in Araras über, wie auch in gewisse andere Tiere, nicht nur sind die Araras Bororo und werden entsprechend behandelt -- sie drücken ihr Verhältnis zu dem farbenprächtigen Vogel kaltblütig auch so aus, dass sie sich selbst als Araras bezeichnen, wie wenn eine Raupe sagte, dass sie ein Schmetterling sei, und wollen sich damit durchaus nicht nur einen von ihrem Wesen ganz unabhängigen Namen zulegen.
Also die Trumai sind Wassertiere, weil sie eine Gewohnheit der Wasser- tiere haben, die Bororo sind Araras, weil sich ihre Toten in Araras verwandeln. Man sucht solche und ähnliche Erscheinungen durch die in der Tradition leicht vorkommende Verwechslung von Namen und Sache zu deuten. Das trifft bei unsern Indianern entschieden nicht zu. Obwohl gern zugegeben werden mag, dass sich, wo die Grundanschauung vorhanden ist, derlei Verwechslungen von selbst einfinden, so muss doch die unzweifelhaft vorhandene Grundanschauung als die Hauptsache vorangestellt werden. Oder würden wir, denen sie fehlt und denen Verwechslungen auch widerfahren können, unsern Geographen und Historikern jemals glauben, dass die Finnen ein Volk von Blasenwürmern seien?
Mangelt aber der Wesensunterschied, so liegt die Sache ganz anders. Dann steht Nichts im Wege, dass der Kampfuchs, der nächtliche Räuber, der in seinen im Dunkel leuchtenden Augen ja Feuer hat, dieses Feuer, indem er es sich aus den Augen herausschlug, den Menschen geben konnte. Oder, um eine häufige Variante der Ahnensage zu nehmen, dann steht Nichts im Wege, dass der Jaguar der Urahn eines menschenfressenden Stammes gewesen ist; denn immer wird ausdrücklich berichtet, dass dieser Stammvater "Jaguar" Vorfahren des eigenen Stammes, Bakairi oder Paressi, getödtet und gefressen habe. Ich darf auf das Bestimmteste versichern, dass mein Gewährsmann felsenfest über- zeugt war, dass der betreffende böse Stammvater der Legende ein Jaguar war, obwohl er mit Pfeilen schoss, und nicht nur so hiess. Dass die frühere Zeit, in der die Legende entstanden ist, nur symbolisiert und Nachkommen, Namen und Sache verwechselt hätte, ist eine bequeme Unterstellung, aber eine unzulässige, weil alsdann die ganze Tradition nur aus Verwechslungen bestehen würde. Die frühere Generation hatte dieselbe Grundanschauung wie die heutige. Sie er- klärte sich die kannibalische Sitte des Nachbarstammes durch die Abstammung vom Jaguar, dessen Kennzeichen es ist, dass er Menschen frisst. Sie kannte den Stammvater nicht, weil man ihn von keinem Stamm, obwohl er immer da ge- wesen sein muss, kennen kann. Sie hatte, da der Wesensunterschied zwischen Mensch und Tier fehlt, keine Schwierigkeit, zu schliessen, weil diese Leute immer Menschen, unsere eigenen Vorfahren, gefressen haben, deshalb ist der Stamm- vater ein Jaguar gewesen, und ihr Kausalbedürfnis war befriedigt -- was viel wesentlicher war als der etwaige Einwand, heute ist der Sohn eines Jaguar doch auch stets ein Jaguar, und heute schiesst doch kein Jaguar, wie es allerdings die Vorfahren des feindlichen Stammes gethan haben, mit Bogen und Pfeil.
v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 23
in Araras über, wie auch in gewisse andere Tiere, nicht nur sind die Araras Bororó und werden entsprechend behandelt — sie drücken ihr Verhältnis zu dem farbenprächtigen Vogel kaltblütig auch so aus, dass sie sich selbst als Araras bezeichnen, wie wenn eine Raupe sagte, dass sie ein Schmetterling sei, und wollen sich damit durchaus nicht nur einen von ihrem Wesen ganz unabhängigen Namen zulegen.
Also die Trumaí sind Wassertiere, weil sie eine Gewohnheit der Wasser- tiere haben, die Bororó sind Araras, weil sich ihre Toten in Araras verwandeln. Man sucht solche und ähnliche Erscheinungen durch die in der Tradition leicht vorkommende Verwechslung von Namen und Sache zu deuten. Das trifft bei unsern Indianern entschieden nicht zu. Obwohl gern zugegeben werden mag, dass sich, wo die Grundanschauung vorhanden ist, derlei Verwechslungen von selbst einfinden, so muss doch die unzweifelhaft vorhandene Grundanschauung als die Hauptsache vorangestellt werden. Oder würden wir, denen sie fehlt und denen Verwechslungen auch widerfahren können, unsern Geographen und Historikern jemals glauben, dass die Finnen ein Volk von Blasenwürmern seien?
Mangelt aber der Wesensunterschied, so liegt die Sache ganz anders. Dann steht Nichts im Wege, dass der Kampfuchs, der nächtliche Räuber, der in seinen im Dunkel leuchtenden Augen ja Feuer hat, dieses Feuer, indem er es sich aus den Augen herausschlug, den Menschen geben konnte. Oder, um eine häufige Variante der Ahnensage zu nehmen, dann steht Nichts im Wege, dass der Jaguar der Urahn eines menschenfressenden Stammes gewesen ist; denn immer wird ausdrücklich berichtet, dass dieser Stammvater »Jaguar« Vorfahren des eigenen Stammes, Bakaïrí oder Paressí, getödtet und gefressen habe. Ich darf auf das Bestimmteste versichern, dass mein Gewährsmann felsenfest über- zeugt war, dass der betreffende böse Stammvater der Legende ein Jaguar war, obwohl er mit Pfeilen schoss, und nicht nur so hiess. Dass die frühere Zeit, in der die Legende entstanden ist, nur symbolisiert und Nachkommen, Namen und Sache verwechselt hätte, ist eine bequeme Unterstellung, aber eine unzulässige, weil alsdann die ganze Tradition nur aus Verwechslungen bestehen würde. Die frühere Generation hatte dieselbe Grundanschauung wie die heutige. Sie er- klärte sich die kannibalische Sitte des Nachbarstammes durch die Abstammung vom Jaguar, dessen Kennzeichen es ist, dass er Menschen frisst. Sie kannte den Stammvater nicht, weil man ihn von keinem Stamm, obwohl er immer da ge- wesen sein muss, kennen kann. Sie hatte, da der Wesensunterschied zwischen Mensch und Tier fehlt, keine Schwierigkeit, zu schliessen, weil diese Leute immer Menschen, unsere eigenen Vorfahren, gefressen haben, deshalb ist der Stamm- vater ein Jaguar gewesen, und ihr Kausalbedürfnis war befriedigt — was viel wesentlicher war als der etwaige Einwand, heute ist der Sohn eines Jaguar doch auch stets ein Jaguar, und heute schiesst doch kein Jaguar, wie es allerdings die Vorfahren des feindlichen Stammes gethan haben, mit Bogen und Pfeil.
v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 23
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[353/0417]
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Bororó und werden entsprechend behandelt — sie drücken ihr Verhältnis zu dem
farbenprächtigen Vogel kaltblütig auch so aus, dass sie sich selbst als Araras
bezeichnen, wie wenn eine Raupe sagte, dass sie ein Schmetterling sei, und
wollen sich damit durchaus nicht nur einen von ihrem Wesen ganz unabhängigen
Namen zulegen.
Also die Trumaí sind Wassertiere, weil sie eine Gewohnheit der Wasser-
tiere haben, die Bororó sind Araras, weil sich ihre Toten in Araras verwandeln.
Man sucht solche und ähnliche Erscheinungen durch die in der Tradition leicht
vorkommende Verwechslung von Namen und Sache zu deuten. Das trifft bei
unsern Indianern entschieden nicht zu. Obwohl gern zugegeben werden mag,
dass sich, wo die Grundanschauung vorhanden ist, derlei Verwechslungen von
selbst einfinden, so muss doch die unzweifelhaft vorhandene Grundanschauung
als die Hauptsache vorangestellt werden. Oder würden wir, denen sie fehlt
und denen Verwechslungen auch widerfahren können, unsern Geographen und
Historikern jemals glauben, dass die Finnen ein Volk von Blasenwürmern seien?
Mangelt aber der Wesensunterschied, so liegt die Sache ganz anders. Dann
steht Nichts im Wege, dass der Kampfuchs, der nächtliche Räuber, der in seinen
im Dunkel leuchtenden Augen ja Feuer hat, dieses Feuer, indem er es sich aus
den Augen herausschlug, den Menschen geben konnte. Oder, um eine häufige
Variante der Ahnensage zu nehmen, dann steht Nichts im Wege, dass der
Jaguar der Urahn eines menschenfressenden Stammes gewesen ist; denn
immer wird ausdrücklich berichtet, dass dieser Stammvater »Jaguar« Vorfahren
des eigenen Stammes, Bakaïrí oder Paressí, getödtet und gefressen habe. Ich
darf auf das Bestimmteste versichern, dass mein Gewährsmann felsenfest über-
zeugt war, dass der betreffende böse Stammvater der Legende ein Jaguar war,
obwohl er mit Pfeilen schoss, und nicht nur so hiess. Dass die frühere Zeit, in
der die Legende entstanden ist, nur symbolisiert und Nachkommen, Namen und
Sache verwechselt hätte, ist eine bequeme Unterstellung, aber eine unzulässige,
weil alsdann die ganze Tradition nur aus Verwechslungen bestehen würde.
Die frühere Generation hatte dieselbe Grundanschauung wie die heutige. Sie er-
klärte sich die kannibalische Sitte des Nachbarstammes durch die Abstammung
vom Jaguar, dessen Kennzeichen es ist, dass er Menschen frisst. Sie kannte den
Stammvater nicht, weil man ihn von keinem Stamm, obwohl er immer da ge-
wesen sein muss, kennen kann. Sie hatte, da der Wesensunterschied zwischen
Mensch und Tier fehlt, keine Schwierigkeit, zu schliessen, weil diese Leute immer
Menschen, unsere eigenen Vorfahren, gefressen haben, deshalb ist der Stamm-
vater ein Jaguar gewesen, und ihr Kausalbedürfnis war befriedigt —
was viel wesentlicher war als der etwaige Einwand, heute ist der Sohn
eines Jaguar doch auch stets ein Jaguar, und heute schiesst doch kein Jaguar,
wie es allerdings die Vorfahren des feindlichen Stammes gethan haben, mit
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/417>, abgerufen am 25.11.2024.
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