Es ist hier zwar nicht der Ort, auf die pädagogische Literatur ein- zugehen, allein es muß uns doch schon im Hinblick auf das Folgende eine Anmerkung gestattet werden. Ganz abgesehen nämlich von der Literatur des öffentlichen Bildungsrechtes, die wir unten im Allgemeinen und im Besondern charakterisiren, besteht nämlich ein großer Unterschied zwischen dieser rein pädagogischen Literatur in unserem und dem vergangenen Jahrhundert. Die frühere Zeit hat, allerdings namentlich auf Grund- lage der classischen Literatur, das Bildungswesen stets als ein Ganzes aufgefaßt und dargestellt; Pädagogik bedeutet die Gesammtheit der lehrenden und erziehenden Thätigkeit. In dieser Allgemeinheit war diese Literatur fähig, auch die allgemeine Bildung als integrirenden Theil mit aufzunehmen. Die Richtung der Zeit bewirkte dabei, daß als Hauptaufgabe und zugleich als Hauptinhalt der letzteren die politische, die Erziehung für das und zum Staatsbürgerthum, angesehen wurde, wodurch dann die eigentliche pädagogische Frage von der politi- schen sich trennte, der Aufnahme in die staatsrechtliche Behandlung wesentlich auch aus den unten anzuführenden speziellen Gründen sich entfremdete, rein pädagogisch ward, sich namentlich dem Volksunter- richt zuwendete, und sich dadurch mehr und mehr specialisirte, indem für jeden einzelnen Zweig eine eigene Literatur entstand. Wesentlich an dieß Moment knüpfte sich die Aufnahme des Erziehungswesens in die staatsrechtlichen Bearbeitungen. Sie ist allerdings dadurch das ge- worden, was wir, im Gegensatz zur rein classischen Behandlung, eine Fachwissenschaft nennen, und hat die einzelnen Gebiete des Bildungs- wesens, namentlich den Elementarunterricht, bei weitem gründlicher be- handelt als früher, dafür insofern aber die Gesammtauffassung verloren, als die über das Fachbildungswesen hinausgehende allge- meine Bildung in der Pädagogik keine rechte Stelle mehr findet, was sich namentlich in dem Mangel einer pädagogischen Berücksichtigung der Presse und ihrer steigenden Wichtigkeit zeigt; eben so derjenige Theil derselben, der auf einem öffentlichen Recht und Leben beruht.
In gleicher Weise hat die Kunst in der heutigen Pädagogik nur geringe Berücksichtigung gefunden. Es ist das nun zwar historisch sehr gut zu erklären; allein gerade die Verwaltungslehre kann diesen be- stimmten, wenn auch durch den Gang der Dinge recht wohl verständ- lichen Standpunkt nicht anerkennen, obwohl gerade sie es sein mag, die ihn durch den eigenen Mangel begründet hat, wie wir es unten andeuten werden. Sie muß ihrerseits alle Gebiete der Bildung gleich- mäßig umfassen, und bedarf daher einer systematischen, sich über alle Theile des Bildungswesens ausdehnenden Auffassung; diese zu geben, war die Aufgabe des Vorhergehenden. Die höhere Pädagogik selbst aber
Es iſt hier zwar nicht der Ort, auf die pädagogiſche Literatur ein- zugehen, allein es muß uns doch ſchon im Hinblick auf das Folgende eine Anmerkung geſtattet werden. Ganz abgeſehen nämlich von der Literatur des öffentlichen Bildungsrechtes, die wir unten im Allgemeinen und im Beſondern charakteriſiren, beſteht nämlich ein großer Unterſchied zwiſchen dieſer rein pädagogiſchen Literatur in unſerem und dem vergangenen Jahrhundert. Die frühere Zeit hat, allerdings namentlich auf Grund- lage der claſſiſchen Literatur, das Bildungsweſen ſtets als ein Ganzes aufgefaßt und dargeſtellt; Pädagogik bedeutet die Geſammtheit der lehrenden und erziehenden Thätigkeit. In dieſer Allgemeinheit war dieſe Literatur fähig, auch die allgemeine Bildung als integrirenden Theil mit aufzunehmen. Die Richtung der Zeit bewirkte dabei, daß als Hauptaufgabe und zugleich als Hauptinhalt der letzteren die politiſche, die Erziehung für das und zum Staatsbürgerthum, angeſehen wurde, wodurch dann die eigentliche pädagogiſche Frage von der politi- ſchen ſich trennte, der Aufnahme in die ſtaatsrechtliche Behandlung weſentlich auch aus den unten anzuführenden ſpeziellen Gründen ſich entfremdete, rein pädagogiſch ward, ſich namentlich dem Volksunter- richt zuwendete, und ſich dadurch mehr und mehr ſpecialiſirte, indem für jeden einzelnen Zweig eine eigene Literatur entſtand. Weſentlich an dieß Moment knüpfte ſich die Aufnahme des Erziehungsweſens in die ſtaatsrechtlichen Bearbeitungen. Sie iſt allerdings dadurch das ge- worden, was wir, im Gegenſatz zur rein claſſiſchen Behandlung, eine Fachwiſſenſchaft nennen, und hat die einzelnen Gebiete des Bildungs- weſens, namentlich den Elementarunterricht, bei weitem gründlicher be- handelt als früher, dafür inſofern aber die Geſammtauffaſſung verloren, als die über das Fachbildungsweſen hinausgehende allge- meine Bildung in der Pädagogik keine rechte Stelle mehr findet, was ſich namentlich in dem Mangel einer pädagogiſchen Berückſichtigung der Preſſe und ihrer ſteigenden Wichtigkeit zeigt; eben ſo derjenige Theil derſelben, der auf einem öffentlichen Recht und Leben beruht.
In gleicher Weiſe hat die Kunſt in der heutigen Pädagogik nur geringe Berückſichtigung gefunden. Es iſt das nun zwar hiſtoriſch ſehr gut zu erklären; allein gerade die Verwaltungslehre kann dieſen be- ſtimmten, wenn auch durch den Gang der Dinge recht wohl verſtänd- lichen Standpunkt nicht anerkennen, obwohl gerade ſie es ſein mag, die ihn durch den eigenen Mangel begründet hat, wie wir es unten andeuten werden. Sie muß ihrerſeits alle Gebiete der Bildung gleich- mäßig umfaſſen, und bedarf daher einer ſyſtematiſchen, ſich über alle Theile des Bildungsweſens ausdehnenden Auffaſſung; dieſe zu geben, war die Aufgabe des Vorhergehenden. Die höhere Pädagogik ſelbſt aber
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0039"n="11"/><p>Es iſt hier zwar nicht der Ort, auf die pädagogiſche Literatur ein-<lb/>
zugehen, allein es muß uns doch ſchon im Hinblick auf das Folgende eine<lb/>
Anmerkung geſtattet werden. Ganz abgeſehen nämlich von der Literatur<lb/>
des öffentlichen Bildung<hirendition="#g">srechtes</hi>, die wir unten im Allgemeinen und im<lb/>
Beſondern charakteriſiren, beſteht nämlich ein großer Unterſchied zwiſchen<lb/>
dieſer rein pädagogiſchen Literatur in unſerem und dem vergangenen<lb/>
Jahrhundert. Die frühere Zeit hat, allerdings namentlich auf Grund-<lb/>
lage der claſſiſchen Literatur, das Bildungsweſen ſtets als <hirendition="#g">ein Ganzes</hi><lb/>
aufgefaßt und dargeſtellt; Pädagogik bedeutet die <hirendition="#g">Geſammtheit</hi> der<lb/>
lehrenden und erziehenden Thätigkeit. In dieſer Allgemeinheit war<lb/>
dieſe Literatur fähig, auch die allgemeine Bildung als integrirenden<lb/>
Theil mit aufzunehmen. Die Richtung der Zeit bewirkte dabei, daß<lb/>
als Hauptaufgabe und zugleich als Hauptinhalt der letzteren die <hirendition="#g">politiſche</hi>,<lb/>
die Erziehung für das und zum <hirendition="#g">Staatsbürgerthum</hi>, angeſehen<lb/>
wurde, wodurch dann die eigentliche pädagogiſche Frage von der politi-<lb/>ſchen ſich trennte, der Aufnahme in die ſtaatsrechtliche Behandlung<lb/>
weſentlich auch aus den unten anzuführenden ſpeziellen Gründen ſich<lb/>
entfremdete, <hirendition="#g">rein</hi> pädagogiſch ward, ſich namentlich dem <hirendition="#g">Volksu</hi>nter-<lb/>
richt zuwendete, und ſich dadurch mehr und mehr ſpecialiſirte, indem<lb/>
für jeden einzelnen Zweig eine eigene Literatur entſtand. Weſentlich<lb/>
an dieß Moment knüpfte ſich die Aufnahme des Erziehungsweſens in<lb/>
die ſtaatsrechtlichen Bearbeitungen. Sie iſt allerdings dadurch das ge-<lb/>
worden, was wir, im Gegenſatz zur rein claſſiſchen Behandlung, eine<lb/>
Fachwiſſenſchaft nennen, und hat die einzelnen Gebiete des Bildungs-<lb/>
weſens, namentlich den Elementarunterricht, bei weitem gründlicher be-<lb/>
handelt als früher, dafür inſofern aber die <hirendition="#g">Geſammtauffaſſung<lb/>
verloren</hi>, als die über das Fachbildungsweſen hinausgehende allge-<lb/>
meine Bildung in der Pädagogik keine rechte Stelle mehr findet, was<lb/>ſich namentlich in dem Mangel einer pädagogiſchen Berückſichtigung der<lb/>
Preſſe und ihrer ſteigenden Wichtigkeit zeigt; eben ſo derjenige Theil<lb/>
derſelben, der auf einem öffentlichen Recht und Leben beruht.</p><lb/><p>In gleicher Weiſe hat die Kunſt in der heutigen Pädagogik nur<lb/>
geringe Berückſichtigung gefunden. Es iſt das nun zwar hiſtoriſch ſehr<lb/>
gut zu erklären; allein gerade die Verwaltungslehre kann dieſen be-<lb/>ſtimmten, wenn auch durch den Gang der Dinge recht wohl verſtänd-<lb/>
lichen Standpunkt nicht anerkennen, obwohl gerade ſie es ſein mag,<lb/>
die ihn durch den eigenen Mangel begründet hat, wie wir es unten<lb/>
andeuten werden. Sie muß ihrerſeits alle Gebiete der Bildung <hirendition="#g">gleich-<lb/>
mäßig</hi> umfaſſen, und bedarf daher einer ſyſtematiſchen, ſich über <hirendition="#g">alle</hi><lb/>
Theile des Bildungsweſens ausdehnenden Auffaſſung; dieſe zu geben,<lb/>
war die Aufgabe des Vorhergehenden. Die höhere Pädagogik ſelbſt aber<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[11/0039]
Es iſt hier zwar nicht der Ort, auf die pädagogiſche Literatur ein-
zugehen, allein es muß uns doch ſchon im Hinblick auf das Folgende eine
Anmerkung geſtattet werden. Ganz abgeſehen nämlich von der Literatur
des öffentlichen Bildungsrechtes, die wir unten im Allgemeinen und im
Beſondern charakteriſiren, beſteht nämlich ein großer Unterſchied zwiſchen
dieſer rein pädagogiſchen Literatur in unſerem und dem vergangenen
Jahrhundert. Die frühere Zeit hat, allerdings namentlich auf Grund-
lage der claſſiſchen Literatur, das Bildungsweſen ſtets als ein Ganzes
aufgefaßt und dargeſtellt; Pädagogik bedeutet die Geſammtheit der
lehrenden und erziehenden Thätigkeit. In dieſer Allgemeinheit war
dieſe Literatur fähig, auch die allgemeine Bildung als integrirenden
Theil mit aufzunehmen. Die Richtung der Zeit bewirkte dabei, daß
als Hauptaufgabe und zugleich als Hauptinhalt der letzteren die politiſche,
die Erziehung für das und zum Staatsbürgerthum, angeſehen
wurde, wodurch dann die eigentliche pädagogiſche Frage von der politi-
ſchen ſich trennte, der Aufnahme in die ſtaatsrechtliche Behandlung
weſentlich auch aus den unten anzuführenden ſpeziellen Gründen ſich
entfremdete, rein pädagogiſch ward, ſich namentlich dem Volksunter-
richt zuwendete, und ſich dadurch mehr und mehr ſpecialiſirte, indem
für jeden einzelnen Zweig eine eigene Literatur entſtand. Weſentlich
an dieß Moment knüpfte ſich die Aufnahme des Erziehungsweſens in
die ſtaatsrechtlichen Bearbeitungen. Sie iſt allerdings dadurch das ge-
worden, was wir, im Gegenſatz zur rein claſſiſchen Behandlung, eine
Fachwiſſenſchaft nennen, und hat die einzelnen Gebiete des Bildungs-
weſens, namentlich den Elementarunterricht, bei weitem gründlicher be-
handelt als früher, dafür inſofern aber die Geſammtauffaſſung
verloren, als die über das Fachbildungsweſen hinausgehende allge-
meine Bildung in der Pädagogik keine rechte Stelle mehr findet, was
ſich namentlich in dem Mangel einer pädagogiſchen Berückſichtigung der
Preſſe und ihrer ſteigenden Wichtigkeit zeigt; eben ſo derjenige Theil
derſelben, der auf einem öffentlichen Recht und Leben beruht.
In gleicher Weiſe hat die Kunſt in der heutigen Pädagogik nur
geringe Berückſichtigung gefunden. Es iſt das nun zwar hiſtoriſch ſehr
gut zu erklären; allein gerade die Verwaltungslehre kann dieſen be-
ſtimmten, wenn auch durch den Gang der Dinge recht wohl verſtänd-
lichen Standpunkt nicht anerkennen, obwohl gerade ſie es ſein mag,
die ihn durch den eigenen Mangel begründet hat, wie wir es unten
andeuten werden. Sie muß ihrerſeits alle Gebiete der Bildung gleich-
mäßig umfaſſen, und bedarf daher einer ſyſtematiſchen, ſich über alle
Theile des Bildungsweſens ausdehnenden Auffaſſung; dieſe zu geben,
war die Aufgabe des Vorhergehenden. Die höhere Pädagogik ſelbſt aber
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/39>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.