Wir verstehen, dass der Indianer insofern Tiere wie Personen auftreten lässt, als er von ihren Unterhaltungen berichtet, denn man weiss, dass sich die Tiere gegenseitig rufen und in liebenden oder drohenden Tönen verständigen, allein die Ausstattung der Tiere mit Kulturerzeugnissen und Geräten scheint uns doch das Maass des Erlaubten zu übersteigen. Ja, der Mensch soll gemäss den indianischen Ahnensagen alles mögliche Gute, das er besitzt, von den Tieren erworben haben. Da sind die mannigfaltigsten Tiere "Herren" oder "Besitzer" davon gewesen und ihnen hat es der Kulturheros genommen. Herr des medi- zinischen Tabaks und der Baumwolle war der Wickelbär, Cercoleptes caudivolvulus, Herr des gewöhnlichen Rauchtabaks der Zitteraal, Herr der Mandioka der Bagadu- fisch Phractocephalus, Herr des Schlafes und der Buritihängematte die Eidechse, Herr der mit Wasser gefüllten Töpfe, nach deren Zerschlagen der Ronuro und der Paranatinga flossen, die Ochobi-Flussschlange, Herr der Sonne der Königs- geier, Sarcoramphus papa, und mehr dergleichen. Wie ist ein solcher Unsinn möglich? Das Alles ist natürlich symbolisch gemeint, erklärt der Träger der Kulturbrille und hält die Frage für erledigt. Ich kann nur herzlich lachen, wenn ich mir die indianischen, an der Anschauung klebenden Jäger und Fischer mit symbolischen Tieren hantierend denke wie die Dichter, Maler und, um auch der niederen Geister nicht zu vergessen, die ihre Trade-mark erfindenden Patent- inhaber unserer zivilisierten Welt -- die allerdings sämtlich zu den Originalen ihrer Symboltiere nicht in dem Verhältnis naher persönlicher Bekanntschaft zu stehen pflegen.
Nein, Antonio und seine Stammesgenossen hätten unsere Art Symbole nicht begriffen, geschweige selbst welche erfunden. Ich leugne es nicht, mir hat während unserer Unterhaltung zuweilen der Verstand stillgestanden, wenn mir der treuherzige Glaube an die Wirklichkeit der "Märchen"-Tiere und ihres Kultur- besitzes in seiner ganzen Urwüchsigkeit entgegentrat, allein ich habe mich von seiner Echtheit auch so genau überzeugt, dass ich mich für verpflichtet halte, jede Erklärung, die ihn nicht voll anerkennt, zurückzuweisen. Ich meine auch, die Sache sei einfach genug zu verstehen. Der Indianer hat ja in Wahrheit die wichtigsten Teile seiner Kultur von den Personen erhalten, die wir Tiere nennen, und ihnen muss er sie noch heute wegnehmen. Zähne, Knochen, Klauen, Muscheln sind seine Werkzeuge, ohne die er weder Waffe noch Haus noch Gerät herstellen könnte. Er verdankt, was er leisten kann der Piranya, dem Hundsfisch, dem Affen, dem Kapivara, dem Aguti, dem Riesengürteltier, den Mollusken, und von allen ihnen berichtet die Legende Nichts, weil jedes Kind weiss, dass diese Tiere, deren Jagd die wichtigste Vorbedingung für jene Leistungen bildet, noch heute die unentbehrlichsten Dinge liefern. Was ist natürlicher als dass er auch die schönen und guten Dinge, von deren Herkunft er Nichts oder wie von den Kulturpflanzen, nur Unbestimmtes weiss, ebenfalls von Tieren her- leitet, sobald er darüber nachdenkt? Was ist natürlicher, als dass die Eidechse, die mehrere Monate verschläft, den Schlaf (er wurde ihr aus den Augen gezogen)
Wir verstehen, dass der Indianer insofern Tiere wie Personen auftreten lässt, als er von ihren Unterhaltungen berichtet, denn man weiss, dass sich die Tiere gegenseitig rufen und in liebenden oder drohenden Tönen verständigen, allein die Ausstattung der Tiere mit Kulturerzeugnissen und Geräten scheint uns doch das Maass des Erlaubten zu übersteigen. Ja, der Mensch soll gemäss den indianischen Ahnensagen alles mögliche Gute, das er besitzt, von den Tieren erworben haben. Da sind die mannigfaltigsten Tiere »Herren« oder »Besitzer« davon gewesen und ihnen hat es der Kulturheros genommen. Herr des medi- zinischen Tabaks und der Baumwolle war der Wickelbär, Cercoleptes caudivolvulus, Herr des gewöhnlichen Rauchtabaks der Zitteraal, Herr der Mandioka der Bagadú- fisch Phractocephalus, Herr des Schlafes und der Buritíhängematte die Eidechse, Herr der mit Wasser gefüllten Töpfe, nach deren Zerschlagen der Ronuro und der Paranatinga flossen, die Ochobi-Flussschlange, Herr der Sonne der Königs- geier, Sarcoramphus papa, und mehr dergleichen. Wie ist ein solcher Unsinn möglich? Das Alles ist natürlich symbolisch gemeint, erklärt der Träger der Kulturbrille und hält die Frage für erledigt. Ich kann nur herzlich lachen, wenn ich mir die indianischen, an der Anschauung klebenden Jäger und Fischer mit symbolischen Tieren hantierend denke wie die Dichter, Maler und, um auch der niederen Geister nicht zu vergessen, die ihre Trade-mark erfindenden Patent- inhaber unserer zivilisierten Welt — die allerdings sämtlich zu den Originalen ihrer Symboltiere nicht in dem Verhältnis naher persönlicher Bekanntschaft zu stehen pflegen.
Nein, Antonio und seine Stammesgenossen hätten unsere Art Symbole nicht begriffen, geschweige selbst welche erfunden. Ich leugne es nicht, mir hat während unserer Unterhaltung zuweilen der Verstand stillgestanden, wenn mir der treuherzige Glaube an die Wirklichkeit der »Märchen«-Tiere und ihres Kultur- besitzes in seiner ganzen Urwüchsigkeit entgegentrat, allein ich habe mich von seiner Echtheit auch so genau überzeugt, dass ich mich für verpflichtet halte, jede Erklärung, die ihn nicht voll anerkennt, zurückzuweisen. Ich meine auch, die Sache sei einfach genug zu verstehen. Der Indianer hat ja in Wahrheit die wichtigsten Teile seiner Kultur von den Personen erhalten, die wir Tiere nennen, und ihnen muss er sie noch heute wegnehmen. Zähne, Knochen, Klauen, Muscheln sind seine Werkzeuge, ohne die er weder Waffe noch Haus noch Gerät herstellen könnte. Er verdankt, was er leisten kann der Piranya, dem Hundsfisch, dem Affen, dem Kapivara, dem Agutí, dem Riesengürteltier, den Mollusken, und von allen ihnen berichtet die Legende Nichts, weil jedes Kind weiss, dass diese Tiere, deren Jagd die wichtigste Vorbedingung für jene Leistungen bildet, noch heute die unentbehrlichsten Dinge liefern. Was ist natürlicher als dass er auch die schönen und guten Dinge, von deren Herkunft er Nichts oder wie von den Kulturpflanzen, nur Unbestimmtes weiss, ebenfalls von Tieren her- leitet, sobald er darüber nachdenkt? Was ist natürlicher, als dass die Eidechse, die mehrere Monate verschläft, den Schlaf (er wurde ihr aus den Augen gezogen)
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[354/0418]
Wir verstehen, dass der Indianer insofern Tiere wie Personen auftreten
lässt, als er von ihren Unterhaltungen berichtet, denn man weiss, dass sich die
Tiere gegenseitig rufen und in liebenden oder drohenden Tönen verständigen,
allein die Ausstattung der Tiere mit Kulturerzeugnissen und Geräten scheint
uns doch das Maass des Erlaubten zu übersteigen. Ja, der Mensch soll gemäss
den indianischen Ahnensagen alles mögliche Gute, das er besitzt, von den Tieren
erworben haben. Da sind die mannigfaltigsten Tiere »Herren« oder »Besitzer«
davon gewesen und ihnen hat es der Kulturheros genommen. Herr des medi-
zinischen Tabaks und der Baumwolle war der Wickelbär, Cercoleptes caudivolvulus,
Herr des gewöhnlichen Rauchtabaks der Zitteraal, Herr der Mandioka der Bagadú-
fisch Phractocephalus, Herr des Schlafes und der Buritíhängematte die Eidechse,
Herr der mit Wasser gefüllten Töpfe, nach deren Zerschlagen der Ronuro und
der Paranatinga flossen, die Ochobi-Flussschlange, Herr der Sonne der Königs-
geier, Sarcoramphus papa, und mehr dergleichen. Wie ist ein solcher Unsinn
möglich? Das Alles ist natürlich symbolisch gemeint, erklärt der Träger der
Kulturbrille und hält die Frage für erledigt. Ich kann nur herzlich lachen, wenn
ich mir die indianischen, an der Anschauung klebenden Jäger und Fischer mit
symbolischen Tieren hantierend denke wie die Dichter, Maler und, um auch
der niederen Geister nicht zu vergessen, die ihre Trade-mark erfindenden Patent-
inhaber unserer zivilisierten Welt — die allerdings sämtlich zu den Originalen ihrer
Symboltiere nicht in dem Verhältnis naher persönlicher Bekanntschaft zu stehen
pflegen.
Nein, Antonio und seine Stammesgenossen hätten unsere Art Symbole
nicht begriffen, geschweige selbst welche erfunden. Ich leugne es nicht, mir hat
während unserer Unterhaltung zuweilen der Verstand stillgestanden, wenn mir
der treuherzige Glaube an die Wirklichkeit der »Märchen«-Tiere und ihres Kultur-
besitzes in seiner ganzen Urwüchsigkeit entgegentrat, allein ich habe mich von
seiner Echtheit auch so genau überzeugt, dass ich mich für verpflichtet halte,
jede Erklärung, die ihn nicht voll anerkennt, zurückzuweisen. Ich meine auch,
die Sache sei einfach genug zu verstehen. Der Indianer hat ja in Wahrheit
die wichtigsten Teile seiner Kultur von den Personen erhalten, die
wir Tiere nennen, und ihnen muss er sie noch heute wegnehmen. Zähne,
Knochen, Klauen, Muscheln sind seine Werkzeuge, ohne die er weder Waffe noch
Haus noch Gerät herstellen könnte. Er verdankt, was er leisten kann der Piranya,
dem Hundsfisch, dem Affen, dem Kapivara, dem Agutí, dem Riesengürteltier,
den Mollusken, und von allen ihnen berichtet die Legende Nichts, weil jedes
Kind weiss, dass diese Tiere, deren Jagd die wichtigste Vorbedingung für jene
Leistungen bildet, noch heute die unentbehrlichsten Dinge liefern. Was ist natürlicher
als dass er auch die schönen und guten Dinge, von deren Herkunft er Nichts oder
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die mehrere Monate verschläft, den Schlaf (er wurde ihr aus den Augen gezogen)
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/418>, abgerufen am 22.11.2024.
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