obwohl die Soldaten damals versicherten, dass sie nur in die Luft gefeuert hätten, ein Indianer getötet worden, und dies soll nicht ein Trumai, sondern ein Kamayura gewesen sein. Takuni erklärte, dass sie bis zu den Nahuqua am Kuluene geflohen seien; drei Tage hätten sie dann nach Hause gebraucht, wo er krank und totmüde angekommen sei.
Am Abend des 23. Oktober lernten wir noch eine vierte Ansiedelung kennen; wir wurden mit grosser Feierlichkeit aufgefordert, dort einen Besuch zu machen und spazierten von unserem Wohnhaus im Gänsemarsch dorthin. Ein mächtiger Platz war frei gerodet worden. Ein schönes Haus, vielleicht das schönste, das wir am Schingu gesehen haben, hoch und geräumig, war offenbar erst seit kurzem fertig geworden. An diesem Orte wollten die jetzt zerstreut ange- siedelten Kamayura sich zu einem Dorfe vereinigen. Aber -- und wieder kam dieses grosse Aber, als wir rauchend zusammensassen -- aber mit den Stein beilen ist die Arbeit so mühsam; vom Morgen bis zum Abend quält man sich, um einen Baum, den der Karaibe mit zwei oder drei Hieben -- tok tok -- niederschlägt. Ich lud die Kamayura ein, uns nach Cuyaba zu begleiten. Dort sollten sie Messer und Aexte haben, so viel ihr Herz begehre. Ich beschrieb ihnen Cuyaba, malte ihnen aus, dass dort so viele Häuser ständen als am ganzen Kulisehu und Kuluene zusammengenommen und versicherte sie der freundlichsten Aufnahme.
Wenig befriedigte zwar die Auskunft über den weiten Weg. Finger und Zehen reichten nicht aus, um zu veranschaulichen, wie viele Male die Sonne den Tageslauf am Himmel beschreiben müsse, bis man zu den Häusern der Karaiben gelange. Dennoch waren Alle von dem Vorschlag begeistert. Takuni schwelgte in der Vorstellung, wie ihn die Frauen bewillkommnen würden bei seiner Heim- kehr, wenn er den schwerbepackten Tragkorb niedersetze und seine Schätze her- vorhole. Stundenlang wurde das Thema in Wort und Pantomime behandelt; schliesslich überwogen bei Takuni die Zweifel. Seine schauspielerische Leistung gewann einen sentimentalen Charakter: er hat Kinder, die nach ihm weinen, die noch an der Brust liegen, für die er fischen und roden muss.
Nachdem wir uns zum Schlaf in das Haus zurückgezogen hatten, dauerte die unseren Gastfreunden so angenehme Erregung noch lange fort. Wilhelm hatte schon die Augen geschlossen, als es noch an seiner Hängematte zupfte und ein Kamayura ihn mit leiser Stimme bat, ihm noch einmal den Weg nach Cu- yaba vorzurechnen und ihm zu versichern, dass er dort Beile und Perlen er- halten werde. Ueberhaupt fehlte es in der Nacht nicht an komischen Zwischen- fällen. Ehrenreich musste die photographischen Platten wechseln und war genötigt, die Leute zu bitten, dass sie die kleinen Feuer, die sie bei den Hängematten bis zum Morgen anzuhalten pflegen, für eine Weile auslöschten. Gutwillig entsprachen sie seinem Wunsche, aber es war ihnen unheimlich zu Mute. Als sie die rote Laterne sahen, fragten sie sogar ängstlich -- eine sehr merkwürdige Frage -- ob die Suya kämen.
obwohl die Soldaten damals versicherten, dass sie nur in die Luft gefeuert hätten, ein Indianer getötet worden, und dies soll nicht ein Trumai, sondern ein Kamayurá gewesen sein. Takuni erklärte, dass sie bis zu den Nahuquá am Kuluëne geflohen seien; drei Tage hätten sie dann nach Hause gebraucht, wo er krank und totmüde angekommen sei.
Am Abend des 23. Oktober lernten wir noch eine vierte Ansiedelung kennen; wir wurden mit grosser Feierlichkeit aufgefordert, dort einen Besuch zu machen und spazierten von unserem Wohnhaus im Gänsemarsch dorthin. Ein mächtiger Platz war frei gerodet worden. Ein schönes Haus, vielleicht das schönste, das wir am Schingú gesehen haben, hoch und geräumig, war offenbar erst seit kurzem fertig geworden. An diesem Orte wollten die jetzt zerstreut ange- siedelten Kamayurá sich zu einem Dorfe vereinigen. Aber — und wieder kam dieses grosse Aber, als wir rauchend zusammensassen — aber mit den Stein beilen ist die Arbeit so mühsam; vom Morgen bis zum Abend quält man sich, um einen Baum, den der Karaibe mit zwei oder drei Hieben — tok tok — niederschlägt. Ich lud die Kamayurá ein, uns nach Cuyabá zu begleiten. Dort sollten sie Messer und Aexte haben, so viel ihr Herz begehre. Ich beschrieb ihnen Cuyabá, malte ihnen aus, dass dort so viele Häuser ständen als am ganzen Kulisehu und Kuluëne zusammengenommen und versicherte sie der freundlichsten Aufnahme.
Wenig befriedigte zwar die Auskunft über den weiten Weg. Finger und Zehen reichten nicht aus, um zu veranschaulichen, wie viele Male die Sonne den Tageslauf am Himmel beschreiben müsse, bis man zu den Häusern der Karaiben gelange. Dennoch waren Alle von dem Vorschlag begeistert. Takuni schwelgte in der Vorstellung, wie ihn die Frauen bewillkommnen würden bei seiner Heim- kehr, wenn er den schwerbepackten Tragkorb niedersetze und seine Schätze her- vorhole. Stundenlang wurde das Thema in Wort und Pantomime behandelt; schliesslich überwogen bei Takuni die Zweifel. Seine schauspielerische Leistung gewann einen sentimentalen Charakter: er hat Kinder, die nach ihm weinen, die noch an der Brust liegen, für die er fischen und roden muss.
Nachdem wir uns zum Schlaf in das Haus zurückgezogen hatten, dauerte die unseren Gastfreunden so angenehme Erregung noch lange fort. Wilhelm hatte schon die Augen geschlossen, als es noch an seiner Hängematte zupfte und ein Kamayurá ihn mit leiser Stimme bat, ihm noch einmal den Weg nach Cu- yabá vorzurechnen und ihm zu versichern, dass er dort Beile und Perlen er- halten werde. Ueberhaupt fehlte es in der Nacht nicht an komischen Zwischen- fällen. Ehrenreich musste die photographischen Platten wechseln und war genötigt, die Leute zu bitten, dass sie die kleinen Feuer, die sie bei den Hängematten bis zum Morgen anzuhalten pflegen, für eine Weile auslöschten. Gutwillig entsprachen sie seinem Wunsche, aber es war ihnen unheimlich zu Mute. Als sie die rote Laterne sahen, fragten sie sogar ängstlich — eine sehr merkwürdige Frage — ob die Suyá kämen.
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[119/0153]
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ein Indianer getötet worden, und dies soll nicht ein Trumai, sondern ein Kamayurá
gewesen sein. Takuni erklärte, dass sie bis zu den Nahuquá am Kuluëne geflohen
seien; drei Tage hätten sie dann nach Hause gebraucht, wo er krank und totmüde
angekommen sei.
Am Abend des 23. Oktober lernten wir noch eine vierte Ansiedelung
kennen; wir wurden mit grosser Feierlichkeit aufgefordert, dort einen Besuch zu
machen und spazierten von unserem Wohnhaus im Gänsemarsch dorthin. Ein
mächtiger Platz war frei gerodet worden. Ein schönes Haus, vielleicht das schönste,
das wir am Schingú gesehen haben, hoch und geräumig, war offenbar erst seit
kurzem fertig geworden. An diesem Orte wollten die jetzt zerstreut ange-
siedelten Kamayurá sich zu einem Dorfe vereinigen. Aber — und wieder kam
dieses grosse Aber, als wir rauchend zusammensassen — aber mit den Stein
beilen ist die Arbeit so mühsam; vom Morgen bis zum Abend quält man
sich, um einen Baum, den der Karaibe mit zwei oder drei Hieben — tok tok —
niederschlägt. Ich lud die Kamayurá ein, uns nach Cuyabá zu begleiten. Dort
sollten sie Messer und Aexte haben, so viel ihr Herz begehre. Ich beschrieb
ihnen Cuyabá, malte ihnen aus, dass dort so viele Häuser ständen als am ganzen
Kulisehu und Kuluëne zusammengenommen und versicherte sie der freundlichsten
Aufnahme.
Wenig befriedigte zwar die Auskunft über den weiten Weg. Finger und
Zehen reichten nicht aus, um zu veranschaulichen, wie viele Male die Sonne den
Tageslauf am Himmel beschreiben müsse, bis man zu den Häusern der Karaiben
gelange. Dennoch waren Alle von dem Vorschlag begeistert. Takuni schwelgte
in der Vorstellung, wie ihn die Frauen bewillkommnen würden bei seiner Heim-
kehr, wenn er den schwerbepackten Tragkorb niedersetze und seine Schätze her-
vorhole. Stundenlang wurde das Thema in Wort und Pantomime behandelt;
schliesslich überwogen bei Takuni die Zweifel. Seine schauspielerische Leistung
gewann einen sentimentalen Charakter: er hat Kinder, die nach ihm weinen, die
noch an der Brust liegen, für die er fischen und roden muss.
Nachdem wir uns zum Schlaf in das Haus zurückgezogen hatten, dauerte
die unseren Gastfreunden so angenehme Erregung noch lange fort. Wilhelm
hatte schon die Augen geschlossen, als es noch an seiner Hängematte zupfte und
ein Kamayurá ihn mit leiser Stimme bat, ihm noch einmal den Weg nach Cu-
yabá vorzurechnen und ihm zu versichern, dass er dort Beile und Perlen er-
halten werde. Ueberhaupt fehlte es in der Nacht nicht an komischen Zwischen-
fällen. Ehrenreich musste die photographischen Platten wechseln und war genötigt,
die Leute zu bitten, dass sie die kleinen Feuer, die sie bei den Hängematten bis
zum Morgen anzuhalten pflegen, für eine Weile auslöschten. Gutwillig entsprachen
sie seinem Wunsche, aber es war ihnen unheimlich zu Mute. Als sie die rote
Laterne sahen, fragten sie sogar ängstlich — eine sehr merkwürdige Frage —
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/153>, abgerufen am 13.10.2024.
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