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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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ganz verständlich ist. Die Kirche wird als eine vollkommen selbständige
Macht, und ihr Dienst als ein über dem Lehnsdienst stehender an-
gesehen -- "this divine service was of a higher and more exalted
nature than fealty."
(Littleton §. 131 -- 135. Blackstone I. 6. V.)
Demgemäß konnte jeder der Kirche ein Grundstück schenken, ohne daß
das Recht des Königs dadurch beeinträchtigt erschien, und mit dieser
Schenkung hörte die fealty gegen den König auf. Die Klöster und
Kirchen, aber auch die Weltgeistlichkeit (the parochial clergy) besaßen
meistens unter diesem Titel ihr Land; sie nun ihrerseits konnten wieder
dieses Land den Landwirthen überlassen; dadurch entstand eine eigne
Art der tenure, und das war die tenure in franc almoign -- "a tenure
of a nature very distinct from all others, beeing not in the last
feodal, but merely spiritual"
(Blackstone). Die Hintersassen der franc
almoign
waren nur verpflichtet zu der sogenannten trinoda necessitas,
Wege zu machen, die Burgen zu bauen und Einfälle abzuwehren.
Eben wegen dieser ganz exceptionellen Stellung des franc almoign
gegenüber dem feodal system, und wohl auch weil die Kirche den festen
Halt der Angelsachsen gegenüber den Normannen bildete, sahen die
normannischen Könige das franc almoign stets mit ungünstigen Augen
an, bis Eduard I. das Gesetz erließ, daß nur der König Land unter
dieser tenure verleihen könne (18. Edw. I. Blackstone I. 6. fine).
Was jedoch einmal unter derselben der Kirche gegeben war, blieb; und
wie wir gesehen, hob auch das Stat. 12. Ch. II. 24 die tenure in franc
almoign
nicht auf; sie blieb daher bestehen, und erhält sich auch in
dieser zweiten Epoche; nur ist das eine Ausnahme, während das Fol-
gende allgemein ist.

Dieß nun sind die Zehnten, die tithes, die vielleicht nirgends in
ihrer Reinheit so sehr erscheinen, als eben in England. Hier sind sie
nämlich weder eine königliche, noch eine lehnsherrliche Abgabe, sondern
nur eine rein ständische an die Kirche. Da sie auf das Recht auf den
Grund und Boden, die tenure, keinen unmittelbaren Einfluß hat, so wird
sie von den Juristen nicht beachtet. Wohl aber ist es der Mühe werth, ihren
Charakter hier zu bezeichnen. Wir glauben jede Untersuchung über Ur-
sprung und Wesen derselben hier bei Seite lassen zu sollen. Gewiß ist aber,
daß sie in dieser Epoche in soweit fortbestehn, als jede einzelne Kirche ein
wohlerworbenes Recht darauf nachweisen kann, und daß sie somit als die
ständische Form der Grundlast neben der Geschlechtergrundlast, die
sich in copyholds noch erhält (s. unten), durch die ganze neue Um-
gestaltung des Geschlechterrechts gar nicht berührt wird, während auf
dem Continent die, diese ganze Entwicklung charakterisirende Ver-
schmelzung
der Geschlechter- und ständischen Herrschaft sich auch auf

ganz verſtändlich iſt. Die Kirche wird als eine vollkommen ſelbſtändige
Macht, und ihr Dienſt als ein über dem Lehnsdienſt ſtehender an-
geſehen — „this divine service was of a higher and more exalted
nature than fealty.“
(Littleton §. 131 — 135. Blackſtone I. 6. V.)
Demgemäß konnte jeder der Kirche ein Grundſtück ſchenken, ohne daß
das Recht des Königs dadurch beeinträchtigt erſchien, und mit dieſer
Schenkung hörte die fealty gegen den König auf. Die Klöſter und
Kirchen, aber auch die Weltgeiſtlichkeit (the parochial clergy) beſaßen
meiſtens unter dieſem Titel ihr Land; ſie nun ihrerſeits konnten wieder
dieſes Land den Landwirthen überlaſſen; dadurch entſtand eine eigne
Art der tenure, und das war die tenure in franc almoign — „a tenure
of a nature very distinct from all others, beeing not in the last
feodal, but merely spiritual“
(Blackſtone). Die Hinterſaſſen der franc
almoign
waren nur verpflichtet zu der ſogenannten trinoda necessitas,
Wege zu machen, die Burgen zu bauen und Einfälle abzuwehren.
Eben wegen dieſer ganz exceptionellen Stellung des franc almoign
gegenüber dem feodal system, und wohl auch weil die Kirche den feſten
Halt der Angelſachſen gegenüber den Normannen bildete, ſahen die
normanniſchen Könige das franc almoign ſtets mit ungünſtigen Augen
an, bis Eduard I. das Geſetz erließ, daß nur der König Land unter
dieſer tenure verleihen könne (18. Edw. I. Blackſtone I. 6. fine).
Was jedoch einmal unter derſelben der Kirche gegeben war, blieb; und
wie wir geſehen, hob auch das Stat. 12. Ch. II. 24 die tenure in franc
almoign
nicht auf; ſie blieb daher beſtehen, und erhält ſich auch in
dieſer zweiten Epoche; nur iſt das eine Ausnahme, während das Fol-
gende allgemein iſt.

Dieß nun ſind die Zehnten, die tithes, die vielleicht nirgends in
ihrer Reinheit ſo ſehr erſcheinen, als eben in England. Hier ſind ſie
nämlich weder eine königliche, noch eine lehnsherrliche Abgabe, ſondern
nur eine rein ſtändiſche an die Kirche. Da ſie auf das Recht auf den
Grund und Boden, die tenure, keinen unmittelbaren Einfluß hat, ſo wird
ſie von den Juriſten nicht beachtet. Wohl aber iſt es der Mühe werth, ihren
Charakter hier zu bezeichnen. Wir glauben jede Unterſuchung über Ur-
ſprung und Weſen derſelben hier bei Seite laſſen zu ſollen. Gewiß iſt aber,
daß ſie in dieſer Epoche in ſoweit fortbeſtehn, als jede einzelne Kirche ein
wohlerworbenes Recht darauf nachweiſen kann, und daß ſie ſomit als die
ſtändiſche Form der Grundlaſt neben der Geſchlechtergrundlaſt, die
ſich in copyholds noch erhält (ſ. unten), durch die ganze neue Um-
geſtaltung des Geſchlechterrechts gar nicht berührt wird, während auf
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[131/0149] ganz verſtändlich iſt. Die Kirche wird als eine vollkommen ſelbſtändige Macht, und ihr Dienſt als ein über dem Lehnsdienſt ſtehender an- geſehen — „this divine service was of a higher and more exalted nature than fealty.“ (Littleton §. 131 — 135. Blackſtone I. 6. V.) Demgemäß konnte jeder der Kirche ein Grundſtück ſchenken, ohne daß das Recht des Königs dadurch beeinträchtigt erſchien, und mit dieſer Schenkung hörte die fealty gegen den König auf. Die Klöſter und Kirchen, aber auch die Weltgeiſtlichkeit (the parochial clergy) beſaßen meiſtens unter dieſem Titel ihr Land; ſie nun ihrerſeits konnten wieder dieſes Land den Landwirthen überlaſſen; dadurch entſtand eine eigne Art der tenure, und das war die tenure in franc almoign — „a tenure of a nature very distinct from all others, beeing not in the last feodal, but merely spiritual“ (Blackſtone). Die Hinterſaſſen der franc almoign waren nur verpflichtet zu der ſogenannten trinoda necessitas, Wege zu machen, die Burgen zu bauen und Einfälle abzuwehren. Eben wegen dieſer ganz exceptionellen Stellung des franc almoign gegenüber dem feodal system, und wohl auch weil die Kirche den feſten Halt der Angelſachſen gegenüber den Normannen bildete, ſahen die normanniſchen Könige das franc almoign ſtets mit ungünſtigen Augen an, bis Eduard I. das Geſetz erließ, daß nur der König Land unter dieſer tenure verleihen könne (18. Edw. I. Blackſtone I. 6. fine). Was jedoch einmal unter derſelben der Kirche gegeben war, blieb; und wie wir geſehen, hob auch das Stat. 12. Ch. II. 24 die tenure in franc almoign nicht auf; ſie blieb daher beſtehen, und erhält ſich auch in dieſer zweiten Epoche; nur iſt das eine Ausnahme, während das Fol- gende allgemein iſt. Dieß nun ſind die Zehnten, die tithes, die vielleicht nirgends in ihrer Reinheit ſo ſehr erſcheinen, als eben in England. Hier ſind ſie nämlich weder eine königliche, noch eine lehnsherrliche Abgabe, ſondern nur eine rein ſtändiſche an die Kirche. Da ſie auf das Recht auf den Grund und Boden, die tenure, keinen unmittelbaren Einfluß hat, ſo wird ſie von den Juriſten nicht beachtet. Wohl aber iſt es der Mühe werth, ihren Charakter hier zu bezeichnen. Wir glauben jede Unterſuchung über Ur- ſprung und Weſen derſelben hier bei Seite laſſen zu ſollen. Gewiß iſt aber, daß ſie in dieſer Epoche in ſoweit fortbeſtehn, als jede einzelne Kirche ein wohlerworbenes Recht darauf nachweiſen kann, und daß ſie ſomit als die ſtändiſche Form der Grundlaſt neben der Geſchlechtergrundlaſt, die ſich in copyholds noch erhält (ſ. unten), durch die ganze neue Um- geſtaltung des Geſchlechterrechts gar nicht berührt wird, während auf dem Continent die, dieſe ganze Entwicklung charakteriſirende Ver- ſchmelzung der Geſchlechter- und ſtändiſchen Herrſchaft ſich auch auf

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/149>, abgerufen am 27.04.2024.