jedem öffentlichen Zwecke. Die Circenses dagegen lassen sie als Unter- haltungen der besitzlosen Klasse erscheinen -- ein Tribut der Besitzenden an die arbeitslosen Nichtbesitzenden. In der ständischen Epoche schließt sich das Theater an den großen berufsmäßigen Träger der allgemeinen Bildung, die Kirche; Gegenstand und Zweck liegen im Gebiete der kirchlichen Ideen und Traditionen. Erst mit dem selbständigen Auf- treten des Königthums ändert sich dieß. Das Theater wird eine Fest- vorstellung; es hat keinen anderen Zweck mehr als den der Unterhaltung, und muß sich daher jetzt an den Ideenkreis der allgemeinen Bildung anschließen, das enge Gebiet der Kirche verlassend. Das ist der ent- scheidende Wendepunkt für das Theaterwesen. Ihm entsprechend bleiben die Schauspiele während der Epoche der königlichen Herrschaft wesentlich innerhalb des Kreises der Schicksale und Ideen, welche die Throne um- geben; den Uebergang zum Volksschauspiel bildet dagegen allmälig die Komödie, die sich mit dem bürgerlichen Individuum befaßt, bis endlich die Idee des der staatsbürgerlichen Gesellschaft entsprechenden Thea- ters mit den großen deutschen Dichtern auftritt. Nicht in ihrer höhern Kunst, sondern darin lag die unwiderstehliche Gewalt der Stücke von Männern, wie Lessing, Goethe und Schiller, daß sie nicht mehr die großen sittlichen Thatsachen für sich, sondern den Kampf des Indi- viduums ohne Rücksicht auf Rang und Stand in und mit ihnen verfaßten. Der Drang jener Epoche des Werdens der freien Gesell- schaft, der die geistige That in das Herz des Einzelnen verlegte, und dadurch das freie Volk bildete, fand sich jetzt auf dem Theater in den neuen Schauspielen zum objektiven Ausdruck gebracht; auch hier riß sich das Individuum von der ständischen, herrschenden Ordnung los, und so entstand die Zeit, in der das Theater aus einer vorzugsweise fürstlichen Unterhaltung zu einem ethischen Bildungsmittel sich erhob. Die Folge da- von aber war materiell natürlich die, daß es nunmehr auch den Cha- rakter einer öffentlichen Anstalt verlor, und als Unternehmung auf diejenigen angewiesen ward, für die es arbeitete. So ward das Theater ein Gewerbe im höheren Sinne des Wortes. Allein das ethische Ele- ment lebte in ihm fort; die griechische Tradition und die Weihe, die ihm die großen Dichter gegeben, erhielten das Bedürfniß nach dem reinen Kunstgenuß; die höhere Bildung der höchsten Gesellschaftsklassen forderte, in Gemeinschaft mit der rationellen Erkenntniß des Einflusses, den jede Schaustellung auch auf das freieste Individuum behält, daß die freie Kunst in dem dienstbaren Gewerbe erhalten werde; und dafür boten die, die sociale Revolution überdauernden fürstlichen Theater die natürliche Grundlage. Auf diese Weise entstand das gegenwärtige Verhältniß des Theaterwesens zur Verwaltung, und es muß dasselbe in seinen Grund-
jedem öffentlichen Zwecke. Die Circenses dagegen laſſen ſie als Unter- haltungen der beſitzloſen Klaſſe erſcheinen — ein Tribut der Beſitzenden an die arbeitsloſen Nichtbeſitzenden. In der ſtändiſchen Epoche ſchließt ſich das Theater an den großen berufsmäßigen Träger der allgemeinen Bildung, die Kirche; Gegenſtand und Zweck liegen im Gebiete der kirchlichen Ideen und Traditionen. Erſt mit dem ſelbſtändigen Auf- treten des Königthums ändert ſich dieß. Das Theater wird eine Feſt- vorſtellung; es hat keinen anderen Zweck mehr als den der Unterhaltung, und muß ſich daher jetzt an den Ideenkreis der allgemeinen Bildung anſchließen, das enge Gebiet der Kirche verlaſſend. Das iſt der ent- ſcheidende Wendepunkt für das Theaterweſen. Ihm entſprechend bleiben die Schauſpiele während der Epoche der königlichen Herrſchaft weſentlich innerhalb des Kreiſes der Schickſale und Ideen, welche die Throne um- geben; den Uebergang zum Volksſchauſpiel bildet dagegen allmälig die Komödie, die ſich mit dem bürgerlichen Individuum befaßt, bis endlich die Idee des der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft entſprechenden Thea- ters mit den großen deutſchen Dichtern auftritt. Nicht in ihrer höhern Kunſt, ſondern darin lag die unwiderſtehliche Gewalt der Stücke von Männern, wie Leſſing, Goethe und Schiller, daß ſie nicht mehr die großen ſittlichen Thatſachen für ſich, ſondern den Kampf des Indi- viduums ohne Rückſicht auf Rang und Stand in und mit ihnen verfaßten. Der Drang jener Epoche des Werdens der freien Geſell- ſchaft, der die geiſtige That in das Herz des Einzelnen verlegte, und dadurch das freie Volk bildete, fand ſich jetzt auf dem Theater in den neuen Schauſpielen zum objektiven Ausdruck gebracht; auch hier riß ſich das Individuum von der ſtändiſchen, herrſchenden Ordnung los, und ſo entſtand die Zeit, in der das Theater aus einer vorzugsweiſe fürſtlichen Unterhaltung zu einem ethiſchen Bildungsmittel ſich erhob. Die Folge da- von aber war materiell natürlich die, daß es nunmehr auch den Cha- rakter einer öffentlichen Anſtalt verlor, und als Unternehmung auf diejenigen angewieſen ward, für die es arbeitete. So ward das Theater ein Gewerbe im höheren Sinne des Wortes. Allein das ethiſche Ele- ment lebte in ihm fort; die griechiſche Tradition und die Weihe, die ihm die großen Dichter gegeben, erhielten das Bedürfniß nach dem reinen Kunſtgenuß; die höhere Bildung der höchſten Geſellſchaftsklaſſen forderte, in Gemeinſchaft mit der rationellen Erkenntniß des Einfluſſes, den jede Schauſtellung auch auf das freieſte Individuum behält, daß die freie Kunſt in dem dienſtbaren Gewerbe erhalten werde; und dafür boten die, die ſociale Revolution überdauernden fürſtlichen Theater die natürliche Grundlage. Auf dieſe Weiſe entſtand das gegenwärtige Verhältniß des Theaterweſens zur Verwaltung, und es muß daſſelbe in ſeinen Grund-
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[41/0057]
jedem öffentlichen Zwecke. Die Circenses dagegen laſſen ſie als Unter-
haltungen der beſitzloſen Klaſſe erſcheinen — ein Tribut der Beſitzenden
an die arbeitsloſen Nichtbeſitzenden. In der ſtändiſchen Epoche ſchließt
ſich das Theater an den großen berufsmäßigen Träger der allgemeinen
Bildung, die Kirche; Gegenſtand und Zweck liegen im Gebiete der
kirchlichen Ideen und Traditionen. Erſt mit dem ſelbſtändigen Auf-
treten des Königthums ändert ſich dieß. Das Theater wird eine Feſt-
vorſtellung; es hat keinen anderen Zweck mehr als den der Unterhaltung,
und muß ſich daher jetzt an den Ideenkreis der allgemeinen Bildung
anſchließen, das enge Gebiet der Kirche verlaſſend. Das iſt der ent-
ſcheidende Wendepunkt für das Theaterweſen. Ihm entſprechend bleiben
die Schauſpiele während der Epoche der königlichen Herrſchaft weſentlich
innerhalb des Kreiſes der Schickſale und Ideen, welche die Throne um-
geben; den Uebergang zum Volksſchauſpiel bildet dagegen allmälig die
Komödie, die ſich mit dem bürgerlichen Individuum befaßt, bis endlich
die Idee des der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft entſprechenden Thea-
ters mit den großen deutſchen Dichtern auftritt. Nicht in ihrer höhern
Kunſt, ſondern darin lag die unwiderſtehliche Gewalt der Stücke von
Männern, wie Leſſing, Goethe und Schiller, daß ſie nicht mehr die
großen ſittlichen Thatſachen für ſich, ſondern den Kampf des Indi-
viduums ohne Rückſicht auf Rang und Stand in und mit ihnen
verfaßten. Der Drang jener Epoche des Werdens der freien Geſell-
ſchaft, der die geiſtige That in das Herz des Einzelnen verlegte, und
dadurch das freie Volk bildete, fand ſich jetzt auf dem Theater in den
neuen Schauſpielen zum objektiven Ausdruck gebracht; auch hier riß ſich
das Individuum von der ſtändiſchen, herrſchenden Ordnung los, und ſo
entſtand die Zeit, in der das Theater aus einer vorzugsweiſe fürſtlichen
Unterhaltung zu einem ethiſchen Bildungsmittel ſich erhob. Die Folge da-
von aber war materiell natürlich die, daß es nunmehr auch den Cha-
rakter einer öffentlichen Anſtalt verlor, und als Unternehmung auf
diejenigen angewieſen ward, für die es arbeitete. So ward das Theater
ein Gewerbe im höheren Sinne des Wortes. Allein das ethiſche Ele-
ment lebte in ihm fort; die griechiſche Tradition und die Weihe, die ihm
die großen Dichter gegeben, erhielten das Bedürfniß nach dem reinen
Kunſtgenuß; die höhere Bildung der höchſten Geſellſchaftsklaſſen forderte,
in Gemeinſchaft mit der rationellen Erkenntniß des Einfluſſes, den jede
Schauſtellung auch auf das freieſte Individuum behält, daß die freie
Kunſt in dem dienſtbaren Gewerbe erhalten werde; und dafür boten die,
die ſociale Revolution überdauernden fürſtlichen Theater die natürliche
Grundlage. Auf dieſe Weiſe entſtand das gegenwärtige Verhältniß des
Theaterweſens zur Verwaltung, und es muß daſſelbe in ſeinen Grund-
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/57>, abgerufen am 18.12.2024.
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