Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.In der That nämlich kann die völlige Freiheit in der Berufs- Denn andererseits ist es kein Zweifel, daß bei dem grundsätzlichen In der That nämlich kann die völlige Freiheit in der Berufs- Denn andererſeits iſt es kein Zweifel, daß bei dem grundſätzlichen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <pb facs="#f0351" n="323"/> <p>In der That nämlich kann die <hi rendition="#g">völlige</hi> Freiheit in der Berufs-<lb/> bildung, wie ſie England charakteriſirt, nur unter einer Bedingung als<lb/> ein, ſeine eigene Correction in ſich ſelbſt tragendes Princip anerkannt<lb/> werden. Das iſt die volle <hi rendition="#g">Oeffentlichkeit</hi> des geſammten geiſtigen<lb/> Lebens, welches in ſeiner Preſſe und ſeinen Vereinen das Mittel hat,<lb/> jeden ernſtlichen Mangel der Bildung aufzudecken und zu rügen, und<lb/> welche durch den Einfluß der öffentlichen Meinung den Einzelnen zwingt,<lb/> das zu leiſten, wozu ihn in Deutſchland das formale Bildungsſyſtem<lb/> nöthigt. Es iſt ferner die volle Freiheit und Thätigkeit der <hi rendition="#g">Volksver-<lb/> tretung</hi> und der <hi rendition="#g">Selbſtverwaltung</hi>, in welcher alle Gebildeten<lb/> ſich und das, was ſie gelernt haben und wiſſen, zur öffentlichen Geltung<lb/> bringen. Hier wird die Unfähigkeit und die Unkenntniß von ſelbſt be-<lb/> ſtraft und die gewonnene Bildung findet ihren Lohn und ihre Aner-<lb/> kennung ohne alles Zuthun einer Prüfung und eines Zeugniſſes. In<lb/> dem gewaltigen Ringen der beſten geiſtigen Kräfte, welche uns dieſe<lb/> großartigen Inſtitutionen darbieten, tritt jeder Gebildete dem anderen<lb/> perſönlich gegenüber und findet das Maß ſeiner Bildung nicht mehr<lb/> an einem geſetzlich vorgeſchriebenen Minimum, ſondern an dem Maße<lb/> der ſelbſtverarbeiteten Bildung der Anderen, und für die Wahrheit und<lb/> Zulänglichkeit deſſen, was er gelernt, muß er ſelbſt eintreten und nicht<lb/> mehr das Urtheil einer Prüfungscommiſſion. <hi rendition="#g">Daher</hi> iſt trotz alles<lb/> Mangels des öffentlichen Bildungsweſens Englands der Erfolg deſſelben<lb/> ein ſo großer, daß die engliſche Literatur in <hi rendition="#g">allen</hi> Gebieten des Wiſſens<lb/> der deutſchen vollkommen ebenbürtig iſt, während die Gelehrten Männer<lb/> und nicht bloß Profeſſoren ſein müſſen. <hi rendition="#g">Daher</hi> kommt die geiſtige<lb/> Kraft dieſes hochbegabten Volkes; und <hi rendition="#g">da</hi> liegt der Punkt, auf welchem<lb/> die Beziehung auf Deutſchlands Bildungsweſen faſt von ſelbſt gegeben<lb/> iſt. Die große formale Strenge unſerer Bildung für alle Berufe iſt<lb/> weſentlich ein Ergebniß unſeres <hi rendition="#g">bisherigen Mangels</hi> an <hi rendition="#g">Oeffent-<lb/> lichkeit, an Volksvertretung und Selbſtverwaltung</hi>. Unſer<lb/> Syſtem hat uns die lebendige Einwirkung dieſer gewaltigen Faktoren<lb/> erſetzen ſollen, aber natürlich nur halb erſetzt; und es iſt kein Zweifel,<lb/> daß, wenn bei uns jene drei Potenzen zu vollſtändiger Entwicklung<lb/> gediehen ſein werden, wir alsdann, die größere und gleichmäßigere<lb/> Maſſe unſeres Stoffes durch ſie geiſtig und freiheitlich belebend, auch<lb/> in <hi rendition="#g">dieſer</hi> Beziehung den erſten Rang in Europa behalten werden.</p><lb/> <p>Denn andererſeits iſt es kein Zweifel, daß bei dem grundſätzlichen<lb/> und allgemeinen Zurückwerfen des Berufsbildungsweſens auf das, was<lb/> die geſellſchaftlichen Kräfte leiſten und bei der <hi rendition="#g">völligen</hi> Gleichgültig-<lb/> keit des Staats gegen Inhalt, Form und Ergebniß deſſelben große<lb/> Mängel und praktiſche Uebelſtände entſtehen. Die Freiheit kann viel,<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [323/0351]
In der That nämlich kann die völlige Freiheit in der Berufs-
bildung, wie ſie England charakteriſirt, nur unter einer Bedingung als
ein, ſeine eigene Correction in ſich ſelbſt tragendes Princip anerkannt
werden. Das iſt die volle Oeffentlichkeit des geſammten geiſtigen
Lebens, welches in ſeiner Preſſe und ſeinen Vereinen das Mittel hat,
jeden ernſtlichen Mangel der Bildung aufzudecken und zu rügen, und
welche durch den Einfluß der öffentlichen Meinung den Einzelnen zwingt,
das zu leiſten, wozu ihn in Deutſchland das formale Bildungsſyſtem
nöthigt. Es iſt ferner die volle Freiheit und Thätigkeit der Volksver-
tretung und der Selbſtverwaltung, in welcher alle Gebildeten
ſich und das, was ſie gelernt haben und wiſſen, zur öffentlichen Geltung
bringen. Hier wird die Unfähigkeit und die Unkenntniß von ſelbſt be-
ſtraft und die gewonnene Bildung findet ihren Lohn und ihre Aner-
kennung ohne alles Zuthun einer Prüfung und eines Zeugniſſes. In
dem gewaltigen Ringen der beſten geiſtigen Kräfte, welche uns dieſe
großartigen Inſtitutionen darbieten, tritt jeder Gebildete dem anderen
perſönlich gegenüber und findet das Maß ſeiner Bildung nicht mehr
an einem geſetzlich vorgeſchriebenen Minimum, ſondern an dem Maße
der ſelbſtverarbeiteten Bildung der Anderen, und für die Wahrheit und
Zulänglichkeit deſſen, was er gelernt, muß er ſelbſt eintreten und nicht
mehr das Urtheil einer Prüfungscommiſſion. Daher iſt trotz alles
Mangels des öffentlichen Bildungsweſens Englands der Erfolg deſſelben
ein ſo großer, daß die engliſche Literatur in allen Gebieten des Wiſſens
der deutſchen vollkommen ebenbürtig iſt, während die Gelehrten Männer
und nicht bloß Profeſſoren ſein müſſen. Daher kommt die geiſtige
Kraft dieſes hochbegabten Volkes; und da liegt der Punkt, auf welchem
die Beziehung auf Deutſchlands Bildungsweſen faſt von ſelbſt gegeben
iſt. Die große formale Strenge unſerer Bildung für alle Berufe iſt
weſentlich ein Ergebniß unſeres bisherigen Mangels an Oeffent-
lichkeit, an Volksvertretung und Selbſtverwaltung. Unſer
Syſtem hat uns die lebendige Einwirkung dieſer gewaltigen Faktoren
erſetzen ſollen, aber natürlich nur halb erſetzt; und es iſt kein Zweifel,
daß, wenn bei uns jene drei Potenzen zu vollſtändiger Entwicklung
gediehen ſein werden, wir alsdann, die größere und gleichmäßigere
Maſſe unſeres Stoffes durch ſie geiſtig und freiheitlich belebend, auch
in dieſer Beziehung den erſten Rang in Europa behalten werden.
Denn andererſeits iſt es kein Zweifel, daß bei dem grundſätzlichen
und allgemeinen Zurückwerfen des Berufsbildungsweſens auf das, was
die geſellſchaftlichen Kräfte leiſten und bei der völligen Gleichgültig-
keit des Staats gegen Inhalt, Form und Ergebniß deſſelben große
Mängel und praktiſche Uebelſtände entſtehen. Die Freiheit kann viel,
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