zeigt, daß mit der höheren Aufgabe die Fähigkeit der Lösung selbst für rein praktische Zwecke wächst und die Befruchtung des jungen Geistes mit höheren Gesichtspunkten auch für das praktische Leben thatsächlich bessere Erfolge mit sich bringt, als die Erlernung von Positivem, die stets ohne große Mühe nachgeholt werden kann. Die Unterordnung der classischen unter die wirthschaftliche Vorbildung würde daneben wieder einen Stand ausschließlich classisch Gebildeter erzeugen, was ein definitiver Rückschritt wäre. Es ist daher keine Frage, daß grundsätzlich die classische Vorbildung auf den Gymnasien die Grundlage bilden muß, und daß die praktischen Vorbildungen auf demselben nur so weit Platz greifen darf, als sie die gründliche classische Vorbildung nicht beeinträchtigt. Die Gränze muß von den Pädagogen gesetzt und von den verwaltungsrechtlichen Studienordnungen zur öffentlichen Geltung erhoben werden. Auf dieser Grundlage ist die Studien- ordnung des wissenschaftlichen Vorbildungswesens festzu- stellen; in demselben aber formell der Uebergang zu den Realschulen stets dem Einzelnen offen zu halten.
Man kann nun wohl sagen, daß im Großen und Ganzen mit diesem Ergebniß die zweite Gestalt der Gymnasialfrage abgeschlossen hat. Allein sie selbst ist damit nicht erledigt, und namentlich die Verwaltungs- lehre darf bei ihr nicht stehen bleiben, da sie vor allem berufen ist, die Gymnasien nicht etwa bloß als eine Bildungsanstalt für sich, sondern eben als Glied des Ganzen, als ein bestimmtes Organ des sich selber bildenden Geistes der Gemeinschaft aufzufassen.
Indem nämlich durch die möglichste Verbindung der allgemeinen Bildung mit der humanistischen das Gymnasium seine innere Verwandt- schaft mit der Gesittung im ganzen Volksgeiste bethätigt, tritt es zu- gleich aus seiner beschränkten Stellung als rein classische Vorbildungs- anstalt hinaus, und es wird nothwendig, in seinem Lehrplan das Princip des Ueberganges nach unten und oben zum Ausdruck zu bringen. Damit entsteht die Aufgabe, demselben diejenige Erweiterung zu geben, mit der es sich einerseits der höheren Bürgerschule nähert, andererseits den beschränkten Charakter als Vorbereitung speciell für die Universität verliert und wieder eine Stellung als Bildungsanstalt für die allgemeine höhere Bildung derjenigen einnimmt, welche nicht gerade in der Lage sind, die Universität benutzen zu können. Die Gymnasial- frage der neuesten Zeit besteht demnach nicht mehr in der Frage nach dem Verhältniß der Humaniora zu den praktischen Fächern, sondern speciell in der Frage nach dem Verhältniß der Gymnasialbildung zum allgemeinen Bildungssystem. Und diese Frage ist bis jetzt erst nach einer Seite hin entschieden.
zeigt, daß mit der höheren Aufgabe die Fähigkeit der Löſung ſelbſt für rein praktiſche Zwecke wächst und die Befruchtung des jungen Geiſtes mit höheren Geſichtspunkten auch für das praktiſche Leben thatſächlich beſſere Erfolge mit ſich bringt, als die Erlernung von Poſitivem, die ſtets ohne große Mühe nachgeholt werden kann. Die Unterordnung der claſſiſchen unter die wirthſchaftliche Vorbildung würde daneben wieder einen Stand ausſchließlich claſſiſch Gebildeter erzeugen, was ein definitiver Rückſchritt wäre. Es iſt daher keine Frage, daß grundſätzlich die claſſiſche Vorbildung auf den Gymnaſien die Grundlage bilden muß, und daß die praktiſchen Vorbildungen auf demſelben nur ſo weit Platz greifen darf, als ſie die gründliche claſſiſche Vorbildung nicht beeinträchtigt. Die Gränze muß von den Pädagogen geſetzt und von den verwaltungsrechtlichen Studienordnungen zur öffentlichen Geltung erhoben werden. Auf dieſer Grundlage iſt die Studien- ordnung des wiſſenſchaftlichen Vorbildungsweſens feſtzu- ſtellen; in demſelben aber formell der Uebergang zu den Realſchulen ſtets dem Einzelnen offen zu halten.
Man kann nun wohl ſagen, daß im Großen und Ganzen mit dieſem Ergebniß die zweite Geſtalt der Gymnaſialfrage abgeſchloſſen hat. Allein ſie ſelbſt iſt damit nicht erledigt, und namentlich die Verwaltungs- lehre darf bei ihr nicht ſtehen bleiben, da ſie vor allem berufen iſt, die Gymnaſien nicht etwa bloß als eine Bildungsanſtalt für ſich, ſondern eben als Glied des Ganzen, als ein beſtimmtes Organ des ſich ſelber bildenden Geiſtes der Gemeinſchaft aufzufaſſen.
Indem nämlich durch die möglichſte Verbindung der allgemeinen Bildung mit der humaniſtiſchen das Gymnaſium ſeine innere Verwandt- ſchaft mit der Geſittung im ganzen Volksgeiſte bethätigt, tritt es zu- gleich aus ſeiner beſchränkten Stellung als rein claſſiſche Vorbildungs- anſtalt hinaus, und es wird nothwendig, in ſeinem Lehrplan das Princip des Ueberganges nach unten und oben zum Ausdruck zu bringen. Damit entſteht die Aufgabe, demſelben diejenige Erweiterung zu geben, mit der es ſich einerſeits der höheren Bürgerſchule nähert, andererſeits den beſchränkten Charakter als Vorbereitung ſpeciell für die Univerſität verliert und wieder eine Stellung als Bildungsanſtalt für die allgemeine höhere Bildung derjenigen einnimmt, welche nicht gerade in der Lage ſind, die Univerſität benutzen zu können. Die Gymnaſial- frage der neueſten Zeit beſteht demnach nicht mehr in der Frage nach dem Verhältniß der Humaniora zu den praktiſchen Fächern, ſondern ſpeciell in der Frage nach dem Verhältniß der Gymnaſialbildung zum allgemeinen Bildungsſyſtem. Und dieſe Frage iſt bis jetzt erſt nach einer Seite hin entſchieden.
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zeigt, daß mit der höheren Aufgabe die Fähigkeit der Löſung ſelbſt für
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mit höheren Geſichtspunkten auch für das praktiſche Leben thatſächlich
beſſere Erfolge mit ſich bringt, als die Erlernung von Poſitivem, die
ſtets ohne große Mühe nachgeholt werden kann. Die Unterordnung der
claſſiſchen unter die wirthſchaftliche Vorbildung würde daneben wieder einen
Stand ausſchließlich claſſiſch Gebildeter erzeugen, was ein definitiver
Rückſchritt wäre. Es iſt daher keine Frage, daß grundſätzlich die
claſſiſche Vorbildung auf den Gymnaſien die Grundlage
bilden muß, und daß die praktiſchen Vorbildungen auf demſelben nur
ſo weit Platz greifen darf, als ſie die gründliche claſſiſche Vorbildung
nicht beeinträchtigt. Die Gränze muß von den Pädagogen geſetzt
und von den verwaltungsrechtlichen Studienordnungen zur öffentlichen
Geltung erhoben werden. Auf dieſer Grundlage iſt die Studien-
ordnung des wiſſenſchaftlichen Vorbildungsweſens feſtzu-
ſtellen; in demſelben aber formell der Uebergang zu den Realſchulen
ſtets dem Einzelnen offen zu halten.
Man kann nun wohl ſagen, daß im Großen und Ganzen mit
dieſem Ergebniß die zweite Geſtalt der Gymnaſialfrage abgeſchloſſen hat.
Allein ſie ſelbſt iſt damit nicht erledigt, und namentlich die Verwaltungs-
lehre darf bei ihr nicht ſtehen bleiben, da ſie vor allem berufen iſt,
die Gymnaſien nicht etwa bloß als eine Bildungsanſtalt für ſich,
ſondern eben als Glied des Ganzen, als ein beſtimmtes Organ des
ſich ſelber bildenden Geiſtes der Gemeinſchaft aufzufaſſen.
Indem nämlich durch die möglichſte Verbindung der allgemeinen
Bildung mit der humaniſtiſchen das Gymnaſium ſeine innere Verwandt-
ſchaft mit der Geſittung im ganzen Volksgeiſte bethätigt, tritt es zu-
gleich aus ſeiner beſchränkten Stellung als rein claſſiſche Vorbildungs-
anſtalt hinaus, und es wird nothwendig, in ſeinem Lehrplan das
Princip des Ueberganges nach unten und oben zum Ausdruck zu
bringen. Damit entſteht die Aufgabe, demſelben diejenige Erweiterung
zu geben, mit der es ſich einerſeits der höheren Bürgerſchule nähert,
andererſeits den beſchränkten Charakter als Vorbereitung ſpeciell für die
Univerſität verliert und wieder eine Stellung als Bildungsanſtalt für
die allgemeine höhere Bildung derjenigen einnimmt, welche nicht gerade
in der Lage ſind, die Univerſität benutzen zu können. Die Gymnaſial-
frage der neueſten Zeit beſteht demnach nicht mehr in der Frage nach
dem Verhältniß der Humaniora zu den praktiſchen Fächern, ſondern
ſpeciell in der Frage nach dem Verhältniß der Gymnaſialbildung zum
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/232>, abgerufen am 16.02.2025.
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