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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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juristischer, der nicht mindere Beachtung verdient, um so mehr, als
man ihn von dieser Seite nur zu oft übersieht. Das war das Auf-
treten des königlichen Rechts.

Es ist schon oben bemerkt, daß die Ueberlassung des Grundes auch
an den villein das Recht des Königs betraf, da der Letztere Eigenthümer
des Ganzen war, und daß daher eine Patrimonialjurisdiktion im con-
tinentalen Sinne als Privateigenthum an der Gerichtsbarkeit und Po-
lizei gar nicht entstehen konnte. Allein die weitere Folge war, daß
jene Ueberlassung alsbald die Person der villeins selbst frei machte, ob-
gleich keine persönliche Freilassung vorhergegangen war, "for this was
dealing with the villein at the footing of a freeman"
wie Black-
stone sagt II. 6. it was in some of the customes giving him an ac-
tion against his lord, and in others, vesting an ownership in him
entrely inconsistent with his former state of bondage." "A villein"

sagt Eden I. S. 14, thus circumstanced, was no longer a villein."
So entsteht denn der juristische Grundsatz, daß die Ueberlassung an
irgend einen Pächter überhaupt nicht unter vierzig Jahren zugelassen
werden solle, was freilich nicht zur allgemeinen Geltung kommt (Black-
stone I. 9 nach dem Mirror of Justice II. 27). Ebenfalls hatte jene copy-
hold
die persönliche Befreiung und das große Princip der Gleichstellung
des villein und baron vor dem königlichen Richter zu Folge, und das
Gericht befestigte somit formell, was die custom thatsächlich eingeführt.
Die Bahn für die Befreiung aus der Geschlechterunfreiheit war ge-
brochen.

Dieß war der ziemlich einfache und allgemeine Entwicklungsgang, der
in England aus dem ursprünglich hörigen einen freien Mann gemacht,
und ihm vermöge jener copy of the court roll eine vollkommen selb-
ständige, rechtlich unantastbare Stellung gegeben hat. Es ist nun selbst-
verständlich, daß da, wo der Lord of the Manor aus Versehen oder
auch aus Böswilligkeit keine Court roll aufgezeichnet hatte, der villain
die Möglichkeit hatte, dieß Recht seines Besitzes und seiner Person durch
ein Verdict der Geschworenen anerkennen zu lassen, da dieser Fall nie-
mals in dem unfreien Hofgericht zur Entscheidung gebracht worden,
weil er vermöge des Princips des feodal system als ein Recht des
Grundes und Bodens ein königliches Recht betraf. Nur darf man nicht,
wie selbst Sugenheim geneigt ist zu thun, glauben, daß einerseits mit
diesem copyhold die ganze Frage der freien Agrarverfassung im
Wesentlichen erledigt worden sei, und eben so wenig darf man wie
Maurer, Zöpfl und Gneist, den zweiten großen, neben dem obigen
Proceß herlaufenden Befreiungsakt der persönlich unfreien Nichtbesitzer,
der villains en gros (s. oben) darüber vergessen.


juriſtiſcher, der nicht mindere Beachtung verdient, um ſo mehr, als
man ihn von dieſer Seite nur zu oft überſieht. Das war das Auf-
treten des königlichen Rechts.

Es iſt ſchon oben bemerkt, daß die Ueberlaſſung des Grundes auch
an den villein das Recht des Königs betraf, da der Letztere Eigenthümer
des Ganzen war, und daß daher eine Patrimonialjurisdiktion im con-
tinentalen Sinne als Privateigenthum an der Gerichtsbarkeit und Po-
lizei gar nicht entſtehen konnte. Allein die weitere Folge war, daß
jene Ueberlaſſung alsbald die Perſon der villeins ſelbſt frei machte, ob-
gleich keine perſönliche Freilaſſung vorhergegangen war, „for this was
dealing with the villein at the footing of a freeman“
wie Black-
ſtone ſagt II. 6. it was in some of the customes giving him an ac-
tion against his lord, and in others, vesting an ownership in him
entrely inconsistent with his former state of bondage.“ „A villein“

ſagt Eden I. S. 14, thus circumstanced, was no longer a villein.“
So entſteht denn der juriſtiſche Grundſatz, daß die Ueberlaſſung an
irgend einen Pächter überhaupt nicht unter vierzig Jahren zugelaſſen
werden ſolle, was freilich nicht zur allgemeinen Geltung kommt (Black-
ſtone I. 9 nach dem Mirror of Justice II. 27). Ebenfalls hatte jene copy-
hold
die perſönliche Befreiung und das große Princip der Gleichſtellung
des villein und baron vor dem königlichen Richter zu Folge, und das
Gericht befeſtigte ſomit formell, was die custom thatſächlich eingeführt.
Die Bahn für die Befreiung aus der Geſchlechterunfreiheit war ge-
brochen.

Dieß war der ziemlich einfache und allgemeine Entwicklungsgang, der
in England aus dem urſprünglich hörigen einen freien Mann gemacht,
und ihm vermöge jener copy of the court roll eine vollkommen ſelb-
ſtändige, rechtlich unantaſtbare Stellung gegeben hat. Es iſt nun ſelbſt-
verſtändlich, daß da, wo der Lord of the Manor aus Verſehen oder
auch aus Böswilligkeit keine Court roll aufgezeichnet hatte, der villain
die Möglichkeit hatte, dieß Recht ſeines Beſitzes und ſeiner Perſon durch
ein Verdict der Geſchworenen anerkennen zu laſſen, da dieſer Fall nie-
mals in dem unfreien Hofgericht zur Entſcheidung gebracht worden,
weil er vermöge des Princips des feodal system als ein Recht des
Grundes und Bodens ein königliches Recht betraf. Nur darf man nicht,
wie ſelbſt Sugenheim geneigt iſt zu thun, glauben, daß einerſeits mit
dieſem copyhold die ganze Frage der freien Agrarverfaſſung im
Weſentlichen erledigt worden ſei, und eben ſo wenig darf man wie
Maurer, Zöpfl und Gneiſt, den zweiten großen, neben dem obigen
Proceß herlaufenden Befreiungsakt der perſönlich unfreien Nichtbeſitzer,
der villains en gros (ſ. oben) darüber vergeſſen.


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[120/0138] juriſtiſcher, der nicht mindere Beachtung verdient, um ſo mehr, als man ihn von dieſer Seite nur zu oft überſieht. Das war das Auf- treten des königlichen Rechts. Es iſt ſchon oben bemerkt, daß die Ueberlaſſung des Grundes auch an den villein das Recht des Königs betraf, da der Letztere Eigenthümer des Ganzen war, und daß daher eine Patrimonialjurisdiktion im con- tinentalen Sinne als Privateigenthum an der Gerichtsbarkeit und Po- lizei gar nicht entſtehen konnte. Allein die weitere Folge war, daß jene Ueberlaſſung alsbald die Perſon der villeins ſelbſt frei machte, ob- gleich keine perſönliche Freilaſſung vorhergegangen war, „for this was dealing with the villein at the footing of a freeman“ wie Black- ſtone ſagt II. 6. it was in some of the customes giving him an ac- tion against his lord, and in others, vesting an ownership in him entrely inconsistent with his former state of bondage.“ „A villein“ ſagt Eden I. S. 14, thus circumstanced, was no longer a villein.“ So entſteht denn der juriſtiſche Grundſatz, daß die Ueberlaſſung an irgend einen Pächter überhaupt nicht unter vierzig Jahren zugelaſſen werden ſolle, was freilich nicht zur allgemeinen Geltung kommt (Black- ſtone I. 9 nach dem Mirror of Justice II. 27). Ebenfalls hatte jene copy- hold die perſönliche Befreiung und das große Princip der Gleichſtellung des villein und baron vor dem königlichen Richter zu Folge, und das Gericht befeſtigte ſomit formell, was die custom thatſächlich eingeführt. Die Bahn für die Befreiung aus der Geſchlechterunfreiheit war ge- brochen. Dieß war der ziemlich einfache und allgemeine Entwicklungsgang, der in England aus dem urſprünglich hörigen einen freien Mann gemacht, und ihm vermöge jener copy of the court roll eine vollkommen ſelb- ſtändige, rechtlich unantaſtbare Stellung gegeben hat. Es iſt nun ſelbſt- verſtändlich, daß da, wo der Lord of the Manor aus Verſehen oder auch aus Böswilligkeit keine Court roll aufgezeichnet hatte, der villain die Möglichkeit hatte, dieß Recht ſeines Beſitzes und ſeiner Perſon durch ein Verdict der Geſchworenen anerkennen zu laſſen, da dieſer Fall nie- mals in dem unfreien Hofgericht zur Entſcheidung gebracht worden, weil er vermöge des Princips des feodal system als ein Recht des Grundes und Bodens ein königliches Recht betraf. Nur darf man nicht, wie ſelbſt Sugenheim geneigt iſt zu thun, glauben, daß einerſeits mit dieſem copyhold die ganze Frage der freien Agrarverfaſſung im Weſentlichen erledigt worden ſei, und eben ſo wenig darf man wie Maurer, Zöpfl und Gneiſt, den zweiten großen, neben dem obigen Proceß herlaufenden Befreiungsakt der perſönlich unfreien Nichtbeſitzer, der villains en gros (ſ. oben) darüber vergeſſen.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/138>, abgerufen am 28.04.2024.