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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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Stellung beruht darauf, daß in ihnen zuerst die Verwaltung überhaupt
die wirthschaftliche Berufsbildung als eine ihrer Aufgaben anerkennt;
durch sie ist die letztere formell in das System des öffentlichen Bildungs-
wesens hinein gezogen; damit ist der Keim gelegt, der sich nunmehr
namentlich in den folgenden Jahrzehnten unseres Jahrhunderts weiter
entwickelt, und eine selbständige Ordnung für sich und für das Ganze
hervorruft. Die zweite jener Bewegungen schließt sich dagegen wie die
erste an die gelehrte Bildung, so ihrerseits an die Volksbildung.

Mit der Neugestaltung des inneren Lebens der Völker Europas
wird nämlich das alte ständische Recht der Zünfte und Innungen immer
unhaltbarer; mit ihm die Meinung, als könne die bisherige rein zunft-
mäßige Bildung der Handwerker in dem großen Produktionskampfe, den
jetzt die Völker Europas unter einander beginnen, ferner noch aus-
reichen. Der Erwerb ist eines der großen, gewiß eines der allgemeinsten
Elemente der Volksentwicklung; schon die unterste Bildung kann daher nicht
mehr bei der Volksschule stehen bleiben. Sie nimmt vielmehr den Ge-
danken einer wirthschaftlichen Elementarbildung in sich auf; sie stellt
dieselbe auf allen Punkten neben die Volksbildung, sie setzt die letzteren
durch die erstere fort; sie wird eine allgemeine Verpflichtung des Volkes
gegen sich selbst, und so entsteht das, was wir im weiteren Sinne das
Realschulwesen nennen. So wie dieser Gedanke auftritt, bemächtigt
sich nun auch die Wissenschaft desselben. Die Realbildung, und zwar
eben die des Volkes, wird in die Pädagogik aufgenommen; sie fängt
an, einen integrirenden Theil derselben zu bilden; sie wird den Päda-
gogen allmählig gleichberechtigt mit der wissenschaftlichen und gestaltet
sich unter ihren Händen allmählig zu einem System von Anstalten,
das wir das Realschulsystem nennen können. Damit hat nun die wirth-
schaftliche Bildung aber auch die beiden großen Formen der gelehrten
gewonnen. Es gibt jetzt auf Grundlage der Cameralwissenschaften ein
wirthschaftliches Fachbildungs-, auf Grundlage der Realschulen ein wirth-
schaftliches Vorbildungswesen. Beide sind von der Idee durchdrungen,
daß Kapital und Erwerb mächtige sociale Faktoren sind, daß beide nicht
bloß wirthschaftliche Zwecke, sondern die Erfüllung eines Lebensberufes
enthalten, der sich jetzt dem gelehrten als gleichberechtigt an die Seite
stellt. Der weitere Ausbau dieser beiden Elemente geht nun langsam,
aber sicher vor sich; er ist in der Form und in dem Maße seiner Ent-
wicklung in den einzelnen Staaten verschieden, aber er ist allenthalben
gleich in seinem Princip; und indem dieses weite, einer größern Ent-
faltung seiner einzelnen Momente entgegen gehende Bildungsgebiet somit
eine allgemeine Aufgabe des Staatslebens wird, entsteht jetzt auch die
Forderung, ein öffentliches Recht desselben aufzustellen und es vermöge

Stellung beruht darauf, daß in ihnen zuerſt die Verwaltung überhaupt
die wirthſchaftliche Berufsbildung als eine ihrer Aufgaben anerkennt;
durch ſie iſt die letztere formell in das Syſtem des öffentlichen Bildungs-
weſens hinein gezogen; damit iſt der Keim gelegt, der ſich nunmehr
namentlich in den folgenden Jahrzehnten unſeres Jahrhunderts weiter
entwickelt, und eine ſelbſtändige Ordnung für ſich und für das Ganze
hervorruft. Die zweite jener Bewegungen ſchließt ſich dagegen wie die
erſte an die gelehrte Bildung, ſo ihrerſeits an die Volksbildung.

Mit der Neugeſtaltung des inneren Lebens der Völker Europas
wird nämlich das alte ſtändiſche Recht der Zünfte und Innungen immer
unhaltbarer; mit ihm die Meinung, als könne die bisherige rein zunft-
mäßige Bildung der Handwerker in dem großen Produktionskampfe, den
jetzt die Völker Europas unter einander beginnen, ferner noch aus-
reichen. Der Erwerb iſt eines der großen, gewiß eines der allgemeinſten
Elemente der Volksentwicklung; ſchon die unterſte Bildung kann daher nicht
mehr bei der Volksſchule ſtehen bleiben. Sie nimmt vielmehr den Ge-
danken einer wirthſchaftlichen Elementarbildung in ſich auf; ſie ſtellt
dieſelbe auf allen Punkten neben die Volksbildung, ſie ſetzt die letzteren
durch die erſtere fort; ſie wird eine allgemeine Verpflichtung des Volkes
gegen ſich ſelbſt, und ſo entſteht das, was wir im weiteren Sinne das
Realſchulweſen nennen. So wie dieſer Gedanke auftritt, bemächtigt
ſich nun auch die Wiſſenſchaft deſſelben. Die Realbildung, und zwar
eben die des Volkes, wird in die Pädagogik aufgenommen; ſie fängt
an, einen integrirenden Theil derſelben zu bilden; ſie wird den Päda-
gogen allmählig gleichberechtigt mit der wiſſenſchaftlichen und geſtaltet
ſich unter ihren Händen allmählig zu einem Syſtem von Anſtalten,
das wir das Realſchulſyſtem nennen können. Damit hat nun die wirth-
ſchaftliche Bildung aber auch die beiden großen Formen der gelehrten
gewonnen. Es gibt jetzt auf Grundlage der Cameralwiſſenſchaften ein
wirthſchaftliches Fachbildungs-, auf Grundlage der Realſchulen ein wirth-
ſchaftliches Vorbildungsweſen. Beide ſind von der Idee durchdrungen,
daß Kapital und Erwerb mächtige ſociale Faktoren ſind, daß beide nicht
bloß wirthſchaftliche Zwecke, ſondern die Erfüllung eines Lebensberufes
enthalten, der ſich jetzt dem gelehrten als gleichberechtigt an die Seite
ſtellt. Der weitere Ausbau dieſer beiden Elemente geht nun langſam,
aber ſicher vor ſich; er iſt in der Form und in dem Maße ſeiner Ent-
wicklung in den einzelnen Staaten verſchieden, aber er iſt allenthalben
gleich in ſeinem Princip; und indem dieſes weite, einer größern Ent-
faltung ſeiner einzelnen Momente entgegen gehende Bildungsgebiet ſomit
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[243/0271] Stellung beruht darauf, daß in ihnen zuerſt die Verwaltung überhaupt die wirthſchaftliche Berufsbildung als eine ihrer Aufgaben anerkennt; durch ſie iſt die letztere formell in das Syſtem des öffentlichen Bildungs- weſens hinein gezogen; damit iſt der Keim gelegt, der ſich nunmehr namentlich in den folgenden Jahrzehnten unſeres Jahrhunderts weiter entwickelt, und eine ſelbſtändige Ordnung für ſich und für das Ganze hervorruft. Die zweite jener Bewegungen ſchließt ſich dagegen wie die erſte an die gelehrte Bildung, ſo ihrerſeits an die Volksbildung. Mit der Neugeſtaltung des inneren Lebens der Völker Europas wird nämlich das alte ſtändiſche Recht der Zünfte und Innungen immer unhaltbarer; mit ihm die Meinung, als könne die bisherige rein zunft- mäßige Bildung der Handwerker in dem großen Produktionskampfe, den jetzt die Völker Europas unter einander beginnen, ferner noch aus- reichen. Der Erwerb iſt eines der großen, gewiß eines der allgemeinſten Elemente der Volksentwicklung; ſchon die unterſte Bildung kann daher nicht mehr bei der Volksſchule ſtehen bleiben. Sie nimmt vielmehr den Ge- danken einer wirthſchaftlichen Elementarbildung in ſich auf; ſie ſtellt dieſelbe auf allen Punkten neben die Volksbildung, ſie ſetzt die letzteren durch die erſtere fort; ſie wird eine allgemeine Verpflichtung des Volkes gegen ſich ſelbſt, und ſo entſteht das, was wir im weiteren Sinne das Realſchulweſen nennen. So wie dieſer Gedanke auftritt, bemächtigt ſich nun auch die Wiſſenſchaft deſſelben. Die Realbildung, und zwar eben die des Volkes, wird in die Pädagogik aufgenommen; ſie fängt an, einen integrirenden Theil derſelben zu bilden; ſie wird den Päda- gogen allmählig gleichberechtigt mit der wiſſenſchaftlichen und geſtaltet ſich unter ihren Händen allmählig zu einem Syſtem von Anſtalten, das wir das Realſchulſyſtem nennen können. Damit hat nun die wirth- ſchaftliche Bildung aber auch die beiden großen Formen der gelehrten gewonnen. Es gibt jetzt auf Grundlage der Cameralwiſſenſchaften ein wirthſchaftliches Fachbildungs-, auf Grundlage der Realſchulen ein wirth- ſchaftliches Vorbildungsweſen. Beide ſind von der Idee durchdrungen, daß Kapital und Erwerb mächtige ſociale Faktoren ſind, daß beide nicht bloß wirthſchaftliche Zwecke, ſondern die Erfüllung eines Lebensberufes enthalten, der ſich jetzt dem gelehrten als gleichberechtigt an die Seite ſtellt. Der weitere Ausbau dieſer beiden Elemente geht nun langſam, aber ſicher vor ſich; er iſt in der Form und in dem Maße ſeiner Ent- wicklung in den einzelnen Staaten verſchieden, aber er iſt allenthalben gleich in ſeinem Princip; und indem dieſes weite, einer größern Ent- faltung ſeiner einzelnen Momente entgegen gehende Bildungsgebiet ſomit eine allgemeine Aufgabe des Staatslebens wird, entſteht jetzt auch die Forderung, ein öffentliches Recht deſſelben aufzuſtellen und es vermöge

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/271>, abgerufen am 10.05.2024.