gründet Sevres und die Gobelins, sie ehrt den Fabrikanten, sie fördert die Kunst und Wissenschaft, sie schafft die Academie und die Ecole des Beaux-Arts; sie geht weiter und gründet die großen Handelsgesell- schaften mit ihren mächtigen Mitteln; ein allgemeines Wohlbehagen breitet sich über das Ganze aus; selbst die Finanzen gelangen zu einem nie geahnten Aufschwung; und so ist der wahre Kern des Merkantil- systems in Frankreich nicht mehr diese oder jene nationalökonomische Anschauung, sondern vielmehr der Gedanke, daß die Volkswirth- schaft nur unter der Hand der leitenden Regierung ihre höchste Entwicklung erlangen könne.
Dieses ächt französische System ist nur wenig durch eine eigene Literatur vertreten. Es war der große, staatsmännische Blick eines einzelnen Mannes, der dieß vermochte. Hier wie immer hat Frank- reichs Schicksal auf der Individualität seines Herrschers geruht. Das dankbare Volk aber nannte das System, das aus der abstracten Lehre der Merkantilisten zu einem praktischen System der wirthschaftlichen Verwaltung geworden, und dem es seine industrielle Stellung in der Welt bis zum heutigen Tage dankt, mit gutem Recht nicht etwa das Merkantilsystem, sondern den Colbertismus. Der Colbertismus ist keine Nationalökonomie; er ist die auf den Principien des Merkantil- systems gebaute innere Volkswirthschaftspflege der höheren Industrie. Der Colbertismus ist der Beginn der Volkswirthschafts- pflege überhaupt; er gehört ganz der Verwaltungslehre. England war unfähig, ihn zu ertragen, Deutschland war unfähig, ihn zu er- zeugen, und der Mangel eines Begriffs der Verwaltung und ihrer Scheidung von der Nationalökonomie macht es auch jetzt noch schwer, ihn recht zu verstehen. Aber es ist kein Zweifel, daß in ihm der Keim aller wirthschaftlichen Verwaltung liegt, die noch immer ihre ganze Bedeutung für Europa nicht entfaltet hat. Denn in ihm zuerst tritt der Staat als Staat handelnd auf; und jetzt erst ist es möglich, daß er auch Fehler begehe, die dann die Grundlage der Erkenntniß des Wahren werden. Und schon das 18. Jahrhundert thut eben in dieser Richtung einen mächtigen Schritt vorwärts.
Was nun endlich das Merkantilsystem in Deutschland betrifft, so ist die Gestalt, welche dasselbe hier annimmt, eben so bezeichnend für dieß große Volk und seinen ganzen staatlichen Charakter, als für Frankreich und England. Auch in Deutschland muß man Wesen und Wirkung jenes Systems nicht etwa auf seinen einfachen nationalökono- mischen Grundgedanken, sondern auf die Elemente des öffentlichen Rechts zurückführen. Als im 17. Jahrhundert der Reichthum als eine der großen Grundlagen der staatlichen Macht den Herrschern zum
gründet Sèvres und die Gobelins, ſie ehrt den Fabrikanten, ſie fördert die Kunſt und Wiſſenſchaft, ſie ſchafft die Académie und die École des Beaux-Arts; ſie geht weiter und gründet die großen Handelsgeſell- ſchaften mit ihren mächtigen Mitteln; ein allgemeines Wohlbehagen breitet ſich über das Ganze aus; ſelbſt die Finanzen gelangen zu einem nie geahnten Aufſchwung; und ſo iſt der wahre Kern des Merkantil- ſyſtems in Frankreich nicht mehr dieſe oder jene nationalökonomiſche Anſchauung, ſondern vielmehr der Gedanke, daß die Volkswirth- ſchaft nur unter der Hand der leitenden Regierung ihre höchſte Entwicklung erlangen könne.
Dieſes ächt franzöſiſche Syſtem iſt nur wenig durch eine eigene Literatur vertreten. Es war der große, ſtaatsmänniſche Blick eines einzelnen Mannes, der dieß vermochte. Hier wie immer hat Frank- reichs Schickſal auf der Individualität ſeines Herrſchers geruht. Das dankbare Volk aber nannte das Syſtem, das aus der abſtracten Lehre der Merkantiliſten zu einem praktiſchen Syſtem der wirthſchaftlichen Verwaltung geworden, und dem es ſeine induſtrielle Stellung in der Welt bis zum heutigen Tage dankt, mit gutem Recht nicht etwa das Merkantilſyſtem, ſondern den Colbertismus. Der Colbertismus iſt keine Nationalökonomie; er iſt die auf den Principien des Merkantil- ſyſtems gebaute innere Volkswirthſchaftspflege der höheren Induſtrie. Der Colbertismus iſt der Beginn der Volkswirthſchafts- pflege überhaupt; er gehört ganz der Verwaltungslehre. England war unfähig, ihn zu ertragen, Deutſchland war unfähig, ihn zu er- zeugen, und der Mangel eines Begriffs der Verwaltung und ihrer Scheidung von der Nationalökonomie macht es auch jetzt noch ſchwer, ihn recht zu verſtehen. Aber es iſt kein Zweifel, daß in ihm der Keim aller wirthſchaftlichen Verwaltung liegt, die noch immer ihre ganze Bedeutung für Europa nicht entfaltet hat. Denn in ihm zuerſt tritt der Staat als Staat handelnd auf; und jetzt erſt iſt es möglich, daß er auch Fehler begehe, die dann die Grundlage der Erkenntniß des Wahren werden. Und ſchon das 18. Jahrhundert thut eben in dieſer Richtung einen mächtigen Schritt vorwärts.
Was nun endlich das Merkantilſyſtem in Deutſchland betrifft, ſo iſt die Geſtalt, welche daſſelbe hier annimmt, eben ſo bezeichnend für dieß große Volk und ſeinen ganzen ſtaatlichen Charakter, als für Frankreich und England. Auch in Deutſchland muß man Weſen und Wirkung jenes Syſtems nicht etwa auf ſeinen einfachen nationalökono- miſchen Grundgedanken, ſondern auf die Elemente des öffentlichen Rechts zurückführen. Als im 17. Jahrhundert der Reichthum als eine der großen Grundlagen der ſtaatlichen Macht den Herrſchern zum
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gründet Sèvres und die Gobelins, ſie ehrt den Fabrikanten, ſie fördert
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Beaux-Arts; ſie geht weiter und gründet die großen Handelsgeſell-
ſchaften mit ihren mächtigen Mitteln; ein allgemeines Wohlbehagen
breitet ſich über das Ganze aus; ſelbſt die Finanzen gelangen zu einem
nie geahnten Aufſchwung; und ſo iſt der wahre Kern des Merkantil-
ſyſtems in Frankreich nicht mehr dieſe oder jene nationalökonomiſche
Anſchauung, ſondern vielmehr der Gedanke, daß die Volkswirth-
ſchaft nur unter der Hand der leitenden Regierung ihre
höchſte Entwicklung erlangen könne.
Dieſes ächt franzöſiſche Syſtem iſt nur wenig durch eine eigene
Literatur vertreten. Es war der große, ſtaatsmänniſche Blick eines
einzelnen Mannes, der dieß vermochte. Hier wie immer hat Frank-
reichs Schickſal auf der Individualität ſeines Herrſchers geruht. Das
dankbare Volk aber nannte das Syſtem, das aus der abſtracten Lehre
der Merkantiliſten zu einem praktiſchen Syſtem der wirthſchaftlichen
Verwaltung geworden, und dem es ſeine induſtrielle Stellung in der
Welt bis zum heutigen Tage dankt, mit gutem Recht nicht etwa das
Merkantilſyſtem, ſondern den Colbertismus. Der Colbertismus iſt
keine Nationalökonomie; er iſt die auf den Principien des Merkantil-
ſyſtems gebaute innere Volkswirthſchaftspflege der höheren
Induſtrie. Der Colbertismus iſt der Beginn der Volkswirthſchafts-
pflege überhaupt; er gehört ganz der Verwaltungslehre. England
war unfähig, ihn zu ertragen, Deutſchland war unfähig, ihn zu er-
zeugen, und der Mangel eines Begriffs der Verwaltung und ihrer
Scheidung von der Nationalökonomie macht es auch jetzt noch ſchwer,
ihn recht zu verſtehen. Aber es iſt kein Zweifel, daß in ihm der Keim
aller wirthſchaftlichen Verwaltung liegt, die noch immer ihre ganze
Bedeutung für Europa nicht entfaltet hat. Denn in ihm zuerſt tritt
der Staat als Staat handelnd auf; und jetzt erſt iſt es möglich,
daß er auch Fehler begehe, die dann die Grundlage der Erkenntniß
des Wahren werden. Und ſchon das 18. Jahrhundert thut eben in
dieſer Richtung einen mächtigen Schritt vorwärts.
Was nun endlich das Merkantilſyſtem in Deutſchland betrifft,
ſo iſt die Geſtalt, welche daſſelbe hier annimmt, eben ſo bezeichnend
für dieß große Volk und ſeinen ganzen ſtaatlichen Charakter, als für
Frankreich und England. Auch in Deutſchland muß man Weſen und
Wirkung jenes Syſtems nicht etwa auf ſeinen einfachen nationalökono-
miſchen Grundgedanken, ſondern auf die Elemente des öffentlichen
Rechts zurückführen. Als im 17. Jahrhundert der Reichthum als
eine der großen Grundlagen der ſtaatlichen Macht den Herrſchern zum
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/44>, abgerufen am 16.02.2025.
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