Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

da diese ja auch ihr Blut verzehrten". Alles Wildpret wurde im Fell gebraten,
nur die Därme gekocht; Kuttelflecke waren die Spezialität von Dyapokuri.
Gegessen wurde Alles, "was es im Wald und im Fluss gab". Sehr beliebt waren
die mit dem Harpunenpfeil geschossenen Kaimans. Kamprehe wurden weder
gegessen noch überhaupt getötet.

Nicht gegessen und getötet werden zahme Araras. Sie fingen die Schmuck-
vögel jung ein, zogen sie auf und rupften ihnen die Federn aus. Clemente
sagte, dass sie auch verständen, die Araras gelb zu färben, indem sie die ge-
rupften Stellen mit dem Saft eines Baumes einrieben. Das vielen Indianern
bekannte Verfahren ist also wahrscheinlich bei der medizinischen Behandlung
der Tiere, die man gewaltsam ihrer Federn beraubt hatte, gefunden worden.
Auf die liebevolle Rücksichtnahme für Reh und Arara komme ich später
zurück.

Verhinderte nun die Etikette die Bororo keineswegs wie die Bakairi und
Karaya gemeinsam zu speisen, so hatten sie dafür andere seltsame Gebräuche,
die deutlich zeigen, dass auf knappe Jagdbeute angewiesene Stämme sich auf
die eine oder andere Weise nach Mitteln umschauen müssen, Zank und Streit
bei der Verteilung vorzubauen. Da bestand zunächst eine höchst auffällige Regel:
Niemand briet das Wild, das er selbst geschossen hatte, sondern gab
es einem Andern zum Braten
! Gleich weise Vorsicht wird für kostbare Felle
und Zähne geübt. Nach Erlegung eines Jaguars wird ein grosses Fest gefeiert;
das Fleisch wird gegessen. Das Fell und die Zähne erhält aber nicht der
Jäger
, sondern, worauf ich jetzt noch nicht eingehe, der nächste Verwandte
des Indianers oder der Indianerin, die zuletzt verstorben sind. Der Jäger wird
geehrt, er bekommt von Jedermann Ararafedern zum Geschenk und den mit
Oaussu-Bändern geschmückten Bogen. Die wichtigste Massregel jedoch, die vor
Unfrieden schützt, ist mit dem Amt des Medizinmannes verknüpft, von dem
ich deshalb zunächst berichten muss.

Die Bororo unterscheiden den Bari und den Aroetauarari. Beide
schliessen sich aber nicht aus, beide sind Medizinmänner, nur ist der Aroetauarari
in erster Linie der Vorsänger und Vortänzer bei dem Aroe-Gesang oder -Tanz,
der Bari in erster Linie der behandelnde Arzt. Die Brasilier nannten jenen
"Padre", diesen "Doutor". Beschränken wir uns auf den Ausdruck Bari oder
Medizinmann. Sein Lehrgang scheint weniger umständlich als es sonst der Fall
zu sein pflegt; es kommt mehr auf die natürliche Veranlagung an. In der
Trockenzeit -- der Name bezieht sich eigentlich nicht auf den Durst -- wird
am meisten Akuripalmwein getrunken; man bohrt die Bäume an, lässt den Saft
in einen Topf oder einen Mörser laufen und zecht aus Bambusbechern. Der
Wein ist säuerlich, aber reichlich. Beide Geschlechter betrinken sich nach
Kräften. Wer es am längsten aushält, wird Medizinmann. Wenn man von diesem
sagt, dass ihn die Vögel im Walde verstehen, dass er sich mit Bäumen und mit
Tieren aller Art in ihrer Sprache unterhält, so meint man damit hoffentlich

da diese ja auch ihr Blut verzehrten«. Alles Wildpret wurde im Fell gebraten,
nur die Därme gekocht; Kuttelflecke waren die Spezialität von Dyapokuri.
Gegessen wurde Alles, »was es im Wald und im Fluss gab«. Sehr beliebt waren
die mit dem Harpunenpfeil geschossenen Kaimans. Kamprehe wurden weder
gegessen noch überhaupt getötet.

Nicht gegessen und getötet werden zahme Araras. Sie fingen die Schmuck-
vögel jung ein, zogen sie auf und rupften ihnen die Federn aus. Clemente
sagte, dass sie auch verständen, die Araras gelb zu färben, indem sie die ge-
rupften Stellen mit dem Saft eines Baumes einrieben. Das vielen Indianern
bekannte Verfahren ist also wahrscheinlich bei der medizinischen Behandlung
der Tiere, die man gewaltsam ihrer Federn beraubt hatte, gefunden worden.
Auf die liebevolle Rücksichtnahme für Reh und Arara komme ich später
zurück.

Verhinderte nun die Etikette die Bororó keineswegs wie die Bakaïrí und
Karayá gemeinsam zu speisen, so hatten sie dafür andere seltsame Gebräuche,
die deutlich zeigen, dass auf knappe Jagdbeute angewiesene Stämme sich auf
die eine oder andere Weise nach Mitteln umschauen müssen, Zank und Streit
bei der Verteilung vorzubauen. Da bestand zunächst eine höchst auffällige Regel:
Niemand briet das Wild, das er selbst geschossen hatte, sondern gab
es einem Andern zum Braten
! Gleich weise Vorsicht wird für kostbare Felle
und Zähne geübt. Nach Erlegung eines Jaguars wird ein grosses Fest gefeiert;
das Fleisch wird gegessen. Das Fell und die Zähne erhält aber nicht der
Jäger
, sondern, worauf ich jetzt noch nicht eingehe, der nächste Verwandte
des Indianers oder der Indianerin, die zuletzt verstorben sind. Der Jäger wird
geehrt, er bekommt von Jedermann Ararafedern zum Geschenk und den mit
Oaussú-Bändern geschmückten Bogen. Die wichtigste Massregel jedoch, die vor
Unfrieden schützt, ist mit dem Amt des Medizinmannes verknüpft, von dem
ich deshalb zunächst berichten muss.

Die Bororó unterscheiden den Bari und den Aroetauarari. Beide
schliessen sich aber nicht aus, beide sind Medizinmänner, nur ist der Aroetauarari
in erster Linie der Vorsänger und Vortänzer bei dem Aróe-Gesang oder -Tanz,
der Bari in erster Linie der behandelnde Arzt. Die Brasilier nannten jenen
»Padre«, diesen »Doutor«. Beschränken wir uns auf den Ausdruck Bari oder
Medizinmann. Sein Lehrgang scheint weniger umständlich als es sonst der Fall
zu sein pflegt; es kommt mehr auf die natürliche Veranlagung an. In der
Trockenzeit — der Name bezieht sich eigentlich nicht auf den Durst — wird
am meisten Akurípalmwein getrunken; man bohrt die Bäume an, lässt den Saft
in einen Topf oder einen Mörser laufen und zecht aus Bambusbechern. Der
Wein ist säuerlich, aber reichlich. Beide Geschlechter betrinken sich nach
Kräften. Wer es am längsten aushält, wird Medizinmann. Wenn man von diesem
sagt, dass ihn die Vögel im Walde verstehen, dass er sich mit Bäumen und mit
Tieren aller Art in ihrer Sprache unterhält, so meint man damit hoffentlich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0563" n="491"/>
da diese ja auch ihr Blut verzehrten«. Alles Wildpret wurde im Fell gebraten,<lb/>
nur die Därme gekocht; Kuttelflecke waren die Spezialität von Dyapokuri.<lb/>
Gegessen wurde Alles, »was es im Wald und im Fluss gab«. Sehr beliebt waren<lb/>
die mit dem Harpunenpfeil geschossenen Kaimans. Kamprehe wurden weder<lb/>
gegessen noch überhaupt getötet.</p><lb/>
          <p>Nicht gegessen und getötet werden zahme Araras. Sie fingen die Schmuck-<lb/>
vögel jung ein, zogen sie auf und rupften ihnen die Federn aus. Clemente<lb/>
sagte, dass sie auch verständen, die Araras <hi rendition="#g">gelb</hi> zu <hi rendition="#g">färben</hi>, indem sie die ge-<lb/>
rupften Stellen mit dem Saft eines Baumes einrieben. Das vielen Indianern<lb/>
bekannte Verfahren ist also wahrscheinlich bei der medizinischen Behandlung<lb/>
der Tiere, die man gewaltsam ihrer Federn beraubt hatte, gefunden worden.<lb/>
Auf die liebevolle Rücksichtnahme für Reh und Arara komme ich später<lb/>
zurück.</p><lb/>
          <p>Verhinderte nun die Etikette die Bororó keineswegs wie die Bakaïrí und<lb/>
Karayá gemeinsam zu speisen, so hatten sie dafür andere seltsame Gebräuche,<lb/>
die deutlich zeigen, dass auf knappe Jagdbeute angewiesene Stämme sich auf<lb/>
die eine oder andere Weise nach Mitteln umschauen müssen, Zank und Streit<lb/>
bei der Verteilung vorzubauen. Da bestand zunächst eine höchst auffällige Regel:<lb/><hi rendition="#g">Niemand briet das Wild, das er selbst geschossen hatte, sondern gab<lb/>
es einem Andern zum Braten</hi>! Gleich weise Vorsicht wird für kostbare Felle<lb/>
und Zähne geübt. Nach Erlegung eines Jaguars wird ein grosses Fest gefeiert;<lb/>
das Fleisch wird gegessen. Das Fell und die Zähne <hi rendition="#g">erhält aber nicht der<lb/>
Jäger</hi>, sondern, worauf ich jetzt noch nicht eingehe, der nächste Verwandte<lb/>
des Indianers oder der Indianerin, die zuletzt verstorben sind. Der Jäger wird<lb/><hi rendition="#g">geehrt</hi>, er bekommt von Jedermann Ararafedern zum Geschenk und den mit<lb/>
Oaussú-Bändern geschmückten Bogen. Die wichtigste Massregel jedoch, die vor<lb/>
Unfrieden schützt, ist mit dem Amt des <hi rendition="#g">Medizinmannes</hi> verknüpft, von dem<lb/>
ich deshalb zunächst berichten muss.</p><lb/>
          <p>Die Bororó unterscheiden den <hi rendition="#g">Bari</hi> und den <hi rendition="#g">Aroetauarari</hi>. Beide<lb/>
schliessen sich aber nicht aus, beide sind Medizinmänner, nur ist der Aroetauarari<lb/>
in erster Linie der Vorsänger und Vortänzer bei dem Aróe-Gesang oder -Tanz,<lb/>
der Bari in erster Linie der behandelnde Arzt. Die Brasilier nannten jenen<lb/>
»Padre«, diesen »Doutor«. Beschränken wir uns auf den Ausdruck Bari oder<lb/>
Medizinmann. Sein Lehrgang scheint weniger umständlich als es sonst der Fall<lb/>
zu sein pflegt; es kommt mehr auf die natürliche Veranlagung an. In der<lb/>
Trockenzeit &#x2014; der Name bezieht sich eigentlich nicht auf den Durst &#x2014; wird<lb/>
am meisten Akurípalmwein getrunken; man bohrt die Bäume an, lässt den Saft<lb/>
in einen Topf oder einen Mörser laufen und zecht aus Bambusbechern. Der<lb/>
Wein ist säuerlich, aber reichlich. Beide Geschlechter betrinken sich nach<lb/>
Kräften. Wer es am längsten aushält, wird Medizinmann. Wenn man von diesem<lb/>
sagt, dass ihn die Vögel im Walde verstehen, dass er sich mit Bäumen und mit<lb/>
Tieren aller Art in ihrer Sprache unterhält, so meint man damit hoffentlich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[491/0563] da diese ja auch ihr Blut verzehrten«. Alles Wildpret wurde im Fell gebraten, nur die Därme gekocht; Kuttelflecke waren die Spezialität von Dyapokuri. Gegessen wurde Alles, »was es im Wald und im Fluss gab«. Sehr beliebt waren die mit dem Harpunenpfeil geschossenen Kaimans. Kamprehe wurden weder gegessen noch überhaupt getötet. Nicht gegessen und getötet werden zahme Araras. Sie fingen die Schmuck- vögel jung ein, zogen sie auf und rupften ihnen die Federn aus. Clemente sagte, dass sie auch verständen, die Araras gelb zu färben, indem sie die ge- rupften Stellen mit dem Saft eines Baumes einrieben. Das vielen Indianern bekannte Verfahren ist also wahrscheinlich bei der medizinischen Behandlung der Tiere, die man gewaltsam ihrer Federn beraubt hatte, gefunden worden. Auf die liebevolle Rücksichtnahme für Reh und Arara komme ich später zurück. Verhinderte nun die Etikette die Bororó keineswegs wie die Bakaïrí und Karayá gemeinsam zu speisen, so hatten sie dafür andere seltsame Gebräuche, die deutlich zeigen, dass auf knappe Jagdbeute angewiesene Stämme sich auf die eine oder andere Weise nach Mitteln umschauen müssen, Zank und Streit bei der Verteilung vorzubauen. Da bestand zunächst eine höchst auffällige Regel: Niemand briet das Wild, das er selbst geschossen hatte, sondern gab es einem Andern zum Braten! Gleich weise Vorsicht wird für kostbare Felle und Zähne geübt. Nach Erlegung eines Jaguars wird ein grosses Fest gefeiert; das Fleisch wird gegessen. Das Fell und die Zähne erhält aber nicht der Jäger, sondern, worauf ich jetzt noch nicht eingehe, der nächste Verwandte des Indianers oder der Indianerin, die zuletzt verstorben sind. Der Jäger wird geehrt, er bekommt von Jedermann Ararafedern zum Geschenk und den mit Oaussú-Bändern geschmückten Bogen. Die wichtigste Massregel jedoch, die vor Unfrieden schützt, ist mit dem Amt des Medizinmannes verknüpft, von dem ich deshalb zunächst berichten muss. Die Bororó unterscheiden den Bari und den Aroetauarari. Beide schliessen sich aber nicht aus, beide sind Medizinmänner, nur ist der Aroetauarari in erster Linie der Vorsänger und Vortänzer bei dem Aróe-Gesang oder -Tanz, der Bari in erster Linie der behandelnde Arzt. Die Brasilier nannten jenen »Padre«, diesen »Doutor«. Beschränken wir uns auf den Ausdruck Bari oder Medizinmann. Sein Lehrgang scheint weniger umständlich als es sonst der Fall zu sein pflegt; es kommt mehr auf die natürliche Veranlagung an. In der Trockenzeit — der Name bezieht sich eigentlich nicht auf den Durst — wird am meisten Akurípalmwein getrunken; man bohrt die Bäume an, lässt den Saft in einen Topf oder einen Mörser laufen und zecht aus Bambusbechern. Der Wein ist säuerlich, aber reichlich. Beide Geschlechter betrinken sich nach Kräften. Wer es am längsten aushält, wird Medizinmann. Wenn man von diesem sagt, dass ihn die Vögel im Walde verstehen, dass er sich mit Bäumen und mit Tieren aller Art in ihrer Sprache unterhält, so meint man damit hoffentlich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/563
Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 491. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/563>, abgerufen am 21.05.2024.