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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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auch fand sich ein Paar der Stöcke aufgehängt, mit denen Feuer gerieben wird,
und daneben ein Paketchen mit dem Zunderbast angebunden.

In Summa: Familienwohnung in vollem Betrieb, gerade so viel Unordnung
als zur Behaglichkeit gehörte, Alles sauber und nett hergerichtet, Alles gehängt,
geschachtelt, gestülpt, keine eisernen Nägel und Schrauben, sondern nur Faden
und Flechtwerk, Alles Arbeit mit Steinbeil, Tierzahn und Muschel. Totaleindruck:
braun die Wand, die Hängematten, die Kalabassen, die Menschen, braun in jeder
Abstufung aber harmonisch getönt, ganz Knaus. Hier und da schien die Sonne
durch eine Ritze in der Strohkuppel, vor der Thür schnitt die Tageshelle scharf
ab und die Gasse zwischen den Thüren lag im Halbschatten; durch die Luke,
die ziemlich eng verschlossen war, fielen einige lichte Kringel und Kreise auf den
Boden, und in dem emporsteigenden Rauch tanzten matte Sonnenstäubchen.

Die schweigsamen Indianer, Männer und Frauen, schwatzten fortwährend,
und lustig heraus klang Eva's liebliches Lachen. Die Frauen waren alle thätig.
Eine schrappte eine rötliche Rinde, die gekocht einen heilkräftigen Sud liefert,
eine zweite stampfte im Mörser Mandiokagrütze. Ab und zu wurde einem der
Männer ein Schluck an die Hängematte gebracht. Ein schönes Bild dort beim
loderndem Feuer, das an dem riesigen Topfkessel heraufschlug, die nackte Frau
mit langem Haar, sie schöpfte den wie Milch weich wallenden Schaum des
Püserego in einem kleinen Topf ab und goss ihn immer wieder mit kräftigem
Schwung des Armes zurück. Andere traten hinzu, auch der gehorsamst Unter-
zeichnete, und kosteten, die Finger abschleckend. Die Zukünftige sah auch sehr
niedlich aus, ihr "rabenschwarzes Mongolenhaar" spielte in ein verschossenes
Lichtbraun, und sie hockte vor drei unzufrieden krächzenden grünen Periquitchen,
die sie aus einem Töpfchen fütterte. Dann kam auch ich an die Reihe, sie
legte einen frischgebackenen goldgelben Beiju-Fladen vor mich hin und vergass
nicht zu bemerken, dass er ihrer eignen Händchen Werk sei.

Der dicke Yapü war eingeschlummert. Auch mich befiel in der ungewohnten
stimmungsvollen Gleichmässigkeit des häuslichen Treibens eine angenehme Müdig-
keit; der freundlichen Einladung, ein Mittagsschläfchen zu halten, konnte ich nicht
widerstehen, obwohl ich mich in der grössten Hängematte, die da war, wie ein
Fisch im Netze krümmte.

Ich hatte fest geschlafen. Das Bild war verändert. Die Frauen sassen
draussen auf dem Platz fünf in einer Kette hintereinander eifrig beim Lausen.
Wer ein Tierchen fing, legte es auf die Spitze der Zunge und schluckte den
Leckerbissen hinunter oder gab es auch der ursprünglichen Besitzerin, die es in
der emporgehaltenen Rechten von hintenher empfing. Die Männer beobachteten
aufmerksam Schwalben "iri", Luchu schoss nach ihnen, ohne sie zu treffen; als
sich ein paar in der Luft eine Beute abjagten, nahm dies das allgemeine Interesse
in Anspruch, und der gute alte Paleko lieferte erklärende Anmerkungen. Ueberall
dolce far niente. Nur die Ameisen feierten nicht; grosse Carregadores zogen
daher, schwer bepackt mit Halmstückchen und Holzkohlen.


auch fand sich ein Paar der Stöcke aufgehängt, mit denen Feuer gerieben wird,
und daneben ein Paketchen mit dem Zunderbast angebunden.

In Summa: Familienwohnung in vollem Betrieb, gerade so viel Unordnung
als zur Behaglichkeit gehörte, Alles sauber und nett hergerichtet, Alles gehängt,
geschachtelt, gestülpt, keine eisernen Nägel und Schrauben, sondern nur Faden
und Flechtwerk, Alles Arbeit mit Steinbeil, Tierzahn und Muschel. Totaleindruck:
braun die Wand, die Hängematten, die Kalabassen, die Menschen, braun in jeder
Abstufung aber harmonisch getönt, ganz Knaus. Hier und da schien die Sonne
durch eine Ritze in der Strohkuppel, vor der Thür schnitt die Tageshelle scharf
ab und die Gasse zwischen den Thüren lag im Halbschatten; durch die Luke,
die ziemlich eng verschlossen war, fielen einige lichte Kringel und Kreise auf den
Boden, und in dem emporsteigenden Rauch tanzten matte Sonnenstäubchen.

Die schweigsamen Indianer, Männer und Frauen, schwatzten fortwährend,
und lustig heraus klang Eva’s liebliches Lachen. Die Frauen waren alle thätig.
Eine schrappte eine rötliche Rinde, die gekocht einen heilkräftigen Sud liefert,
eine zweite stampfte im Mörser Mandiokagrütze. Ab und zu wurde einem der
Männer ein Schluck an die Hängematte gebracht. Ein schönes Bild dort beim
loderndem Feuer, das an dem riesigen Topfkessel heraufschlug, die nackte Frau
mit langem Haar, sie schöpfte den wie Milch weich wallenden Schaum des
Püserego in einem kleinen Topf ab und goss ihn immer wieder mit kräftigem
Schwung des Armes zurück. Andere traten hinzu, auch der gehorsamst Unter-
zeichnete, und kosteten, die Finger abschleckend. Die Zukünftige sah auch sehr
niedlich aus, ihr »rabenschwarzes Mongolenhaar« spielte in ein verschossenes
Lichtbraun, und sie hockte vor drei unzufrieden krächzenden grünen Periquitchen,
die sie aus einem Töpfchen fütterte. Dann kam auch ich an die Reihe, sie
legte einen frischgebackenen goldgelben Beijú-Fladen vor mich hin und vergass
nicht zu bemerken, dass er ihrer eignen Händchen Werk sei.

Der dicke Yapü war eingeschlummert. Auch mich befiel in der ungewohnten
stimmungsvollen Gleichmässigkeit des häuslichen Treibens eine angenehme Müdig-
keit; der freundlichen Einladung, ein Mittagsschläfchen zu halten, konnte ich nicht
widerstehen, obwohl ich mich in der grössten Hängematte, die da war, wie ein
Fisch im Netze krümmte.

Ich hatte fest geschlafen. Das Bild war verändert. Die Frauen sassen
draussen auf dem Platz fünf in einer Kette hintereinander eifrig beim Lausen.
Wer ein Tierchen fing, legte es auf die Spitze der Zunge und schluckte den
Leckerbissen hinunter oder gab es auch der ursprünglichen Besitzerin, die es in
der emporgehaltenen Rechten von hintenher empfing. Die Männer beobachteten
aufmerksam Schwalben »iri«, Luchu schoss nach ihnen, ohne sie zu treffen; als
sich ein paar in der Luft eine Beute abjagten, nahm dies das allgemeine Interesse
in Anspruch, und der gute alte Paleko lieferte erklärende Anmerkungen. Ueberall
dolce far niente. Nur die Ameisen feierten nicht; grosse Carregadores zogen
daher, schwer bepackt mit Halmstückchen und Holzkohlen.


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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/89>, abgerufen am 24.11.2024.