Gemeinde verwaltet sich selbst, und der Herr kann sich höchstens an die Spitze dieser Selbstverwaltung stellen, ohne sie beherrschen zu dürfen oder zu können. Daraus folgen die Elemente der innern Entwicklung Englands. Einerseits muß der gesammte Adel, will er noch einen Einfluß auf öffentliche Dinge haben, ihn dadurch gewinnen, daß er nicht wie auf dem Continent im Namen des eigenen Rechts, sondern im Namen des Königs die schwierigern Aufgaben der Ver- waltung freiwillig übernimmt, und seine Einnahmen aus den copy- holds und leaseholds für seine öffentliche Stellung verwendet. Das thut der Adel in England wirklich; und die ehrende Anerkennung dieser Bereitwilligkeit blieb weder von Seiten des Bauernstandes noch von Seiten der Krone aus. Der Bauernstand umfaßte die Gesammt- heit aller jener Großgrundbesitzer, wenn sie nicht durch sehr großen Besitz der nobility angehörten, sondern mit geringerem Maße von freeholds ein angemessenes Einkommen verbanden, als die gentry des Landes, die allenthalben ihre freie Arbeitskraft dem öffentlichen Wohle zuwendete, und die daher der freie Bauer auf dem kleinen Grunde, sei es nun daß derselbe ein freehold, ein copyhold oder ein leasehold war, als sein natürliches Haupt ansah. So bildeten sich hier zwei neue Klassen der Gesellschaft, deren Unterschied auf dem Besitz und nicht auf Vorrechten beruht, die gentry und die yeoman, tausendfach im gegenseitigen Interesse verbunden, und doch vor Recht und Gericht gleich, die selbständige Freiheit in der Verschiedenheit der Gesellschafts- ordnung. Ich wüßte gar keine Darstellung dieser Verhältnisse, die sich an Klarheit und Einfachheit mit der von Thaer in seiner englischen Landwirthschaft (Bd. II. 2. Th. S. 44 ff.) "Unterschied der Stände in England, in Bezug auf landwirthschaftliche Einrichtungen" messen könnte, selbst keine englische; was Thaer dort sagt, gibt ein vollkom- menes Bild der Sache; und eben so durchgreifend richtig ist seine Dar- stellung der "Pachtungen" (ebend. S. 60 ff.) mit der Unterscheidung der Pacht at will, at leases (fester Termin) und at life; Verhältnisse, die noch gegenwärtig vollkommen gültig sind. Hätte Thaer zugleich die Verhältnisse der Selbstverwaltung mit aufgenommen, so würde Deutsch- land schon damals eine Quelle für das Verständniß über Fragen und Zustände gehabt haben, die Vincke in seiner "Darstellung der neueren Verwaltung Großbritanniens" 1815 leider nicht berührte, und deren übrige mustergültige Darstellung bei Thaer nur für die Landwirthe und nicht für die Staatswissenschaft Deutschlands von Einfluß wurde. Denn Englands Ordnung beruhte in der That von da an auf der all- mähligen Entwicklung seiner Selbstverwaltung in der Gemeinde. Es ist klar, daß und warum England keine gesetzlich uniformirte Gemeinde-
Gemeinde verwaltet ſich ſelbſt, und der Herr kann ſich höchſtens an die Spitze dieſer Selbſtverwaltung ſtellen, ohne ſie beherrſchen zu dürfen oder zu können. Daraus folgen die Elemente der innern Entwicklung Englands. Einerſeits muß der geſammte Adel, will er noch einen Einfluß auf öffentliche Dinge haben, ihn dadurch gewinnen, daß er nicht wie auf dem Continent im Namen des eigenen Rechts, ſondern im Namen des Königs die ſchwierigern Aufgaben der Ver- waltung freiwillig übernimmt, und ſeine Einnahmen aus den copy- holds und leaseholds für ſeine öffentliche Stellung verwendet. Das thut der Adel in England wirklich; und die ehrende Anerkennung dieſer Bereitwilligkeit blieb weder von Seiten des Bauernſtandes noch von Seiten der Krone aus. Der Bauernſtand umfaßte die Geſammt- heit aller jener Großgrundbeſitzer, wenn ſie nicht durch ſehr großen Beſitz der nobility angehörten, ſondern mit geringerem Maße von freeholds ein angemeſſenes Einkommen verbanden, als die gentry des Landes, die allenthalben ihre freie Arbeitskraft dem öffentlichen Wohle zuwendete, und die daher der freie Bauer auf dem kleinen Grunde, ſei es nun daß derſelbe ein freehold, ein copyhold oder ein leasehold war, als ſein natürliches Haupt anſah. So bildeten ſich hier zwei neue Klaſſen der Geſellſchaft, deren Unterſchied auf dem Beſitz und nicht auf Vorrechten beruht, die gentry und die yeoman, tauſendfach im gegenſeitigen Intereſſe verbunden, und doch vor Recht und Gericht gleich, die ſelbſtändige Freiheit in der Verſchiedenheit der Geſellſchafts- ordnung. Ich wüßte gar keine Darſtellung dieſer Verhältniſſe, die ſich an Klarheit und Einfachheit mit der von Thaer in ſeiner engliſchen Landwirthſchaft (Bd. II. 2. Th. S. 44 ff.) „Unterſchied der Stände in England, in Bezug auf landwirthſchaftliche Einrichtungen“ meſſen könnte, ſelbſt keine engliſche; was Thaer dort ſagt, gibt ein vollkom- menes Bild der Sache; und eben ſo durchgreifend richtig iſt ſeine Dar- ſtellung der „Pachtungen“ (ebend. S. 60 ff.) mit der Unterſcheidung der Pacht at will, at leases (feſter Termin) und at life; Verhältniſſe, die noch gegenwärtig vollkommen gültig ſind. Hätte Thaer zugleich die Verhältniſſe der Selbſtverwaltung mit aufgenommen, ſo würde Deutſch- land ſchon damals eine Quelle für das Verſtändniß über Fragen und Zuſtände gehabt haben, die Vincke in ſeiner „Darſtellung der neueren Verwaltung Großbritanniens“ 1815 leider nicht berührte, und deren übrige muſtergültige Darſtellung bei Thaer nur für die Landwirthe und nicht für die Staatswiſſenſchaft Deutſchlands von Einfluß wurde. Denn Englands Ordnung beruhte in der That von da an auf der all- mähligen Entwicklung ſeiner Selbſtverwaltung in der Gemeinde. Es iſt klar, daß und warum England keine geſetzlich uniformirte Gemeinde-
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Gemeinde verwaltet ſich ſelbſt, und der Herr kann ſich höchſtens an
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oder zu können. Daraus folgen die Elemente der innern Entwicklung
Englands. Einerſeits muß der geſammte Adel, will er noch einen
Einfluß auf öffentliche Dinge haben, ihn dadurch gewinnen, daß
er nicht wie auf dem Continent im Namen des eigenen Rechts,
ſondern im Namen des Königs die ſchwierigern Aufgaben der Ver-
waltung freiwillig übernimmt, und ſeine Einnahmen aus den copy-
holds und leaseholds für ſeine öffentliche Stellung verwendet. Das
thut der Adel in England wirklich; und die ehrende Anerkennung
dieſer Bereitwilligkeit blieb weder von Seiten des Bauernſtandes noch
von Seiten der Krone aus. Der Bauernſtand umfaßte die Geſammt-
heit aller jener Großgrundbeſitzer, wenn ſie nicht durch ſehr großen
Beſitz der nobility angehörten, ſondern mit geringerem Maße von
freeholds ein angemeſſenes Einkommen verbanden, als die gentry des
Landes, die allenthalben ihre freie Arbeitskraft dem öffentlichen Wohle
zuwendete, und die daher der freie Bauer auf dem kleinen Grunde,
ſei es nun daß derſelbe ein freehold, ein copyhold oder ein leasehold
war, als ſein natürliches Haupt anſah. So bildeten ſich hier zwei
neue Klaſſen der Geſellſchaft, deren Unterſchied auf dem Beſitz und
nicht auf Vorrechten beruht, die gentry und die yeoman, tauſendfach im
gegenſeitigen Intereſſe verbunden, und doch vor Recht und Gericht
gleich, die ſelbſtändige Freiheit in der Verſchiedenheit der Geſellſchafts-
ordnung. Ich wüßte gar keine Darſtellung dieſer Verhältniſſe, die ſich
an Klarheit und Einfachheit mit der von Thaer in ſeiner engliſchen
Landwirthſchaft (Bd. II. 2. Th. S. 44 ff.) „Unterſchied der Stände in
England, in Bezug auf landwirthſchaftliche Einrichtungen“ meſſen
könnte, ſelbſt keine engliſche; was Thaer dort ſagt, gibt ein vollkom-
menes Bild der Sache; und eben ſo durchgreifend richtig iſt ſeine Dar-
ſtellung der „Pachtungen“ (ebend. S. 60 ff.) mit der Unterſcheidung der
Pacht at will, at leases (feſter Termin) und at life; Verhältniſſe, die
noch gegenwärtig vollkommen gültig ſind. Hätte Thaer zugleich die
Verhältniſſe der Selbſtverwaltung mit aufgenommen, ſo würde Deutſch-
land ſchon damals eine Quelle für das Verſtändniß über Fragen und
Zuſtände gehabt haben, die Vincke in ſeiner „Darſtellung der neueren
Verwaltung Großbritanniens“ 1815 leider nicht berührte, und deren
übrige muſtergültige Darſtellung bei Thaer nur für die Landwirthe und
nicht für die Staatswiſſenſchaft Deutſchlands von Einfluß wurde.
Denn Englands Ordnung beruhte in der That von da an auf der all-
mähligen Entwicklung ſeiner Selbſtverwaltung in der Gemeinde. Es
iſt klar, daß und warum England keine geſetzlich uniformirte Gemeinde-
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/151>, abgerufen am 09.11.2024.
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