wie in Frankreich. Da nämlich die Regierung kein Amt brauchte, wie auf dem Continent, noch auch Finanzregalien besaß, so kam sie nie in Gelegenheit, eine Fachprüfung ihrerseits von den Staatsdienern fordern zu müssen; und da andererseits alle höhern Staatsämter durch hervorragende Leistungen im Parlamente gewonnen wurden, so for- derte auch der gebildete Stand eine solche Fachbildung und ihr System nicht. Das entscheidende Gewicht, das die oratorischen Talente und die denselben zum Grunde liegende allgemeine Bildung im öffentlichen Leben besaßen, ließ vielmehr die allgemeine Forderung sich auf das- jenige beschränken, was den Parlamentsredner im Allgemeinen, den öffentlichen Redner im Besondern ausmachte. Und nach dem ganzen Gang der mittelalterlichen Bildung war es kein Zweifel, daß dafür die classischen Studien die wahre Grundlage bilden. In der That kam es bei der Theologie wesentlich auf die Vertretung bestimmter Con- fessionen, bei der Jurisprudenz auf Gewandtheit in öffentlichen Ver- handlungen, bei der Medicin auf das Vertrauen des Publikums, bei der Philologie auf das Bedürfniß desselben an. Das große Princip der Patronage bei der Besetzung von Staatsämtern und das nicht minder wichtige der freien Wahl bei den Aemtern der Selbstverwaltung, verbunden mit der Stellung der herrschenden grundbesitzenden Klasse, der Gentry, ließen den Gedanken gar nicht aufkommen, daß eine Fachbildung eine ausgezeichnete Berechtigung auf irgend eine Anstellung gebe; der Mangel einer thätigen Verwaltung des Innern erzeugte kein Bedürfniß der Regierung nach andern als parlamentarischen Ca- pacitäten; und so kam es, daß England niemals eine wissenschaft- liche Fachbildung, oder das derselben entsprechende System der Facultäten und der öffentlichen oder Staatsdienstprüfungen bei sich ausgebildet hat. Seine ganze wissenschaftliche Bildung beschränkte sich auf die classische als Grundlage der öffentlichen Laufbahn, und zwar auf eine solche, die selbst nicht wieder als philologische Fachbildung, sondern rein als allgemein humanistische den Mann des öffent- lichen Lebens, den public character, ausmachte. Und da nun end- lich nur Geburt und Vermögen bis zu unserem Jahrhundert dem Ein- zelnen eine solche parlamentarische Laufbahn möglich machten, so ent- stand der Englands wissenschaftliche Bildung charakterisirende Satz, daß diese humanistische Bildung specifisch der höhern, herrschenden Klasse, der Gentry, angehöre, und daß daher die wesentliche Aufgabe derselben sei, den Studirenden zugleich zu einem Mitgliede derselben zu erziehen. Das waren, und das sind noch gegenwärtig die beiden herrschenden Elemente der wissenschaftlichen Bildung in England, welche in dem System der Colleges und der beiden Universities ihren Ausdruck finden.
wie in Frankreich. Da nämlich die Regierung kein Amt brauchte, wie auf dem Continent, noch auch Finanzregalien beſaß, ſo kam ſie nie in Gelegenheit, eine Fachprüfung ihrerſeits von den Staatsdienern fordern zu müſſen; und da andererſeits alle höhern Staatsämter durch hervorragende Leiſtungen im Parlamente gewonnen wurden, ſo for- derte auch der gebildete Stand eine ſolche Fachbildung und ihr Syſtem nicht. Das entſcheidende Gewicht, das die oratoriſchen Talente und die denſelben zum Grunde liegende allgemeine Bildung im öffentlichen Leben beſaßen, ließ vielmehr die allgemeine Forderung ſich auf das- jenige beſchränken, was den Parlamentsredner im Allgemeinen, den öffentlichen Redner im Beſondern ausmachte. Und nach dem ganzen Gang der mittelalterlichen Bildung war es kein Zweifel, daß dafür die claſſiſchen Studien die wahre Grundlage bilden. In der That kam es bei der Theologie weſentlich auf die Vertretung beſtimmter Con- feſſionen, bei der Jurisprudenz auf Gewandtheit in öffentlichen Ver- handlungen, bei der Medicin auf das Vertrauen des Publikums, bei der Philologie auf das Bedürfniß deſſelben an. Das große Princip der Patronage bei der Beſetzung von Staatsämtern und das nicht minder wichtige der freien Wahl bei den Aemtern der Selbſtverwaltung, verbunden mit der Stellung der herrſchenden grundbeſitzenden Klaſſe, der Gentry, ließen den Gedanken gar nicht aufkommen, daß eine Fachbildung eine ausgezeichnete Berechtigung auf irgend eine Anſtellung gebe; der Mangel einer thätigen Verwaltung des Innern erzeugte kein Bedürfniß der Regierung nach andern als parlamentariſchen Ca- pacitäten; und ſo kam es, daß England niemals eine wiſſenſchaft- liche Fachbildung, oder das derſelben entſprechende Syſtem der Facultäten und der öffentlichen oder Staatsdienſtprüfungen bei ſich ausgebildet hat. Seine ganze wiſſenſchaftliche Bildung beſchränkte ſich auf die claſſiſche als Grundlage der öffentlichen Laufbahn, und zwar auf eine ſolche, die ſelbſt nicht wieder als philologiſche Fachbildung, ſondern rein als allgemein humaniſtiſche den Mann des öffent- lichen Lebens, den public character, ausmachte. Und da nun end- lich nur Geburt und Vermögen bis zu unſerem Jahrhundert dem Ein- zelnen eine ſolche parlamentariſche Laufbahn möglich machten, ſo ent- ſtand der Englands wiſſenſchaftliche Bildung charakteriſirende Satz, daß dieſe humaniſtiſche Bildung ſpecifiſch der höhern, herrſchenden Klaſſe, der Gentry, angehöre, und daß daher die weſentliche Aufgabe derſelben ſei, den Studirenden zugleich zu einem Mitgliede derſelben zu erziehen. Das waren, und das ſind noch gegenwärtig die beiden herrſchenden Elemente der wiſſenſchaftlichen Bildung in England, welche in dem Syſtem der Colleges und der beiden Universities ihren Ausdruck finden.
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wie in Frankreich. Da nämlich die Regierung kein Amt brauchte, wie
auf dem Continent, noch auch Finanzregalien beſaß, ſo kam ſie nie
in Gelegenheit, eine Fachprüfung ihrerſeits von den Staatsdienern
fordern zu müſſen; und da andererſeits alle höhern Staatsämter durch
hervorragende Leiſtungen im Parlamente gewonnen wurden, ſo for-
derte auch der gebildete Stand eine ſolche Fachbildung und ihr Syſtem
nicht. Das entſcheidende Gewicht, das die oratoriſchen Talente und
die denſelben zum Grunde liegende allgemeine Bildung im öffentlichen
Leben beſaßen, ließ vielmehr die allgemeine Forderung ſich auf das-
jenige beſchränken, was den Parlamentsredner im Allgemeinen, den
öffentlichen Redner im Beſondern ausmachte. Und nach dem ganzen
Gang der mittelalterlichen Bildung war es kein Zweifel, daß dafür
die claſſiſchen Studien die wahre Grundlage bilden. In der That kam
es bei der Theologie weſentlich auf die Vertretung beſtimmter Con-
feſſionen, bei der Jurisprudenz auf Gewandtheit in öffentlichen Ver-
handlungen, bei der Medicin auf das Vertrauen des Publikums, bei
der Philologie auf das Bedürfniß deſſelben an. Das große Princip
der Patronage bei der Beſetzung von Staatsämtern und das nicht
minder wichtige der freien Wahl bei den Aemtern der Selbſtverwaltung,
verbunden mit der Stellung der herrſchenden grundbeſitzenden Klaſſe,
der Gentry, ließen den Gedanken gar nicht aufkommen, daß eine
Fachbildung eine ausgezeichnete Berechtigung auf irgend eine Anſtellung
gebe; der Mangel einer thätigen Verwaltung des Innern erzeugte
kein Bedürfniß der Regierung nach andern als parlamentariſchen Ca-
pacitäten; und ſo kam es, daß England niemals eine wiſſenſchaft-
liche Fachbildung, oder das derſelben entſprechende Syſtem der
Facultäten und der öffentlichen oder Staatsdienſtprüfungen bei ſich
ausgebildet hat. Seine ganze wiſſenſchaftliche Bildung beſchränkte ſich
auf die claſſiſche als Grundlage der öffentlichen Laufbahn, und zwar
auf eine ſolche, die ſelbſt nicht wieder als philologiſche Fachbildung,
ſondern rein als allgemein humaniſtiſche den Mann des öffent-
lichen Lebens, den public character, ausmachte. Und da nun end-
lich nur Geburt und Vermögen bis zu unſerem Jahrhundert dem Ein-
zelnen eine ſolche parlamentariſche Laufbahn möglich machten, ſo ent-
ſtand der Englands wiſſenſchaftliche Bildung charakteriſirende Satz,
daß dieſe humaniſtiſche Bildung ſpecifiſch der höhern, herrſchenden Klaſſe,
der Gentry, angehöre, und daß daher die weſentliche Aufgabe derſelben
ſei, den Studirenden zugleich zu einem Mitgliede derſelben zu erziehen.
Das waren, und das ſind noch gegenwärtig die beiden herrſchenden
Elemente der wiſſenſchaftlichen Bildung in England, welche in dem Syſtem
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/355>, abgerufen am 24.11.2024.
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