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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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rische Organe verschieden? -- wichtiger ist es, zu fragen: haben
wir denn in diesen Verhältnissen noch das eines Gedankens,
eines Innern, welches in die Erscheinung tritt? Verhält sich die
besondere Gestaltung der Tiger-Klaue zum ganzen Typus des
Tigers, oder dieser zur allgemeinen Form der Säugethiere wie
ein Aeußeres zu seinem Innern? Was diese Analogien zusam-
menhält, ist nichts als die abstracteste, durchaus formal logische
Kategorie des Allgemeinen und Besondern. Diese ärmste aller
Kategorien umfaßt allerdings das All, und auf sie hat Becker
seinen Organismus gebaut! Darum ist aber sein Organismus,
seine Verleiblichung eines Geistigen, eine Phrase; sein wirkli-
cher Inhalt aber ist unorganisch. So fährt nun Becker con-
junctionslos fort: "Die organischen Gegensätze, die sich in dem
Ganzen darstellen, wiederholen sich in jedem besondern Organe:
wir finden z. B. in dem Auge die Gegensätze von Bewegung
und Empfindung, Ernährung und Absonderung, Muskel und
Nerv, Arterie und Vene wieder; und so stellt sich das Auge
auch für sich als ein dem Ganzen nachgebildeter Organismus
dar." Hiermit ist nun Becker nicht bloß abermals seitwärts
abgewichen, sondern er ist auch wieder ganz in der Gabelung
der Gegensätze, welche in dem beziehungsreichen Organismus
so leicht zu finden sind; unter dem Scheine der Consequenz
verbergen sie ihre Armuth an Gehalt; denn wir haben auch hier
kein Verhältniß von Aeußerm zu Innerm, sondern nur vom All-
gemeinern zum Besondern, abermals in einer andern Beziehung,
welche verschwiegen bleibt.

"Betrachten wir nun die Sprache; so ist sie ja ebenfalls
nur eine leiblich gewordene Function des menschlichen Lebens".
-- Hier wird wieder als längst zugestanden und bekannt voraus-
gesetzt, was erst bewiesen werden sollte; was aber eine leiblich
gewordene Function ist, wird sich bald zeigen; denn was könnte
man wohl zunächst bei diesen Worten denken? -- "Auch in
dem menschlichen Organismus stellt sich das allgemeine Leben
in einer Besonderheit, aber zugleich in einer Vollendung dar,
die es in den andern Organismen nicht erreichen konnte; und
es ist vorzüglich die Function des Denkens, was diese Be-
sonderheit -- den Begriff -- des menschlichen Lebens ausmacht.
Diese Function ist, weil sie eine Besonderheit des allgemeinen
Lebens ist, eine organische, und tritt, wie alles organische
Leben, nothwendig leiblich in die Erscheinung. In sofern der

rische Organe verschieden? — wichtiger ist es, zu fragen: haben
wir denn in diesen Verhältnissen noch das eines Gedankens,
eines Innern, welches in die Erscheinung tritt? Verhält sich die
besondere Gestaltung der Tiger-Klaue zum ganzen Typus des
Tigers, oder dieser zur allgemeinen Form der Säugethiere wie
ein Aeußeres zu seinem Innern? Was diese Analogien zusam-
menhält, ist nichts als die abstracteste, durchaus formal logische
Kategorie des Allgemeinen und Besondern. Diese ärmste aller
Kategorien umfaßt allerdings das All, und auf sie hat Becker
seinen Organismus gebaut! Darum ist aber sein Organismus,
seine Verleiblichung eines Geistigen, eine Phrase; sein wirkli-
cher Inhalt aber ist unorganisch. So fährt nun Becker con-
junctionslos fort: „Die organischen Gegensätze, die sich in dem
Ganzen darstellen, wiederholen sich in jedem besondern Organe:
wir finden z. B. in dem Auge die Gegensätze von Bewegung
und Empfindung, Ernährung und Absonderung, Muskel und
Nerv, Arterie und Vene wieder; und so stellt sich das Auge
auch für sich als ein dem Ganzen nachgebildeter Organismus
dar.“ Hiermit ist nun Becker nicht bloß abermals seitwärts
abgewichen, sondern er ist auch wieder ganz in der Gabelung
der Gegensätze, welche in dem beziehungsreichen Organismus
so leicht zu finden sind; unter dem Scheine der Consequenz
verbergen sie ihre Armuth an Gehalt; denn wir haben auch hier
kein Verhältniß von Aeußerm zu Innerm, sondern nur vom All-
gemeinern zum Besondern, abermals in einer andern Beziehung,
welche verschwiegen bleibt.

„Betrachten wir nun die Sprache; so ist sie ja ebenfalls
nur eine leiblich gewordene Function des menschlichen Lebens“.
— Hier wird wieder als längst zugestanden und bekannt voraus-
gesetzt, was erst bewiesen werden sollte; was aber eine leiblich
gewordene Function ist, wird sich bald zeigen; denn was könnte
man wohl zunächst bei diesen Worten denken? — „Auch in
dem menschlichen Organismus stellt sich das allgemeine Leben
in einer Besonderheit, aber zugleich in einer Vollendung dar,
die es in den andern Organismen nicht erreichen konnte; und
es ist vorzüglich die Function des Denkens, was diese Be-
sonderheit — den Begriff — des menschlichen Lebens ausmacht.
Diese Function ist, weil sie eine Besonderheit des allgemeinen
Lebens ist, eine organische, und tritt, wie alles organische
Leben, nothwendig leiblich in die Erscheinung. In sofern der

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[74/0112] rische Organe verschieden? — wichtiger ist es, zu fragen: haben wir denn in diesen Verhältnissen noch das eines Gedankens, eines Innern, welches in die Erscheinung tritt? Verhält sich die besondere Gestaltung der Tiger-Klaue zum ganzen Typus des Tigers, oder dieser zur allgemeinen Form der Säugethiere wie ein Aeußeres zu seinem Innern? Was diese Analogien zusam- menhält, ist nichts als die abstracteste, durchaus formal logische Kategorie des Allgemeinen und Besondern. Diese ärmste aller Kategorien umfaßt allerdings das All, und auf sie hat Becker seinen Organismus gebaut! Darum ist aber sein Organismus, seine Verleiblichung eines Geistigen, eine Phrase; sein wirkli- cher Inhalt aber ist unorganisch. So fährt nun Becker con- junctionslos fort: „Die organischen Gegensätze, die sich in dem Ganzen darstellen, wiederholen sich in jedem besondern Organe: wir finden z. B. in dem Auge die Gegensätze von Bewegung und Empfindung, Ernährung und Absonderung, Muskel und Nerv, Arterie und Vene wieder; und so stellt sich das Auge auch für sich als ein dem Ganzen nachgebildeter Organismus dar.“ Hiermit ist nun Becker nicht bloß abermals seitwärts abgewichen, sondern er ist auch wieder ganz in der Gabelung der Gegensätze, welche in dem beziehungsreichen Organismus so leicht zu finden sind; unter dem Scheine der Consequenz verbergen sie ihre Armuth an Gehalt; denn wir haben auch hier kein Verhältniß von Aeußerm zu Innerm, sondern nur vom All- gemeinern zum Besondern, abermals in einer andern Beziehung, welche verschwiegen bleibt. „Betrachten wir nun die Sprache; so ist sie ja ebenfalls nur eine leiblich gewordene Function des menschlichen Lebens“. — Hier wird wieder als längst zugestanden und bekannt voraus- gesetzt, was erst bewiesen werden sollte; was aber eine leiblich gewordene Function ist, wird sich bald zeigen; denn was könnte man wohl zunächst bei diesen Worten denken? — „Auch in dem menschlichen Organismus stellt sich das allgemeine Leben in einer Besonderheit, aber zugleich in einer Vollendung dar, die es in den andern Organismen nicht erreichen konnte; und es ist vorzüglich die Function des Denkens, was diese Be- sonderheit — den Begriff — des menschlichen Lebens ausmacht. Diese Function ist, weil sie eine Besonderheit des allgemeinen Lebens ist, eine organische, und tritt, wie alles organische Leben, nothwendig leiblich in die Erscheinung. In sofern der

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/112>, abgerufen am 28.04.2024.