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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Das Haus Tumayaua's war ein wenig kleiner; hier lugten Eva's Kinder aus
den Hängemättchen hervor, sonst war es dasselbe Bild.

Die Wohnungsverhältnisse gefielen mir besser als der zweite Teil der Pension.
Mit meiner Verpflegung war es übel bestellt. Fleisch bekam ich während des
Aufenthaltes im Dorf überhaupt nicht zu sehen, wenn ich zwei geschossene Mäuse
ausnehme. Fisch liess man mir nur so selten und in so kleinen Portionen zu-
kommen, als wenn es eine der kostbarsten Speisen wäre; einmal ein Töpfchen
von kleinfingerlangen Geschöpfchen in salzloser Brühe mit einem Maiskolbenstiel
als Löffel, zweimal ein knapp handgrosses Stück Fisch gebraten und auf Beiju
wie auf einem Tellerchen serviert, einmal ein Stück Zitteraal, fast zu fett, aber
gut und mit einer Haut wie Spickaal. Dann durfte ich einmal Beiju in Fischöl
tunken, was eine besondere Delikatesse auch für die Bakairi nicht gewesen wäre,
wenn sie in ihrer Kindheit hätten Leberthran einnehmen müssen. Mehr finde ich
in meinem Tagebuch nicht verzeichnet -- dagegen teilte die Zukünftige am ersten
Tage geröstete Maiskörner mit mir, die sie auf dem Boden hockend im Schooss
hielt, brachte mir auch gelegentlich ein paar Mangaven, und Eva bot mir beim
Vokabelfragen Ameisen, einen Palmbohrkäfer mit noch einem halben Bein und eine
dicke Larve an, was alles "iwakulukulu", der Superlativ jedweden Guten und Schönen
im Bakairi, sein sollte. An den Mandioka-Fladen oder Beijus und Getränken liess
man es nicht fehlen. Doch hielt der Festtrank Püserego nur für zwei Tage vor;
wie Seifenwasser grünlich grau, warm und mit Blasenschaum überzogen, hatte er
doch einen angenehm weichlichen, süssen Geschmack. Die Beijus waren in der
Qualität je nach Art des Mehls sehr verschieden, sie wurden meist zerbröckelt
und mit Wasser angerührt als Getränk genossen.

Dahingegen waren meine Gastfreunde von Herzen bereit, das Wenige, was
ich von Bohnen und Salz bei mir hatte, sich schmecken zu lassen und baten darum
inständigst. Mit den Bohnen hatte es seine Schwierigkeiten. Paleko und ich kochten
sie zusammen, aber beide zum ersten Mal in unserm Leben. Ich machte Feuer an
und er holte Scheite herbei, wir setzten einen irdenen Topf mit den Bohnen auf
drei Steine und kochten los. Paleko sang dazu, seinen Korb flechtend und mit
einem Fuss leise im Takt tretend; ich versuchte die Worte festzuhalten und las
sie ihm, nach Kräften auf seine Art singend, vor. Leider verstehe ich den Text
nicht und leider noch weniger die Noten, ich kann nur angeben, dass der Rhyth-
mus sehr stark hervorgehoben wurde, und dass man, wenn nur der Alte sang, eine
ganze Gesellschaft zu hören meinte, wie sie im Kreise lief und stampfte.

kuye kuye kutapayo kuye -- kutapayo hohohohohu yaliwayahahu ohohu uho --
ohohoho huhohohu ohohochu.

enu hiteno kuye -- kutapayo yekutapa yekutapa oho. Dieser Vers enthält etwas
von Augen, ein gleicher mit kami hiteno etc. von der Sonne.*)


*) kame Sonne Nu-Aruakwort. Das folgende yawali ist der Name für das wurfholz und den
Wurfholztanz der Tupistämme des Kulisehu. Die Texte sind wohl nur teilweise Bakairi.

Das Haus Tumayaua’s war ein wenig kleiner; hier lugten Eva’s Kinder aus
den Hängemättchen hervor, sonst war es dasselbe Bild.

Die Wohnungsverhältnisse gefielen mir besser als der zweite Teil der Pension.
Mit meiner Verpflegung war es übel bestellt. Fleisch bekam ich während des
Aufenthaltes im Dorf überhaupt nicht zu sehen, wenn ich zwei geschossene Mäuse
ausnehme. Fisch liess man mir nur so selten und in so kleinen Portionen zu-
kommen, als wenn es eine der kostbarsten Speisen wäre; einmal ein Töpfchen
von kleinfingerlangen Geschöpfchen in salzloser Brühe mit einem Maiskolbenstiel
als Löffel, zweimal ein knapp handgrosses Stück Fisch gebraten und auf Beijú
wie auf einem Tellerchen serviert, einmal ein Stück Zitteraal, fast zu fett, aber
gut und mit einer Haut wie Spickaal. Dann durfte ich einmal Beijú in Fischöl
tunken, was eine besondere Delikatesse auch für die Bakaïrí nicht gewesen wäre,
wenn sie in ihrer Kindheit hätten Leberthran einnehmen müssen. Mehr finde ich
in meinem Tagebuch nicht verzeichnet — dagegen teilte die Zukünftige am ersten
Tage geröstete Maiskörner mit mir, die sie auf dem Boden hockend im Schooss
hielt, brachte mir auch gelegentlich ein paar Mangaven, und Eva bot mir beim
Vokabelfragen Ameisen, einen Palmbohrkäfer mit noch einem halben Bein und eine
dicke Larve an, was alles »iwakulukulu«, der Superlativ jedweden Guten und Schönen
im Bakaïrí, sein sollte. An den Mandioka-Fladen oder Beijús und Getränken liess
man es nicht fehlen. Doch hielt der Festtrank Püserego nur für zwei Tage vor;
wie Seifenwasser grünlich grau, warm und mit Blasenschaum überzogen, hatte er
doch einen angenehm weichlichen, süssen Geschmack. Die Beijús waren in der
Qualität je nach Art des Mehls sehr verschieden, sie wurden meist zerbröckelt
und mit Wasser angerührt als Getränk genossen.

Dahingegen waren meine Gastfreunde von Herzen bereit, das Wenige, was
ich von Bohnen und Salz bei mir hatte, sich schmecken zu lassen und baten darum
inständigst. Mit den Bohnen hatte es seine Schwierigkeiten. Paleko und ich kochten
sie zusammen, aber beide zum ersten Mal in unserm Leben. Ich machte Feuer an
und er holte Scheite herbei, wir setzten einen irdenen Topf mit den Bohnen auf
drei Steine und kochten los. Paleko sang dazu, seinen Korb flechtend und mit
einem Fuss leise im Takt tretend; ich versuchte die Worte festzuhalten und las
sie ihm, nach Kräften auf seine Art singend, vor. Leider verstehe ich den Text
nicht und leider noch weniger die Noten, ich kann nur angeben, dass der Rhyth-
mus sehr stark hervorgehoben wurde, und dass man, wenn nur der Alte sang, eine
ganze Gesellschaft zu hören meinte, wie sie im Kreise lief und stampfte.

kuyé kuyé kutapayó kuyé — kutapayó hohóhohohú yalíwayáhahú ohohú uhó —
ohóhóho huhohohú ohóhóchú.

énu hitenó kuyé — kutápayó yekútapá yekútapá ohó. Dieser Vers enthält etwas
von Augen, ein gleicher mit kámi hitenó etc. von der Sonne.*)


*) káme Sonne Nu-Aruakwort. Das folgende yawalí ist der Name für das wurfholz und den
Wurfholztanz der Tupístämme des Kulisehu. Die Texte sind wohl nur teilweise Bakaïrí.
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[62/0090] Das Haus Tumayaua’s war ein wenig kleiner; hier lugten Eva’s Kinder aus den Hängemättchen hervor, sonst war es dasselbe Bild. Die Wohnungsverhältnisse gefielen mir besser als der zweite Teil der Pension. Mit meiner Verpflegung war es übel bestellt. Fleisch bekam ich während des Aufenthaltes im Dorf überhaupt nicht zu sehen, wenn ich zwei geschossene Mäuse ausnehme. Fisch liess man mir nur so selten und in so kleinen Portionen zu- kommen, als wenn es eine der kostbarsten Speisen wäre; einmal ein Töpfchen von kleinfingerlangen Geschöpfchen in salzloser Brühe mit einem Maiskolbenstiel als Löffel, zweimal ein knapp handgrosses Stück Fisch gebraten und auf Beijú wie auf einem Tellerchen serviert, einmal ein Stück Zitteraal, fast zu fett, aber gut und mit einer Haut wie Spickaal. Dann durfte ich einmal Beijú in Fischöl tunken, was eine besondere Delikatesse auch für die Bakaïrí nicht gewesen wäre, wenn sie in ihrer Kindheit hätten Leberthran einnehmen müssen. Mehr finde ich in meinem Tagebuch nicht verzeichnet — dagegen teilte die Zukünftige am ersten Tage geröstete Maiskörner mit mir, die sie auf dem Boden hockend im Schooss hielt, brachte mir auch gelegentlich ein paar Mangaven, und Eva bot mir beim Vokabelfragen Ameisen, einen Palmbohrkäfer mit noch einem halben Bein und eine dicke Larve an, was alles »iwakulukulu«, der Superlativ jedweden Guten und Schönen im Bakaïrí, sein sollte. An den Mandioka-Fladen oder Beijús und Getränken liess man es nicht fehlen. Doch hielt der Festtrank Püserego nur für zwei Tage vor; wie Seifenwasser grünlich grau, warm und mit Blasenschaum überzogen, hatte er doch einen angenehm weichlichen, süssen Geschmack. Die Beijús waren in der Qualität je nach Art des Mehls sehr verschieden, sie wurden meist zerbröckelt und mit Wasser angerührt als Getränk genossen. Dahingegen waren meine Gastfreunde von Herzen bereit, das Wenige, was ich von Bohnen und Salz bei mir hatte, sich schmecken zu lassen und baten darum inständigst. Mit den Bohnen hatte es seine Schwierigkeiten. Paleko und ich kochten sie zusammen, aber beide zum ersten Mal in unserm Leben. Ich machte Feuer an und er holte Scheite herbei, wir setzten einen irdenen Topf mit den Bohnen auf drei Steine und kochten los. Paleko sang dazu, seinen Korb flechtend und mit einem Fuss leise im Takt tretend; ich versuchte die Worte festzuhalten und las sie ihm, nach Kräften auf seine Art singend, vor. Leider verstehe ich den Text nicht und leider noch weniger die Noten, ich kann nur angeben, dass der Rhyth- mus sehr stark hervorgehoben wurde, und dass man, wenn nur der Alte sang, eine ganze Gesellschaft zu hören meinte, wie sie im Kreise lief und stampfte. kuyé kuyé kutapayó kuyé — kutapayó hohóhohohú yalíwayáhahú ohohú uhó — ohóhóho huhohohú ohóhóchú. énu hitenó kuyé — kutápayó yekútapá yekútapá ohó. Dieser Vers enthält etwas von Augen, ein gleicher mit kámi hitenó etc. von der Sonne. *) *) káme Sonne Nu-Aruakwort. Das folgende yawalí ist der Name für das wurfholz und den Wurfholztanz der Tupístämme des Kulisehu. Die Texte sind wohl nur teilweise Bakaïrí.

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/90>, abgerufen am 04.05.2024.