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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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über sie fand ihre Gränze darin, daß der Werth ihres, dem Lord gehöri-
gen Grundbesitzes von ihrem Daraufbleiben abhängig war. Sie bildeten
daher bald auch in der rechtlichen Auffassung eine Klasse für sich, die an-
fänglich wieder in Unterklassen getheilt auftritt (villani, bordarii, cottarii),
dann aber als ein gesellschaftliches Ganzes aufgefaßt werden und im
(Gesellschafts-) Recht der manor erscheinen unter dem Gesammtnamen
der "villeins regardant." Neben ihnen bestehen dann die ganz be-
sitzlosen Leibeigenen, die im Doomesdaybook als servi auftreten,
nachher aber bald als "villeins en gros," bei denen das Individuum
noch ganz ohne alles Recht ist, bezeichnet werden. Das ist die Gestalt
der Gesellschaftsordnung.

Den Grundformen derselben entsprechen nun auch die Ordnungen
in Beziehung auf die beiden großen öffentlichen Funktionen jener
Epoche, das Heerwesen und das Gericht. Das Heerwesen beruht
einerseits auf der Dienstpflicht des Lords gegen den König, der die
Dienstpflicht des tenens gegen den Lord entspricht; natürlich konnte
unmittelbar nach der Eroberung der sochemann kein Waffenrecht
haben; er war ja die unterworfene Klasse. Allein schon 1181 nimmt
das Königthum auch die letztere in die Assize of Arms auf, und
damit stellt sich der sochemann auf seiner socage rechtlich und ge-
sellschaftlich wenn er sehr reich ist, neben den Lord, und immer neben
den homo des Lord. Mit der Assize of Arms beginnt zwischen der
höchsten und zweithöchsten Klasse der englischen Geschlechter jener eigen-
thümliche Proceß, auf welchem die heutige englische Gesellschaftsord-
nung ihrer einen Seite nach beruht, daß nicht das Recht, sondern
der Umfang des Besitzes die gesellschaftliche Stellung des Ein-
zelnen bedingt. Doch dieß gehört nicht der eigentlichen Entlastungs-
geschichte an. Das Gerichtswesen spaltet sich dagegen wie allenthalben
zuerst in zwei große Theile, zu denen dann ein drittes, zuletzt ent-
scheidendes Moment hinzukommt. Der Lord hält Gericht als Vorsitzer
der freien Männer seiner Grundherrhaft, und empfängt damit die con-
tinentalen Titel des Dux, Comes, Vicecomes, Marchio u. s. w. Dann
aber hält er Gericht über alle diejenigen Fälle, in denen es sich um
das Eigenthum, und namentlich um den Grundbesitz handelt. Dieß
Gericht, dessen Objekt natürlich namentlich die Leistungen der auf dem
Grunde der Lords sitzenden Hintersassen, der persönlich Freien, so wie
der Unfreien war (die costums), hieß daher die customary court; da-
mit eng verwandt ist die court of ancient demesne (Blackstone II. 6).
Doch müssen wir das Genauere hier übergehen, obgleich Gneist die
letztere ganz wegläßt. Da nun aber der König zuletzt der Eigenthümer
aller Besitzungen ist, und in jedem Court über seine Rechte in letzter

über ſie fand ihre Gränze darin, daß der Werth ihres, dem Lord gehöri-
gen Grundbeſitzes von ihrem Daraufbleiben abhängig war. Sie bildeten
daher bald auch in der rechtlichen Auffaſſung eine Klaſſe für ſich, die an-
fänglich wieder in Unterklaſſen getheilt auftritt (villani, bordarii, cottarii),
dann aber als ein geſellſchaftliches Ganzes aufgefaßt werden und im
(Geſellſchafts-) Recht der manor erſcheinen unter dem Geſammtnamen
der „villeins regardant.“ Neben ihnen beſtehen dann die ganz be-
ſitzloſen Leibeigenen, die im Doomesdaybook als servi auftreten,
nachher aber bald als „villeins en gros,“ bei denen das Individuum
noch ganz ohne alles Recht iſt, bezeichnet werden. Das iſt die Geſtalt
der Geſellſchaftsordnung.

Den Grundformen derſelben entſprechen nun auch die Ordnungen
in Beziehung auf die beiden großen öffentlichen Funktionen jener
Epoche, das Heerweſen und das Gericht. Das Heerweſen beruht
einerſeits auf der Dienſtpflicht des Lords gegen den König, der die
Dienſtpflicht des tenens gegen den Lord entſpricht; natürlich konnte
unmittelbar nach der Eroberung der sochemann kein Waffenrecht
haben; er war ja die unterworfene Klaſſe. Allein ſchon 1181 nimmt
das Königthum auch die letztere in die Assize of Arms auf, und
damit ſtellt ſich der sochemann auf ſeiner socage rechtlich und ge-
ſellſchaftlich wenn er ſehr reich iſt, neben den Lord, und immer neben
den homo des Lord. Mit der Assize of Arms beginnt zwiſchen der
höchſten und zweithöchſten Klaſſe der engliſchen Geſchlechter jener eigen-
thümliche Proceß, auf welchem die heutige engliſche Geſellſchaftsord-
nung ihrer einen Seite nach beruht, daß nicht das Recht, ſondern
der Umfang des Beſitzes die geſellſchaftliche Stellung des Ein-
zelnen bedingt. Doch dieß gehört nicht der eigentlichen Entlaſtungs-
geſchichte an. Das Gerichtsweſen ſpaltet ſich dagegen wie allenthalben
zuerſt in zwei große Theile, zu denen dann ein drittes, zuletzt ent-
ſcheidendes Moment hinzukommt. Der Lord hält Gericht als Vorſitzer
der freien Männer ſeiner Grundherrhaft, und empfängt damit die con-
tinentalen Titel des Dux, Comes, Vicecomes, Marchio u. ſ. w. Dann
aber hält er Gericht über alle diejenigen Fälle, in denen es ſich um
das Eigenthum, und namentlich um den Grundbeſitz handelt. Dieß
Gericht, deſſen Objekt natürlich namentlich die Leiſtungen der auf dem
Grunde der Lords ſitzenden Hinterſaſſen, der perſönlich Freien, ſo wie
der Unfreien war (die costums), hieß daher die customary court; da-
mit eng verwandt iſt die court of ancient demesne (Blackſtone II. 6).
Doch müſſen wir das Genauere hier übergehen, obgleich Gneiſt die
letztere ganz wegläßt. Da nun aber der König zuletzt der Eigenthümer
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[116/0134] über ſie fand ihre Gränze darin, daß der Werth ihres, dem Lord gehöri- gen Grundbeſitzes von ihrem Daraufbleiben abhängig war. Sie bildeten daher bald auch in der rechtlichen Auffaſſung eine Klaſſe für ſich, die an- fänglich wieder in Unterklaſſen getheilt auftritt (villani, bordarii, cottarii), dann aber als ein geſellſchaftliches Ganzes aufgefaßt werden und im (Geſellſchafts-) Recht der manor erſcheinen unter dem Geſammtnamen der „villeins regardant.“ Neben ihnen beſtehen dann die ganz be- ſitzloſen Leibeigenen, die im Doomesdaybook als servi auftreten, nachher aber bald als „villeins en gros,“ bei denen das Individuum noch ganz ohne alles Recht iſt, bezeichnet werden. Das iſt die Geſtalt der Geſellſchaftsordnung. Den Grundformen derſelben entſprechen nun auch die Ordnungen in Beziehung auf die beiden großen öffentlichen Funktionen jener Epoche, das Heerweſen und das Gericht. Das Heerweſen beruht einerſeits auf der Dienſtpflicht des Lords gegen den König, der die Dienſtpflicht des tenens gegen den Lord entſpricht; natürlich konnte unmittelbar nach der Eroberung der sochemann kein Waffenrecht haben; er war ja die unterworfene Klaſſe. Allein ſchon 1181 nimmt das Königthum auch die letztere in die Assize of Arms auf, und damit ſtellt ſich der sochemann auf ſeiner socage rechtlich und ge- ſellſchaftlich wenn er ſehr reich iſt, neben den Lord, und immer neben den homo des Lord. Mit der Assize of Arms beginnt zwiſchen der höchſten und zweithöchſten Klaſſe der engliſchen Geſchlechter jener eigen- thümliche Proceß, auf welchem die heutige engliſche Geſellſchaftsord- nung ihrer einen Seite nach beruht, daß nicht das Recht, ſondern der Umfang des Beſitzes die geſellſchaftliche Stellung des Ein- zelnen bedingt. Doch dieß gehört nicht der eigentlichen Entlaſtungs- geſchichte an. Das Gerichtsweſen ſpaltet ſich dagegen wie allenthalben zuerſt in zwei große Theile, zu denen dann ein drittes, zuletzt ent- ſcheidendes Moment hinzukommt. Der Lord hält Gericht als Vorſitzer der freien Männer ſeiner Grundherrhaft, und empfängt damit die con- tinentalen Titel des Dux, Comes, Vicecomes, Marchio u. ſ. w. Dann aber hält er Gericht über alle diejenigen Fälle, in denen es ſich um das Eigenthum, und namentlich um den Grundbeſitz handelt. Dieß Gericht, deſſen Objekt natürlich namentlich die Leiſtungen der auf dem Grunde der Lords ſitzenden Hinterſaſſen, der perſönlich Freien, ſo wie der Unfreien war (die costums), hieß daher die customary court; da- mit eng verwandt iſt die court of ancient demesne (Blackſtone II. 6). Doch müſſen wir das Genauere hier übergehen, obgleich Gneiſt die letztere ganz wegläßt. Da nun aber der König zuletzt der Eigenthümer aller Beſitzungen iſt, und in jedem Court über ſeine Rechte in letzter

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/134>, abgerufen am 28.04.2024.