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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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wand zwischen den beiden großen Vorbildungsanstalten damit aufgehoben
werden solle. Und diese Verbindung der realen Bildung, der Bil-
dung für das Leben mit der classischen Vorbildung innerhalb der
Gymnasien
ist nun die Gymnasialfrage des gegenwärtigen Jahr-
hunderts.

Natürlich konnte dieser Streit, da die Gymnasien Staatsanstalten
waren und bleiben sollten, nicht bloß ein theoretischer sein, sondern er
griff auf das Tiefste auch in das öffentliche Recht der Gymnasien selbst
hinein, und die Verwaltung -- mit ihr die Verwaltungslehre -- muß
ihm gegenüber eine bestimmte Stellung einnehmen. Es ist aber um so
nothwendiger, die letzte zu bezeichnen, als der Streit selbst der Staats-
wissenschaft ganz aus den Händen entglitten und ein rein pädagogischer
geworden ist, wodurch er zwar an Tiefe und Gründlichkeit in allem
Einzelnen gewonnen, an richtigem Ueberblick des Verhältnisses zum
Ganzen aber verloren hat.

Der Standpunkt der Verwaltungslehre als Lehre vom Bildungs-
wesen ist nun wie es scheint, ein einfacher und klarer.

Wenn die lateinische und griechische Sprache als Hauptgegenstand
der Gymnasien wirklich nichts anderes wären als Vorbildung für die
einzelnen Fächer auf der Universität, so würden sie nicht berechtigt sein,
die bildungsfähigste Lebenszeit des Menschen unter dem Namen der
classischen Bildung auszufüllen. Die Verwaltung müßte daher von
diesem Standpunkt die Classicität auf das äußerste Maß der wirklich
nothwendigen Spracherlernung zurückführen. Allein jenes erstere ist
eben nicht der Fall. Seit namentlich F. A. Wolf in dem Studium
der Classiker die Quelle der höheren geistigen Bildung und Entwicklung
überhaupt wieder gefunden hat, seit damit der Begriff und das Ver-
ständniß der "humanistischen Bildung" an die Stelle der "gelehrten"
getreten ist, sind die alten Sprachen das geworden, was sie sein sollen,
das Medium, durch welches das classische Leben in dem Leben unsrer
Zeit lebendig erhalten, und das Edelste der großen Vergangenheit zu
einem integrirenden Theil unsres gegenwärtigen Lebens erhoben wird.
Der Unterschied des Gymnasiums des 19. von dem des 18. Jahr-
hunderts besteht demnach darin, daß die classischen Sprachen nicht mehr
als ein selbständiger Zweck, nicht mehr als das Ziel und der Inhalt
der höheren Bildung, sondern nur als das allerdings einzige
Mittel derselben erkannt werden
. Es ist unmöglich, in diesem
Sinne sie durch etwas vollständig zu ersetzen, das nichts als die Vor-
übung für einen positiven, wirthschaftlich nützlichen Zweck
enthält
. Wir müssen das als im tieferen Wesen des geistigen Lebens
liegend anerkennen. Wir müssen das um so mehr, als die Erfahrung

wand zwiſchen den beiden großen Vorbildungsanſtalten damit aufgehoben
werden ſolle. Und dieſe Verbindung der realen Bildung, der Bil-
dung für das Leben mit der claſſiſchen Vorbildung innerhalb der
Gymnaſien
iſt nun die Gymnaſialfrage des gegenwärtigen Jahr-
hunderts.

Natürlich konnte dieſer Streit, da die Gymnaſien Staatsanſtalten
waren und bleiben ſollten, nicht bloß ein theoretiſcher ſein, ſondern er
griff auf das Tiefſte auch in das öffentliche Recht der Gymnaſien ſelbſt
hinein, und die Verwaltung — mit ihr die Verwaltungslehre — muß
ihm gegenüber eine beſtimmte Stellung einnehmen. Es iſt aber um ſo
nothwendiger, die letzte zu bezeichnen, als der Streit ſelbſt der Staats-
wiſſenſchaft ganz aus den Händen entglitten und ein rein pädagogiſcher
geworden iſt, wodurch er zwar an Tiefe und Gründlichkeit in allem
Einzelnen gewonnen, an richtigem Ueberblick des Verhältniſſes zum
Ganzen aber verloren hat.

Der Standpunkt der Verwaltungslehre als Lehre vom Bildungs-
weſen iſt nun wie es ſcheint, ein einfacher und klarer.

Wenn die lateiniſche und griechiſche Sprache als Hauptgegenſtand
der Gymnaſien wirklich nichts anderes wären als Vorbildung für die
einzelnen Fächer auf der Univerſität, ſo würden ſie nicht berechtigt ſein,
die bildungsfähigſte Lebenszeit des Menſchen unter dem Namen der
claſſiſchen Bildung auszufüllen. Die Verwaltung müßte daher von
dieſem Standpunkt die Claſſicität auf das äußerſte Maß der wirklich
nothwendigen Spracherlernung zurückführen. Allein jenes erſtere iſt
eben nicht der Fall. Seit namentlich F. A. Wolf in dem Studium
der Claſſiker die Quelle der höheren geiſtigen Bildung und Entwicklung
überhaupt wieder gefunden hat, ſeit damit der Begriff und das Ver-
ſtändniß der „humaniſtiſchen Bildung“ an die Stelle der „gelehrten“
getreten iſt, ſind die alten Sprachen das geworden, was ſie ſein ſollen,
das Medium, durch welches das claſſiſche Leben in dem Leben unſrer
Zeit lebendig erhalten, und das Edelſte der großen Vergangenheit zu
einem integrirenden Theil unſres gegenwärtigen Lebens erhoben wird.
Der Unterſchied des Gymnaſiums des 19. von dem des 18. Jahr-
hunderts beſteht demnach darin, daß die claſſiſchen Sprachen nicht mehr
als ein ſelbſtändiger Zweck, nicht mehr als das Ziel und der Inhalt
der höheren Bildung, ſondern nur als das allerdings einzige
Mittel derſelben erkannt werden
. Es iſt unmöglich, in dieſem
Sinne ſie durch etwas vollſtändig zu erſetzen, das nichts als die Vor-
übung für einen poſitiven, wirthſchaftlich nützlichen Zweck
enthält
. Wir müſſen das als im tieferen Weſen des geiſtigen Lebens
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[203/0231] wand zwiſchen den beiden großen Vorbildungsanſtalten damit aufgehoben werden ſolle. Und dieſe Verbindung der realen Bildung, der Bil- dung für das Leben mit der claſſiſchen Vorbildung innerhalb der Gymnaſien iſt nun die Gymnaſialfrage des gegenwärtigen Jahr- hunderts. Natürlich konnte dieſer Streit, da die Gymnaſien Staatsanſtalten waren und bleiben ſollten, nicht bloß ein theoretiſcher ſein, ſondern er griff auf das Tiefſte auch in das öffentliche Recht der Gymnaſien ſelbſt hinein, und die Verwaltung — mit ihr die Verwaltungslehre — muß ihm gegenüber eine beſtimmte Stellung einnehmen. Es iſt aber um ſo nothwendiger, die letzte zu bezeichnen, als der Streit ſelbſt der Staats- wiſſenſchaft ganz aus den Händen entglitten und ein rein pädagogiſcher geworden iſt, wodurch er zwar an Tiefe und Gründlichkeit in allem Einzelnen gewonnen, an richtigem Ueberblick des Verhältniſſes zum Ganzen aber verloren hat. Der Standpunkt der Verwaltungslehre als Lehre vom Bildungs- weſen iſt nun wie es ſcheint, ein einfacher und klarer. Wenn die lateiniſche und griechiſche Sprache als Hauptgegenſtand der Gymnaſien wirklich nichts anderes wären als Vorbildung für die einzelnen Fächer auf der Univerſität, ſo würden ſie nicht berechtigt ſein, die bildungsfähigſte Lebenszeit des Menſchen unter dem Namen der claſſiſchen Bildung auszufüllen. Die Verwaltung müßte daher von dieſem Standpunkt die Claſſicität auf das äußerſte Maß der wirklich nothwendigen Spracherlernung zurückführen. Allein jenes erſtere iſt eben nicht der Fall. Seit namentlich F. A. Wolf in dem Studium der Claſſiker die Quelle der höheren geiſtigen Bildung und Entwicklung überhaupt wieder gefunden hat, ſeit damit der Begriff und das Ver- ſtändniß der „humaniſtiſchen Bildung“ an die Stelle der „gelehrten“ getreten iſt, ſind die alten Sprachen das geworden, was ſie ſein ſollen, das Medium, durch welches das claſſiſche Leben in dem Leben unſrer Zeit lebendig erhalten, und das Edelſte der großen Vergangenheit zu einem integrirenden Theil unſres gegenwärtigen Lebens erhoben wird. Der Unterſchied des Gymnaſiums des 19. von dem des 18. Jahr- hunderts beſteht demnach darin, daß die claſſiſchen Sprachen nicht mehr als ein ſelbſtändiger Zweck, nicht mehr als das Ziel und der Inhalt der höheren Bildung, ſondern nur als das allerdings einzige Mittel derſelben erkannt werden. Es iſt unmöglich, in dieſem Sinne ſie durch etwas vollſtändig zu erſetzen, das nichts als die Vor- übung für einen poſitiven, wirthſchaftlich nützlichen Zweck enthält. Wir müſſen das als im tieferen Weſen des geiſtigen Lebens liegend anerkennen. Wir müſſen das um ſo mehr, als die Erfahrung

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/231>, abgerufen am 22.11.2024.