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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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nicht einen noch vom Palmwein erleuchteten Mediziner, sondern gedenkt des
Studierens in der Einsamkeit und des Aroegesanges, in dem die Tiere aufge-
rufen werden. Der Bari behandelt seine Kranken auf die bekannte Art: er
stöhnt, windet sich, raucht und saugt die Krankheitsursache -- hier pflegt es
ein Knochen zu sein -- aus dem Leib des Patienten, Zweierlei ist dabei zu
beobachten: einmal wird der Knochen nur gezeigt und nicht aus der Hand ge-
geben, dann aber behandelt der Arzt nur Nachts.

Waehneldt berichtet von den Bororo am Jauru Entsprechendes. Es
werde kuriert unter grossen Rauchwolken, unverständlichen Worten und, "der
Hauptsache", konvulsivischen Bewegungen; "ich wohnte der Kur eines solchen
Padre bei, die darin bestand, dass er verschiedene Körperteile ansaugte, während
er nebenher aus seiner Pfeife rauchte und das Mundstück zerkaute. Nach jedem
Saugen spie er die abgekauten Stücke der Pfeife aus, dem Kranken einredend,
dass es die Ursache seines Leidens sei." Ferner aber -- und damit sind wir
wieder bei der Jagdbeute -- musste ein Kapivaraschwein erst im "Sanktuarium"
von einem der 4 bis 6 Padres gesegnet werden, bevor es gegessen oder nur
berührt werden durfte. Die Baris schnitten die besten Stücke ab und liessen
den Uebrigen den Rest.

Ebenso lebten auch am S. Lourenco die Aerzte noch im goldenen Zeit-
alter. Es wäre unrecht, hier von einem ergötzlichen Auswuchs primitiver
Hierarchie zu reden, denn der Bari war kein "Padre", sondern ein "Doutor",
der nur noch nicht mehr wusste als ein "Padre". Das "Einsegnen" voll-
zog sich auf genau dieselbe Art, wie man versucht, einen Toten in's Leben
zurückzurufen
. Die Logik ist sehr einfach. Die in erster Linie einzusegnenden
Tiere sind genau dieselben, in die gestorbene Baris eintreten, und die
Baris verwandeln sich nach ihrem Tode in die Tiere, die als bestes Wildpret
geschätzt sind
! Da ist es notwendig, sich zu überzeugen, dass das erlegte
Tier nicht mehr lebendig gemacht werden kann, und in diesem Versuch
besteht die Einsegnung. Ein grosser Jahu-Fisch war gefangen worden und
wurde zum Männerhaus gebracht, ein nahezu 11/2 m langes Exemplar, das nicht
in einem Stück gebraten werden konnte. Ein Bari hockte bei ihm nieder, ver-
fiel in heftiges Zittern, schloss die Augen, wackelte fürchterlich mit der vor den
Mund gepressten rechten Hand, begann dann zu blasen und vai vai zu schreien,
warf den Kopf in den Nacken und schöpfte Luft, blies darauf den Fisch von
oben bis unten an, beklopfte ihn allerseits, bespritzte ihn mit Speichel, öffnete
das Maul des Tiers, schrie und spritzte hinein, schloss es wieder -- fertig. Ein
Verfahren, das geschäftsmässig flott erledigt wurde und nach meiner Uhr nur
drei Minuten währte. Dann ergriff er ein Messer, zerlegte den Fisch und nahm
sich das Stück, das ich mir auch genommen haben würde.

Tiere, die unbedingt eingesegnet werden müssen, sind die grossen Fische
Jahu, Pintado-Wels und Dourado, Kapivara, Tapir, Kaiman. Besonders der Kopf
des Tapirs bedarf der Zeremonie, Niemand als der Bari darf den Tapirrüssel,

nicht einen noch vom Palmwein erleuchteten Mediziner, sondern gedenkt des
Studierens in der Einsamkeit und des Aróegesanges, in dem die Tiere aufge-
rufen werden. Der Bari behandelt seine Kranken auf die bekannte Art: er
stöhnt, windet sich, raucht und saugt die Krankheitsursache — hier pflegt es
ein Knochen zu sein — aus dem Leib des Patienten, Zweierlei ist dabei zu
beobachten: einmal wird der Knochen nur gezeigt und nicht aus der Hand ge-
geben, dann aber behandelt der Arzt nur Nachts.

Waehneldt berichtet von den Bororó am Jaurú Entsprechendes. Es
werde kuriert unter grossen Rauchwolken, unverständlichen Worten und, »der
Hauptsache«, konvulsivischen Bewegungen; »ich wohnte der Kur eines solchen
Padre bei, die darin bestand, dass er verschiedene Körperteile ansaugte, während
er nebenher aus seiner Pfeife rauchte und das Mundstück zerkaute. Nach jedem
Saugen spie er die abgekauten Stücke der Pfeife aus, dem Kranken einredend,
dass es die Ursache seines Leidens sei.« Ferner aber — und damit sind wir
wieder bei der Jagdbeute — musste ein Kapivaraschwein erst im »Sanktuarium«
von einem der 4 bis 6 Padres gesegnet werden, bevor es gegessen oder nur
berührt werden durfte. Die Baris schnitten die besten Stücke ab und liessen
den Uebrigen den Rest.

Ebenso lebten auch am S. Lourenço die Aerzte noch im goldenen Zeit-
alter. Es wäre unrecht, hier von einem ergötzlichen Auswuchs primitiver
Hierarchie zu reden, denn der Bari war kein »Padre«, sondern ein »Doutor«,
der nur noch nicht mehr wusste als ein »Padre«. Das »Einsegnen« voll-
zog sich auf genau dieselbe Art, wie man versucht, einen Toten in’s Leben
zurückzurufen
. Die Logik ist sehr einfach. Die in erster Linie einzusegnenden
Tiere sind genau dieselben, in die gestorbene Baris eintreten, und die
Baris verwandeln sich nach ihrem Tode in die Tiere, die als bestes Wildpret
geschätzt sind
! Da ist es notwendig, sich zu überzeugen, dass das erlegte
Tier nicht mehr lebendig gemacht werden kann, und in diesem Versuch
besteht die Einsegnung. Ein grosser Jahú-Fisch war gefangen worden und
wurde zum Männerhaus gebracht, ein nahezu 1½ m langes Exemplar, das nicht
in einem Stück gebraten werden konnte. Ein Bari hockte bei ihm nieder, ver-
fiel in heftiges Zittern, schloss die Augen, wackelte fürchterlich mit der vor den
Mund gepressten rechten Hand, begann dann zu blasen und vái vái zu schreien,
warf den Kopf in den Nacken und schöpfte Luft, blies darauf den Fisch von
oben bis unten an, beklopfte ihn allerseits, bespritzte ihn mit Speichel, öffnete
das Maul des Tiers, schrie und spritzte hinein, schloss es wieder — fertig. Ein
Verfahren, das geschäftsmässig flott erledigt wurde und nach meiner Uhr nur
drei Minuten währte. Dann ergriff er ein Messer, zerlegte den Fisch und nahm
sich das Stück, das ich mir auch genommen haben würde.

Tiere, die unbedingt eingesegnet werden müssen, sind die grossen Fische
Jahú, Pintado-Wels und Dourado, Kapivara, Tapir, Kaiman. Besonders der Kopf
des Tapirs bedarf der Zeremonie, Niemand als der Bari darf den Tapirrüssel,

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[492/0564] nicht einen noch vom Palmwein erleuchteten Mediziner, sondern gedenkt des Studierens in der Einsamkeit und des Aróegesanges, in dem die Tiere aufge- rufen werden. Der Bari behandelt seine Kranken auf die bekannte Art: er stöhnt, windet sich, raucht und saugt die Krankheitsursache — hier pflegt es ein Knochen zu sein — aus dem Leib des Patienten, Zweierlei ist dabei zu beobachten: einmal wird der Knochen nur gezeigt und nicht aus der Hand ge- geben, dann aber behandelt der Arzt nur Nachts. Waehneldt berichtet von den Bororó am Jaurú Entsprechendes. Es werde kuriert unter grossen Rauchwolken, unverständlichen Worten und, »der Hauptsache«, konvulsivischen Bewegungen; »ich wohnte der Kur eines solchen Padre bei, die darin bestand, dass er verschiedene Körperteile ansaugte, während er nebenher aus seiner Pfeife rauchte und das Mundstück zerkaute. Nach jedem Saugen spie er die abgekauten Stücke der Pfeife aus, dem Kranken einredend, dass es die Ursache seines Leidens sei.« Ferner aber — und damit sind wir wieder bei der Jagdbeute — musste ein Kapivaraschwein erst im »Sanktuarium« von einem der 4 bis 6 Padres gesegnet werden, bevor es gegessen oder nur berührt werden durfte. Die Baris schnitten die besten Stücke ab und liessen den Uebrigen den Rest. Ebenso lebten auch am S. Lourenço die Aerzte noch im goldenen Zeit- alter. Es wäre unrecht, hier von einem ergötzlichen Auswuchs primitiver Hierarchie zu reden, denn der Bari war kein »Padre«, sondern ein »Doutor«, der nur noch nicht mehr wusste als ein »Padre«. Das »Einsegnen« voll- zog sich auf genau dieselbe Art, wie man versucht, einen Toten in’s Leben zurückzurufen. Die Logik ist sehr einfach. Die in erster Linie einzusegnenden Tiere sind genau dieselben, in die gestorbene Baris eintreten, und die Baris verwandeln sich nach ihrem Tode in die Tiere, die als bestes Wildpret geschätzt sind! Da ist es notwendig, sich zu überzeugen, dass das erlegte Tier nicht mehr lebendig gemacht werden kann, und in diesem Versuch besteht die Einsegnung. Ein grosser Jahú-Fisch war gefangen worden und wurde zum Männerhaus gebracht, ein nahezu 1½ m langes Exemplar, das nicht in einem Stück gebraten werden konnte. Ein Bari hockte bei ihm nieder, ver- fiel in heftiges Zittern, schloss die Augen, wackelte fürchterlich mit der vor den Mund gepressten rechten Hand, begann dann zu blasen und vái vái zu schreien, warf den Kopf in den Nacken und schöpfte Luft, blies darauf den Fisch von oben bis unten an, beklopfte ihn allerseits, bespritzte ihn mit Speichel, öffnete das Maul des Tiers, schrie und spritzte hinein, schloss es wieder — fertig. Ein Verfahren, das geschäftsmässig flott erledigt wurde und nach meiner Uhr nur drei Minuten währte. Dann ergriff er ein Messer, zerlegte den Fisch und nahm sich das Stück, das ich mir auch genommen haben würde. Tiere, die unbedingt eingesegnet werden müssen, sind die grossen Fische Jahú, Pintado-Wels und Dourado, Kapivara, Tapir, Kaiman. Besonders der Kopf des Tapirs bedarf der Zeremonie, Niemand als der Bari darf den Tapirrüssel,

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 492. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/564>, abgerufen am 22.11.2024.