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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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Bewußtsein kommt, besitzt Deutschland als Ganzes überhaupt keine
Verwaltung. Es besteht aus lauter einzelnen Souveränetäten. Der
deutsche Reichstag ist gänzlich machtlos; die einzelnen Souveräne aber
sind innerhalb ihrer Territorien dasselbe, was Ludwig XIV. in Frank-
reich war, oder wollten es doch sein. Wenn daher auch das deutsche
Volk als Ganzes sich einen volkswirthschaftlichen Colbertismus hätte ge-
fallen lassen, so gab es doch niemanden, der ihn hätte einführen können.
Die deutschen Reichstage bleiben daher bei einem schwachen Versuch stehen,
namentlich im 16. Jahrhundert, wenigstens negativ gewisse polizeiliche
Maßregeln für die Volkswirthschaft durchzuführen, Schutzzölle aufzustellen,
allerlei Luxus zu verbieten u. a. m.; allein das Ganze bleibt ohne
Bedeutung. Die Religionswirren und der dreißigjährige Krieg drücken
jeden Aufschwung zu Boden. Erst nach demselben bricht sich ein ge-
meinsames Bewußtsein Bahn. Und hier ist es nun keinen Augenblick
zu verkennen, daß auch auf dem Gebiete der Volkswirthschaft nicht der
englische, sondern der französische Gedanke zur Geltung gelangt. Auch
in Deutschland wollen die Regierungen die Völker durch ihr polizeiliches
Eingreifen reich machen; das ist der specifische Charakter dieser Epoche.
Nur hat natürlich Deutschland eben so wenig einen Colbert, wie es
einen Ludwig XIV. hat. Ihre Stelle vertritt vielmehr auch hier die
Wissenschaft, und das deutsche Merkantilsystem erscheint daher als die
erste Aufnahme volkswirthschaftlicher Grundsätze in die neue Polizei-
wissenschaft. Hier nun muß man wohl das 17. und 18. Jahrhundert
ziemlich bestimmt scheiden. Als die beiden Hauptvertreter dieser Zeiten
kann man Seckendorff und Justi ansehen. Seckendorff ist der Erste,
der auf einer für seine Zeit wahrhaft großartigen Basis die Volks-
wirthschaftspflege in die Staatswissenschaft aufgenommen
hat
. Allerdings geht Klock de Aerario (1651) ihm voraus, in vieler
Beziehung mit weiterem und freierem Blick, aber dennoch eigentlich
ohne systematische Auffassung. Klock hat die Grundsätze des Merkantil-
systems einseitig vertreten, aber im Grunde ist er kein Volkswirth,
sondern der erste Vertreter der Finanzwissenschaft in Deutschland,
und Vauban und Boisguillebert in Frankreich müssen ihm als seine
bedeutendsten Nachfolger zur Seite gestellt werden. Seckendorff dagegen
drückt der späteren Zeit den Stempel der specifisch deutschen Entwicklung
auf. In Deutschland war von jeher die Einheit seines Lebens nur in
der Wissenschaft, der Arbeit des Geistes, vorhanden, und Seckendorff
ist es, der die ganze volkswirthschaftliche Verwaltung in diesem Sinne
zu einem Theile der deutschen Wissenschaft vom Staate gemacht hat.
In seinem Teutschen Fürstenstaat (1655) erscheint dieselbe als "der
Ander Hauptpunkt der Regierung, welcher besteht in Aufrichtung guter

Bewußtſein kommt, beſitzt Deutſchland als Ganzes überhaupt keine
Verwaltung. Es beſteht aus lauter einzelnen Souveränetäten. Der
deutſche Reichstag iſt gänzlich machtlos; die einzelnen Souveräne aber
ſind innerhalb ihrer Territorien daſſelbe, was Ludwig XIV. in Frank-
reich war, oder wollten es doch ſein. Wenn daher auch das deutſche
Volk als Ganzes ſich einen volkswirthſchaftlichen Colbertismus hätte ge-
fallen laſſen, ſo gab es doch niemanden, der ihn hätte einführen können.
Die deutſchen Reichstage bleiben daher bei einem ſchwachen Verſuch ſtehen,
namentlich im 16. Jahrhundert, wenigſtens negativ gewiſſe polizeiliche
Maßregeln für die Volkswirthſchaft durchzuführen, Schutzzölle aufzuſtellen,
allerlei Luxus zu verbieten u. a. m.; allein das Ganze bleibt ohne
Bedeutung. Die Religionswirren und der dreißigjährige Krieg drücken
jeden Aufſchwung zu Boden. Erſt nach demſelben bricht ſich ein ge-
meinſames Bewußtſein Bahn. Und hier iſt es nun keinen Augenblick
zu verkennen, daß auch auf dem Gebiete der Volkswirthſchaft nicht der
engliſche, ſondern der franzöſiſche Gedanke zur Geltung gelangt. Auch
in Deutſchland wollen die Regierungen die Völker durch ihr polizeiliches
Eingreifen reich machen; das iſt der ſpecifiſche Charakter dieſer Epoche.
Nur hat natürlich Deutſchland eben ſo wenig einen Colbert, wie es
einen Ludwig XIV. hat. Ihre Stelle vertritt vielmehr auch hier die
Wiſſenſchaft, und das deutſche Merkantilſyſtem erſcheint daher als die
erſte Aufnahme volkswirthſchaftlicher Grundſätze in die neue Polizei-
wiſſenſchaft. Hier nun muß man wohl das 17. und 18. Jahrhundert
ziemlich beſtimmt ſcheiden. Als die beiden Hauptvertreter dieſer Zeiten
kann man Seckendorff und Juſti anſehen. Seckendorff iſt der Erſte,
der auf einer für ſeine Zeit wahrhaft großartigen Baſis die Volks-
wirthſchaftspflege in die Staatswiſſenſchaft aufgenommen
hat
. Allerdings geht Klock de Aerario (1651) ihm voraus, in vieler
Beziehung mit weiterem und freierem Blick, aber dennoch eigentlich
ohne ſyſtematiſche Auffaſſung. Klock hat die Grundſätze des Merkantil-
ſyſtems einſeitig vertreten, aber im Grunde iſt er kein Volkswirth,
ſondern der erſte Vertreter der Finanzwiſſenſchaft in Deutſchland,
und Vauban und Boisguillebert in Frankreich müſſen ihm als ſeine
bedeutendſten Nachfolger zur Seite geſtellt werden. Seckendorff dagegen
drückt der ſpäteren Zeit den Stempel der ſpecifiſch deutſchen Entwicklung
auf. In Deutſchland war von jeher die Einheit ſeines Lebens nur in
der Wiſſenſchaft, der Arbeit des Geiſtes, vorhanden, und Seckendorff
iſt es, der die ganze volkswirthſchaftliche Verwaltung in dieſem Sinne
zu einem Theile der deutſchen Wiſſenſchaft vom Staate gemacht hat.
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Ander Hauptpunkt der Regierung, welcher beſteht in Aufrichtung guter

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[27/0045] Bewußtſein kommt, beſitzt Deutſchland als Ganzes überhaupt keine Verwaltung. Es beſteht aus lauter einzelnen Souveränetäten. Der deutſche Reichstag iſt gänzlich machtlos; die einzelnen Souveräne aber ſind innerhalb ihrer Territorien daſſelbe, was Ludwig XIV. in Frank- reich war, oder wollten es doch ſein. Wenn daher auch das deutſche Volk als Ganzes ſich einen volkswirthſchaftlichen Colbertismus hätte ge- fallen laſſen, ſo gab es doch niemanden, der ihn hätte einführen können. Die deutſchen Reichstage bleiben daher bei einem ſchwachen Verſuch ſtehen, namentlich im 16. Jahrhundert, wenigſtens negativ gewiſſe polizeiliche Maßregeln für die Volkswirthſchaft durchzuführen, Schutzzölle aufzuſtellen, allerlei Luxus zu verbieten u. a. m.; allein das Ganze bleibt ohne Bedeutung. Die Religionswirren und der dreißigjährige Krieg drücken jeden Aufſchwung zu Boden. Erſt nach demſelben bricht ſich ein ge- meinſames Bewußtſein Bahn. Und hier iſt es nun keinen Augenblick zu verkennen, daß auch auf dem Gebiete der Volkswirthſchaft nicht der engliſche, ſondern der franzöſiſche Gedanke zur Geltung gelangt. Auch in Deutſchland wollen die Regierungen die Völker durch ihr polizeiliches Eingreifen reich machen; das iſt der ſpecifiſche Charakter dieſer Epoche. Nur hat natürlich Deutſchland eben ſo wenig einen Colbert, wie es einen Ludwig XIV. hat. Ihre Stelle vertritt vielmehr auch hier die Wiſſenſchaft, und das deutſche Merkantilſyſtem erſcheint daher als die erſte Aufnahme volkswirthſchaftlicher Grundſätze in die neue Polizei- wiſſenſchaft. Hier nun muß man wohl das 17. und 18. Jahrhundert ziemlich beſtimmt ſcheiden. Als die beiden Hauptvertreter dieſer Zeiten kann man Seckendorff und Juſti anſehen. Seckendorff iſt der Erſte, der auf einer für ſeine Zeit wahrhaft großartigen Baſis die Volks- wirthſchaftspflege in die Staatswiſſenſchaft aufgenommen hat. Allerdings geht Klock de Aerario (1651) ihm voraus, in vieler Beziehung mit weiterem und freierem Blick, aber dennoch eigentlich ohne ſyſtematiſche Auffaſſung. Klock hat die Grundſätze des Merkantil- ſyſtems einſeitig vertreten, aber im Grunde iſt er kein Volkswirth, ſondern der erſte Vertreter der Finanzwiſſenſchaft in Deutſchland, und Vauban und Boisguillebert in Frankreich müſſen ihm als ſeine bedeutendſten Nachfolger zur Seite geſtellt werden. Seckendorff dagegen drückt der ſpäteren Zeit den Stempel der ſpecifiſch deutſchen Entwicklung auf. In Deutſchland war von jeher die Einheit ſeines Lebens nur in der Wiſſenſchaft, der Arbeit des Geiſtes, vorhanden, und Seckendorff iſt es, der die ganze volkswirthſchaftliche Verwaltung in dieſem Sinne zu einem Theile der deutſchen Wiſſenſchaft vom Staate gemacht hat. In ſeinem Teutſchen Fürſtenſtaat (1655) erſcheint dieſelbe als „der Ander Hauptpunkt der Regierung, welcher beſteht in Aufrichtung guter

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/45>, abgerufen am 24.11.2024.