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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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theils aber auch diejenigen Leistungen, welche der villein "von Alters
her" für seinen Besitz wirklich leistete. Nun nannte man darnach den
Besitz der ersten Klasse, deren Ueberlassungsvertrag, die servitia definirt,
das villenagium privilegiatum (s. oben), denn am Ende war es aller-
dings richtig, daß es ein privilegium war, wenn der Grundbesitz des
Herrn, an sich zu ungemessener Frohnde verpflichtet, vertragsmäßig nur
gemessene leistete; den Besitz der zweiten dagegen nannte man das vil-
lenagium purum.
Allein die lange Uebung, der custom, ließ allmählig
den Gedanken verschwinden, daß der Lord das Recht habe, die Be-
gränzung der Frohnden auf dem villenagium purum jeden Augenblick
aufzuheben und neue Frohnden einzuführen, oder gar das, den villein
jeden Augenblick davon zu jagen, oder wenigstens nach seinem Tode
eine andere Familie einzusetzen. Denn das englische Recht hielt schon
damals an dem Grundsatz fest, "custom is the life of common law"
und dieß common law ward von den alten Angelsachsen, deren soche-
manni
in den Höfen des Königs als Geschworenen auch wohl im Interesse
ihres Stammes nachdrücklich gehandhabt. War also einmal der villein
unter custom, so galt diese custom, die gewohnheitsrechtliche Bemessung
der Frohnden und der gewohnheitsrechtlich erbliche Besitz, wenn sie im
court roll standen, als common law. Wer daher seine Rechtstitel
und seine Leistungen für den Fall eines gerichtlichen Verfahrens sichern
wollte, der ließ sich einen Grundbuchsauszug, eine copy of the court
roll"
geben, und besaß nun sein Grundstück auf den Rechtstitel dieser
copy -- er war ein copyholder. Das ist die Entstehung und Natur
des copyholds in der Geschlechterordnung Englands. Ihre Bedeutung
ist eine doppelte. Erstlich stellte der copyhold den villein mit dem
persönlich freien Besitzer einer privileged villenage -- die man wegen
der Freiheit des Besitzers, der der Regel nach ein sochemann sein
mochte, auch villein-socage nannte -- gleich, und hob damit die persön-
liche Leibeigenschaft auf; zweitens stellte derselbe den Grundbesitzer und
sein Recht unter den königlichen Richter, und machte damit die Will-
kür des Herrn zu nichte. So wie das einmal der Fall war, mußte
der Begriff des villenagium überhaupt verschwinden, da sein Charakter,
die grundsätzliche Ungemessenheit der Frohnde und die Entlastbarkeit
der Insassen, mit dem copyhold vernichtet waren. Der copyhold ward
daher ein allgemeines Recht des Grundbesitzes und stellte sich allmählig
neben das liberum tenementum der alten sochemanni; es ist der erste
große Schritt der Entlastung
im englischen Recht, der Ausdruck
der ersten Erhebung aus der Unfreiheit der Geschlechterordnung zum
freien Grundbesitz.

Diesem zunächst wirthschaftlichen Proceß tritt nun zur Seite ein

theils aber auch diejenigen Leiſtungen, welche der villein „von Alters
her“ für ſeinen Beſitz wirklich leiſtete. Nun nannte man darnach den
Beſitz der erſten Klaſſe, deren Ueberlaſſungsvertrag, die servitia definirt,
das villenagium privilegiatum (ſ. oben), denn am Ende war es aller-
dings richtig, daß es ein privilegium war, wenn der Grundbeſitz des
Herrn, an ſich zu ungemeſſener Frohnde verpflichtet, vertragsmäßig nur
gemeſſene leiſtete; den Beſitz der zweiten dagegen nannte man das vil-
lenagium purum.
Allein die lange Uebung, der custom, ließ allmählig
den Gedanken verſchwinden, daß der Lord das Recht habe, die Be-
gränzung der Frohnden auf dem villenagium purum jeden Augenblick
aufzuheben und neue Frohnden einzuführen, oder gar das, den villein
jeden Augenblick davon zu jagen, oder wenigſtens nach ſeinem Tode
eine andere Familie einzuſetzen. Denn das engliſche Recht hielt ſchon
damals an dem Grundſatz feſt, „custom is the life of common law“
und dieß common law ward von den alten Angelſachſen, deren soche-
manni
in den Höfen des Königs als Geſchworenen auch wohl im Intereſſe
ihres Stammes nachdrücklich gehandhabt. War alſo einmal der villein
unter custom, ſo galt dieſe custom, die gewohnheitsrechtliche Bemeſſung
der Frohnden und der gewohnheitsrechtlich erbliche Beſitz, wenn ſie im
court roll ſtanden, als common law. Wer daher ſeine Rechtstitel
und ſeine Leiſtungen für den Fall eines gerichtlichen Verfahrens ſichern
wollte, der ließ ſich einen Grundbuchsauszug, eine copy of the court
roll“
geben, und beſaß nun ſein Grundſtück auf den Rechtstitel dieſer
copy — er war ein copyholder. Das iſt die Entſtehung und Natur
des copyholds in der Geſchlechterordnung Englands. Ihre Bedeutung
iſt eine doppelte. Erſtlich ſtellte der copyhold den villein mit dem
perſönlich freien Beſitzer einer privileged villenage — die man wegen
der Freiheit des Beſitzers, der der Regel nach ein sochemann ſein
mochte, auch villein-socage nannte — gleich, und hob damit die perſön-
liche Leibeigenſchaft auf; zweitens ſtellte derſelbe den Grundbeſitzer und
ſein Recht unter den königlichen Richter, und machte damit die Will-
kür des Herrn zu nichte. So wie das einmal der Fall war, mußte
der Begriff des villenagium überhaupt verſchwinden, da ſein Charakter,
die grundſätzliche Ungemeſſenheit der Frohnde und die Entlaſtbarkeit
der Inſaſſen, mit dem copyhold vernichtet waren. Der copyhold ward
daher ein allgemeines Recht des Grundbeſitzes und ſtellte ſich allmählig
neben das liberum tenementum der alten sochemanni; es iſt der erſte
große Schritt der Entlaſtung
im engliſchen Recht, der Ausdruck
der erſten Erhebung aus der Unfreiheit der Geſchlechterordnung zum
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[119/0137] theils aber auch diejenigen Leiſtungen, welche der villein „von Alters her“ für ſeinen Beſitz wirklich leiſtete. Nun nannte man darnach den Beſitz der erſten Klaſſe, deren Ueberlaſſungsvertrag, die servitia definirt, das villenagium privilegiatum (ſ. oben), denn am Ende war es aller- dings richtig, daß es ein privilegium war, wenn der Grundbeſitz des Herrn, an ſich zu ungemeſſener Frohnde verpflichtet, vertragsmäßig nur gemeſſene leiſtete; den Beſitz der zweiten dagegen nannte man das vil- lenagium purum. Allein die lange Uebung, der custom, ließ allmählig den Gedanken verſchwinden, daß der Lord das Recht habe, die Be- gränzung der Frohnden auf dem villenagium purum jeden Augenblick aufzuheben und neue Frohnden einzuführen, oder gar das, den villein jeden Augenblick davon zu jagen, oder wenigſtens nach ſeinem Tode eine andere Familie einzuſetzen. Denn das engliſche Recht hielt ſchon damals an dem Grundſatz feſt, „custom is the life of common law“ und dieß common law ward von den alten Angelſachſen, deren soche- manni in den Höfen des Königs als Geſchworenen auch wohl im Intereſſe ihres Stammes nachdrücklich gehandhabt. War alſo einmal der villein unter custom, ſo galt dieſe custom, die gewohnheitsrechtliche Bemeſſung der Frohnden und der gewohnheitsrechtlich erbliche Beſitz, wenn ſie im court roll ſtanden, als common law. Wer daher ſeine Rechtstitel und ſeine Leiſtungen für den Fall eines gerichtlichen Verfahrens ſichern wollte, der ließ ſich einen Grundbuchsauszug, eine copy of the court roll“ geben, und beſaß nun ſein Grundſtück auf den Rechtstitel dieſer copy — er war ein copyholder. Das iſt die Entſtehung und Natur des copyholds in der Geſchlechterordnung Englands. Ihre Bedeutung iſt eine doppelte. Erſtlich ſtellte der copyhold den villein mit dem perſönlich freien Beſitzer einer privileged villenage — die man wegen der Freiheit des Beſitzers, der der Regel nach ein sochemann ſein mochte, auch villein-socage nannte — gleich, und hob damit die perſön- liche Leibeigenſchaft auf; zweitens ſtellte derſelbe den Grundbeſitzer und ſein Recht unter den königlichen Richter, und machte damit die Will- kür des Herrn zu nichte. So wie das einmal der Fall war, mußte der Begriff des villenagium überhaupt verſchwinden, da ſein Charakter, die grundſätzliche Ungemeſſenheit der Frohnde und die Entlaſtbarkeit der Inſaſſen, mit dem copyhold vernichtet waren. Der copyhold ward daher ein allgemeines Recht des Grundbeſitzes und ſtellte ſich allmählig neben das liberum tenementum der alten sochemanni; es iſt der erſte große Schritt der Entlaſtung im engliſchen Recht, der Ausdruck der erſten Erhebung aus der Unfreiheit der Geſchlechterordnung zum freien Grundbeſitz. Dieſem zunächſt wirthſchaftlichen Proceß tritt nun zur Seite ein

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/137>, abgerufen am 27.04.2024.