, und der Laut gehört dem Denken,
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/199>, abgerufen am 27.11.2024.
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