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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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oder dass der Kampfuchs, dessen Augen im Dunkel leuchten, wenn er Nachts
auf Beute ausgeht, das Feuer geliefert hat; als dass die Sonne, deren Beschaffenheit
wir noch kennen lernen werden, im Besitz des Herrschers der Lüfte, des Königs-
geiers, den die übrigen Geier streng respektieren, und dass das Wasser im Besitz
einer grossen Flussschlange war? Mit dem Schlaf hat die Eidechse auch die
Hängematte hergeben müssen, die dazu gehört. Jetzt hat sie keine mehr, sie ist
ihr eben weggenommen worden, und sie war auch sehr böse. Alle jene Errungen-
schaften wurden mit Gewalt oder List geraubt; darum fehlen sie den
Tieren heutzutage
. So wird das Kausalbedürfnis der alten naiven Jäger auf
das Angenehmste befriedigt und zwar durchaus auf dem Boden der Grund-
anschauung, dass Tiere und Menschen nur verschieden aussehende und verschieden
ausgestattete Personen sind.

Es ist der modernen Forschung gelungen, eine Anzahl der gefährlichsten
Krankheiten auf das Vorhandensein von Bazillen zurückzuführen, und was ist die
Folge? Alle möglichen Krankheiten, deren Ursache noch verborgen ist, werden
auch Bazillen zur Last gelegt; Tausende von Leuten, die niemals einen Mikro-
organismus gesehen haben, geschweige dass sie nur eine Ahnung davon hätten,
wie die bösen Tiere es eigentlich anfangen, die Krankheit hervorzurufen, wittern
sie jetzt in Allem, was sie geniessen, und erscheinen mit ihnen vertraut wie mit
Spinnen und Schnaken. Jene nachgewiesenen Krankheitserreger möchte ich den
Tieren vergleichen, die dem Indianer wirklich die nützlichsten Dinge geliefert
haben, und jene andern, die nur in der Legende existieren, den Märchentieren,
denen er, in gleichem Denkgeleise vorwärts strebend, die Dinge unbekannter
Herkunft zuschreibt. Es ist ein natürlicher Vorgang, dass man das Unbekannte
genau so erklärt wie das Bekannte.

Sonne, Feuer, Wasser, Schlaf sind Dinge, deren erste Besitzer rein erdacht
werden müssen; für sie giebt es keine, auch noch so verblasste historische
Tradition. Anders kann es -- nötig ist es nicht -- mit Kulturpflanzen sein.
Der medizinische Tabak, erinnert man sich dunkel, ist aus dem Norden gekommen.
Unzweifelhaft hat ihn, sagen wir, ein benachbarter Stamm geliefert; allein die
Bakairi haben längst die wirkliche und in ihren Einzelheiten sehr gewöhnliche
Begebenheit vergessen; seit vielen Generationen weiss man nichts mehr, als das
man dort wo der Wickelbär lebt, zuerst mit Tabak kuriert hat. Der Wickelbär
ist sehr selten im Gebiet der Bakairi, Antonio hatte noch keinen gesehen, er
wusste aber genau, wie er aussah und seine in allen Einzelheiten sehr bestimmte
Beschreibung nebst dem Namen sawari gab mir die Möglichkeit, ihn als
das lautlich identische yawari der Makuschi in Guyana zu erkennen, von dem
Schomburgk bei seinem Bericht zufügt, dass das Vorkommen des yawari nach
v. Tschudi in Peru bis zum zehnten Grad südlicher Breite bekannt sei!
So lieferte der Wickelbär als die für die Gegend, wo der Tabak herkam,
charakteristische Person den Tabak ebenso, wie der Königsgeier die Sonne geliefert
hat als die Person, die in die Gegend der Sonne hinkommt.


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oder dass der Kampfuchs, dessen Augen im Dunkel leuchten, wenn er Nachts
auf Beute ausgeht, das Feuer geliefert hat; als dass die Sonne, deren Beschaffenheit
wir noch kennen lernen werden, im Besitz des Herrschers der Lüfte, des Königs-
geiers, den die übrigen Geier streng respektieren, und dass das Wasser im Besitz
einer grossen Flussschlange war? Mit dem Schlaf hat die Eidechse auch die
Hängematte hergeben müssen, die dazu gehört. Jetzt hat sie keine mehr, sie ist
ihr eben weggenommen worden, und sie war auch sehr böse. Alle jene Errungen-
schaften wurden mit Gewalt oder List geraubt; darum fehlen sie den
Tieren heutzutage
. So wird das Kausalbedürfnis der alten naiven Jäger auf
das Angenehmste befriedigt und zwar durchaus auf dem Boden der Grund-
anschauung, dass Tiere und Menschen nur verschieden aussehende und verschieden
ausgestattete Personen sind.

Es ist der modernen Forschung gelungen, eine Anzahl der gefährlichsten
Krankheiten auf das Vorhandensein von Bazillen zurückzuführen, und was ist die
Folge? Alle möglichen Krankheiten, deren Ursache noch verborgen ist, werden
auch Bazillen zur Last gelegt; Tausende von Leuten, die niemals einen Mikro-
organismus gesehen haben, geschweige dass sie nur eine Ahnung davon hätten,
wie die bösen Tiere es eigentlich anfangen, die Krankheit hervorzurufen, wittern
sie jetzt in Allem, was sie geniessen, und erscheinen mit ihnen vertraut wie mit
Spinnen und Schnaken. Jene nachgewiesenen Krankheitserreger möchte ich den
Tieren vergleichen, die dem Indianer wirklich die nützlichsten Dinge geliefert
haben, und jene andern, die nur in der Legende existieren, den Märchentieren,
denen er, in gleichem Denkgeleise vorwärts strebend, die Dinge unbekannter
Herkunft zuschreibt. Es ist ein natürlicher Vorgang, dass man das Unbekannte
genau so erklärt wie das Bekannte.

Sonne, Feuer, Wasser, Schlaf sind Dinge, deren erste Besitzer rein erdacht
werden müssen; für sie giebt es keine, auch noch so verblasste historische
Tradition. Anders kann es — nötig ist es nicht — mit Kulturpflanzen sein.
Der medizinische Tabak, erinnert man sich dunkel, ist aus dem Norden gekommen.
Unzweifelhaft hat ihn, sagen wir, ein benachbarter Stamm geliefert; allein die
Bakaïrí haben längst die wirkliche und in ihren Einzelheiten sehr gewöhnliche
Begebenheit vergessen; seit vielen Generationen weiss man nichts mehr, als das
man dort wo der Wickelbär lebt, zuerst mit Tabak kuriert hat. Der Wickelbär
ist sehr selten im Gebiet der Bakaïrí, Antonio hatte noch keinen gesehen, er
wusste aber genau, wie er aussah und seine in allen Einzelheiten sehr bestimmte
Beschreibung nebst dem Namen sawári gab mir die Möglichkeit, ihn als
das lautlich identische yawari der Makuschí in Guyana zu erkennen, von dem
Schomburgk bei seinem Bericht zufügt, dass das Vorkommen des yawari nach
v. Tschudi in Peru bis zum zehnten Grad südlicher Breite bekannt sei!
So lieferte der Wickelbär als die für die Gegend, wo der Tabak herkam,
charakteristische Person den Tabak ebenso, wie der Königsgeier die Sonne geliefert
hat als die Person, die in die Gegend der Sonne hinkommt.


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[355/0419] oder dass der Kampfuchs, dessen Augen im Dunkel leuchten, wenn er Nachts auf Beute ausgeht, das Feuer geliefert hat; als dass die Sonne, deren Beschaffenheit wir noch kennen lernen werden, im Besitz des Herrschers der Lüfte, des Königs- geiers, den die übrigen Geier streng respektieren, und dass das Wasser im Besitz einer grossen Flussschlange war? Mit dem Schlaf hat die Eidechse auch die Hängematte hergeben müssen, die dazu gehört. Jetzt hat sie keine mehr, sie ist ihr eben weggenommen worden, und sie war auch sehr böse. Alle jene Errungen- schaften wurden mit Gewalt oder List geraubt; darum fehlen sie den Tieren heutzutage. So wird das Kausalbedürfnis der alten naiven Jäger auf das Angenehmste befriedigt und zwar durchaus auf dem Boden der Grund- anschauung, dass Tiere und Menschen nur verschieden aussehende und verschieden ausgestattete Personen sind. Es ist der modernen Forschung gelungen, eine Anzahl der gefährlichsten Krankheiten auf das Vorhandensein von Bazillen zurückzuführen, und was ist die Folge? Alle möglichen Krankheiten, deren Ursache noch verborgen ist, werden auch Bazillen zur Last gelegt; Tausende von Leuten, die niemals einen Mikro- organismus gesehen haben, geschweige dass sie nur eine Ahnung davon hätten, wie die bösen Tiere es eigentlich anfangen, die Krankheit hervorzurufen, wittern sie jetzt in Allem, was sie geniessen, und erscheinen mit ihnen vertraut wie mit Spinnen und Schnaken. Jene nachgewiesenen Krankheitserreger möchte ich den Tieren vergleichen, die dem Indianer wirklich die nützlichsten Dinge geliefert haben, und jene andern, die nur in der Legende existieren, den Märchentieren, denen er, in gleichem Denkgeleise vorwärts strebend, die Dinge unbekannter Herkunft zuschreibt. Es ist ein natürlicher Vorgang, dass man das Unbekannte genau so erklärt wie das Bekannte. Sonne, Feuer, Wasser, Schlaf sind Dinge, deren erste Besitzer rein erdacht werden müssen; für sie giebt es keine, auch noch so verblasste historische Tradition. Anders kann es — nötig ist es nicht — mit Kulturpflanzen sein. Der medizinische Tabak, erinnert man sich dunkel, ist aus dem Norden gekommen. Unzweifelhaft hat ihn, sagen wir, ein benachbarter Stamm geliefert; allein die Bakaïrí haben längst die wirkliche und in ihren Einzelheiten sehr gewöhnliche Begebenheit vergessen; seit vielen Generationen weiss man nichts mehr, als das man dort wo der Wickelbär lebt, zuerst mit Tabak kuriert hat. Der Wickelbär ist sehr selten im Gebiet der Bakaïrí, Antonio hatte noch keinen gesehen, er wusste aber genau, wie er aussah und seine in allen Einzelheiten sehr bestimmte Beschreibung nebst dem Namen sawári gab mir die Möglichkeit, ihn als das lautlich identische yawari der Makuschí in Guyana zu erkennen, von dem Schomburgk bei seinem Bericht zufügt, dass das Vorkommen des yawari nach v. Tschudi in Peru bis zum zehnten Grad südlicher Breite bekannt sei! So lieferte der Wickelbär als die für die Gegend, wo der Tabak herkam, charakteristische Person den Tabak ebenso, wie der Königsgeier die Sonne geliefert hat als die Person, die in die Gegend der Sonne hinkommt. 23*

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/419>, abgerufen am 19.05.2024.