Auf dem Platz fanden sich eine Anzahl Löcher in dem Boden, die aber nicht wie bei den Auetö ein Grab, sondern die Stelle bezeichneten, wo Mandioka- Wurzeln aufbewahrt wurden. Bei Gelegenheit dieser Auskunft erkundigten wir uns nach der Art und Weise, wie die Toten bestattet werden. Sie verstanden mich sofort, als ich mich selbst wie tot auf den Boden legte, und gaben eine ausführliche mimische Darstellung ihrer Gebräuche.
Sie waren immer bestrebt, uns über ihre Sitten zu belehren, nachdem sie unser Interesse daran wahrgenommen hatten, und auf dem Wege zum Baden machte mich Einer sogar mit dem Maraka-Gesang, dem Begleittext der Tanz- rasselmusik, der Manitsaua-Indianer bekannt: "humita ya heuna hm hm".
Am letzten Morgen erfuhr unsere Eintracht zum ersten Mal eine kleine Störung. Es fehlte eine noch halb gefüllte Büchse Kemmerich'schen Fleischmehls. Auch schien es, dass aus meiner Tasche einige Küchenmesser entwendet worden waren. Ehrenreich hatte man zwei Schnallen von einem Riemen abgeschnitten. Ich sah mich genötigt, unserem Haus- und Gastwirt den Standpunkt klar zu machen und ihm meine Meinung, dass die Kamayura nicht mehr so kura und katu seien wie zu Anfang, in ernstem Ton auszudrücken. Man brachte uns mit demütiger Geberde Beijus, ich wies sie zurück. Die guten Kerle wurden sehr aufgeregt, schoben die Schuld auf einen Trumai, der heimlich dagewesen sei, und brachten nach einer Weile wenigstens den verlorenen Kemmerich wieder.
VII. Trumai-Lager und Auetö-Hafen.
Vogel's Plan, Schingu-Koblenz zu besuchen. Ueber die Yaulapiti zurück. Zusammentreffen mit den Trumai. Studien mit Hindernissen. Arsenikdiebstahl. Die zerstörten Trumaidörfer. Zum Auetö- hafen. Namentausch. Kanus erworben. Diebstähle. Yanumakapü-Nahuqua. Abschied.
Am 22. Oktober unternahm Vogel eine Bootfahrt auf der Kamayura-Lagune, um zu untersuchen, ob sie mit dem Fluss in Verbindung stehe. Den Indianern wurde als Motiv angegeben, dass er fischen wolle. Nach vierstündiger Abwesen- heit kehrte er zurück und hatte sich überzeugt, dass die Lagune nirgendwo in den Fluss übergehe. Es lag ihm sehr viel daran, erstens das Verhältnis von Kuluene und Kulisehu festzustellen und zweitens an der von uns im Jahre 1884 passierten Vereinigungsstelle des von Westen kommenden Ronuro und des von Südost kommenden Flusses, der uns damals als Kulisehu bezeichnet war, also in Schingu-Koblenz, eine Ortsbestimmung zu machen, um auf diese Weise den genauen Anschluss an die geographische Aufnahme der ersten Expedition zu erreichen. Es war die Stelle, wo die Trumai erschienen, mit Mühe zur Landung bewogen wurden und in heller Flucht davongeeilt waren.
Dass wir sämmtlich uns an dieser Rekognoszierungstour beteiligten, war nicht wünschenswert, weil es vor Allem darauf ankam, die karg bemessenen Stunden zur Untersuchung der Indianer zu verwerten, und weil keine grosse Aus-
Auf dem Platz fanden sich eine Anzahl Löcher in dem Boden, die aber nicht wie bei den Auetö́ ein Grab, sondern die Stelle bezeichneten, wo Mandioka- Wurzeln aufbewahrt wurden. Bei Gelegenheit dieser Auskunft erkundigten wir uns nach der Art und Weise, wie die Toten bestattet werden. Sie verstanden mich sofort, als ich mich selbst wie tot auf den Boden legte, und gaben eine ausführliche mimische Darstellung ihrer Gebräuche.
Sie waren immer bestrebt, uns über ihre Sitten zu belehren, nachdem sie unser Interesse daran wahrgenommen hatten, und auf dem Wege zum Baden machte mich Einer sogar mit dem Maraká-Gesang, dem Begleittext der Tanz- rasselmusik, der Manitsauá-Indianer bekannt: „húmitá ya héuna hm hm“.
Am letzten Morgen erfuhr unsere Eintracht zum ersten Mal eine kleine Störung. Es fehlte eine noch halb gefüllte Büchse Kemmerich’schen Fleischmehls. Auch schien es, dass aus meiner Tasche einige Küchenmesser entwendet worden waren. Ehrenreich hatte man zwei Schnallen von einem Riemen abgeschnitten. Ich sah mich genötigt, unserem Haus- und Gastwirt den Standpunkt klar zu machen und ihm meine Meinung, dass die Kamayurá nicht mehr so kúra und katú seien wie zu Anfang, in ernstem Ton auszudrücken. Man brachte uns mit demütiger Geberde Beijús, ich wies sie zurück. Die guten Kerle wurden sehr aufgeregt, schoben die Schuld auf einen Trumaí, der heimlich dagewesen sei, und brachten nach einer Weile wenigstens den verlorenen Kemmerich wieder.
VII. Trumaí-Lager und Auetö́-Hafen.
Vogel’s Plan, Schingú-Koblenz zu besuchen. Ueber die Yaulapiti zurück. Zusammentreffen mit den Trumaí. Studien mit Hindernissen. Arsenikdiebstahl. Die zerstörten Trumaídörfer. Zum Auetö́- hafen. Namentausch. Kanus erworben. Diebstähle. Yanumakapü-Nahuqua. Abschied.
Am 22. Oktober unternahm Vogel eine Bootfahrt auf der Kamayurá-Lagune, um zu untersuchen, ob sie mit dem Fluss in Verbindung stehe. Den Indianern wurde als Motiv angegeben, dass er fischen wolle. Nach vierstündiger Abwesen- heit kehrte er zurück und hatte sich überzeugt, dass die Lagune nirgendwo in den Fluss übergehe. Es lag ihm sehr viel daran, erstens das Verhältnis von Kuluëne und Kulisehu festzustellen und zweitens an der von uns im Jahre 1884 passierten Vereinigungsstelle des von Westen kommenden Ronuro und des von Südost kommenden Flusses, der uns damals als Kulisehu bezeichnet war, also in Schingú-Koblenz, eine Ortsbestimmung zu machen, um auf diese Weise den genauen Anschluss an die geographische Aufnahme der ersten Expedition zu erreichen. Es war die Stelle, wo die Trumaí erschienen, mit Mühe zur Landung bewogen wurden und in heller Flucht davongeeilt waren.
Dass wir sämmtlich uns an dieser Rekognoszierungstour beteiligten, war nicht wünschenswert, weil es vor Allem darauf ankam, die karg bemessenen Stunden zur Untersuchung der Indianer zu verwerten, und weil keine grosse Aus-
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nicht wie bei den Auetö́ ein Grab, sondern die Stelle bezeichneten, wo Mandioka-
Wurzeln aufbewahrt wurden. Bei Gelegenheit dieser Auskunft erkundigten wir
uns nach der Art und Weise, wie die Toten bestattet werden. Sie verstanden
mich sofort, als ich mich selbst wie tot auf den Boden legte, und gaben eine
ausführliche mimische Darstellung ihrer Gebräuche.
Sie waren immer bestrebt, uns über ihre Sitten zu belehren, nachdem sie
unser Interesse daran wahrgenommen hatten, und auf dem Wege zum Baden
machte mich Einer sogar mit dem Maraká-Gesang, dem Begleittext der Tanz-
rasselmusik, der Manitsauá-Indianer bekannt: „húmitá ya héuna hm hm“.
Am letzten Morgen erfuhr unsere Eintracht zum ersten Mal eine kleine
Störung. Es fehlte eine noch halb gefüllte Büchse Kemmerich’schen Fleischmehls.
Auch schien es, dass aus meiner Tasche einige Küchenmesser entwendet worden
waren. Ehrenreich hatte man zwei Schnallen von einem Riemen abgeschnitten.
Ich sah mich genötigt, unserem Haus- und Gastwirt den Standpunkt klar zu
machen und ihm meine Meinung, dass die Kamayurá nicht mehr so kúra und
katú seien wie zu Anfang, in ernstem Ton auszudrücken. Man brachte uns
mit demütiger Geberde Beijús, ich wies sie zurück. Die guten Kerle wurden sehr
aufgeregt, schoben die Schuld auf einen Trumaí, der heimlich dagewesen sei, und
brachten nach einer Weile wenigstens den verlorenen Kemmerich wieder.
VII. Trumaí-Lager und Auetö́-Hafen.
Vogel’s Plan, Schingú-Koblenz zu besuchen. Ueber die Yaulapiti zurück. Zusammentreffen mit den
Trumaí. Studien mit Hindernissen. Arsenikdiebstahl. Die zerstörten Trumaídörfer. Zum Auetö́-
hafen. Namentausch. Kanus erworben. Diebstähle. Yanumakapü-Nahuqua. Abschied.
Am 22. Oktober unternahm Vogel eine Bootfahrt auf der Kamayurá-Lagune,
um zu untersuchen, ob sie mit dem Fluss in Verbindung stehe. Den Indianern
wurde als Motiv angegeben, dass er fischen wolle. Nach vierstündiger Abwesen-
heit kehrte er zurück und hatte sich überzeugt, dass die Lagune nirgendwo in
den Fluss übergehe. Es lag ihm sehr viel daran, erstens das Verhältnis von
Kuluëne und Kulisehu festzustellen und zweitens an der von uns im Jahre 1884
passierten Vereinigungsstelle des von Westen kommenden Ronuro und des von
Südost kommenden Flusses, der uns damals als Kulisehu bezeichnet war, also in
Schingú-Koblenz, eine Ortsbestimmung zu machen, um auf diese Weise den
genauen Anschluss an die geographische Aufnahme der ersten Expedition zu
erreichen. Es war die Stelle, wo die Trumaí erschienen, mit Mühe zur Landung
bewogen wurden und in heller Flucht davongeeilt waren.
Dass wir sämmtlich uns an dieser Rekognoszierungstour beteiligten, war
nicht wünschenswert, weil es vor Allem darauf ankam, die karg bemessenen
Stunden zur Untersuchung der Indianer zu verwerten, und weil keine grosse Aus-
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/154>, abgerufen am 23.11.2024.
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