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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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im Princip dagegen schon sehr bestimmte Gegensatz bildet den Charakter
des achtzehnten Jahrhunderts. Es ist die erste Form der "Gymnasial-
frage" entschieden als Ausweisung der praktischen Vorbildung aus
den Gymnasien und Erhaltung ihrer classischen Aufgabe, durch welche
dann die wirthschaftliche Berufsbildung des neunzehnten Jahrhunderts
selbständig sich entwickelt. Die fast ausschließliche Beziehung dieses ganzen
Gegensatzes auf die lateinische Sprache war nicht, wie der Inhalt
des obigen glauben machen möchte, die Hauptsache, sondern nur das
Symptom der eigentlichen Gegensätze; denn in der Erlernung dieser
Sprache culminirte nur die classische Bildung im Gegensatz zur gewerb-
lichen; das Princip der ersteren ging vielmehr weiter und das zeigte
nun das neunzehnte Jahrhundert mit seiner gegenwärtigen Gestalt
der "Gymnasialfrage."

Während nämlich in der obigen Weise sich die wirthschaftliche Be-
rufsbildung neben die classische stellt, bleibt doch die letztere noch
immer die höhere. Unterdeß aber gewinnt das wirthschaftliche Leben
immer größere Bedeutung und zugleich fallen mit dem neunzehnten Jahr-
hundert die alten ständischen Schranken zwischen den verschiedenen Lebens-
berufen. Der Maßstab, den in Folge dessen das öffentliche Bewußt-
sein an die Bildung überhaupt legt, wird ein für alle Zweige der-
selben gemeinsamer; die wirthschaftlichen Aufgaben treten in die Sphäre
des "Berufes" mit ein und der Ausdruck dieser hochwichtigen Thatsache
ist die Forderung, daß die Bildung auf allen Punkten die Fähigkeit
enthalten und erzeugen müsse, die jungen Männer für jeden Beruf
fähig zu machen, oder, wie man zu sagen pflegte, daß die Bildung
überhaupt, also speciell auch Vorbildung, eine "Bildung für das Leben"
und seine Bedürfnisse sein müsse. Nun erschien in der That das bis-
herige System der classischen Vorbildung dafür nicht geeignet. Obwohl
es als die höchste Vorbildung galt, bot es mit seiner fast ausschließlichen
Beschränkung auf das classische Alterthum, doch wie es schien jene
Vorbildung "für das Leben" nicht, welche die Zeit forderte, während
andererseits die zu immer größerer Bedeutung herangewachsene Real-
bildung wieder unfähig erschien, das abstracte höhere Element der
ethischen Bildung zu verleihen. So entstand einerseits aufs neue der
Kampf gegen das bisherige Gymnasialwesen als classisches Vorbildungs-
wesen; dießmal aber nicht mehr wie im achtzehnten Jahrhundert, um
die classische Vorbildung durch die reale wo möglich zu verdrängen und
zu ersetzen, da man recht gut einsah, daß dieß unmöglich sei, so lange
es noch wissenschaftliche Fachbildung gebe, die am Ende niemand läug-
nete; sondern vielmehr in dem Sinne, daß die reale Bildung so weit
als möglich in die classische aufgenommen und die zu strenge Scheide-

im Princip dagegen ſchon ſehr beſtimmte Gegenſatz bildet den Charakter
des achtzehnten Jahrhunderts. Es iſt die erſte Form der „Gymnaſial-
frage“ entſchieden als Ausweiſung der praktiſchen Vorbildung aus
den Gymnaſien und Erhaltung ihrer claſſiſchen Aufgabe, durch welche
dann die wirthſchaftliche Berufsbildung des neunzehnten Jahrhunderts
ſelbſtändig ſich entwickelt. Die faſt ausſchließliche Beziehung dieſes ganzen
Gegenſatzes auf die lateiniſche Sprache war nicht, wie der Inhalt
des obigen glauben machen möchte, die Hauptſache, ſondern nur das
Symptom der eigentlichen Gegenſätze; denn in der Erlernung dieſer
Sprache culminirte nur die claſſiſche Bildung im Gegenſatz zur gewerb-
lichen; das Princip der erſteren ging vielmehr weiter und das zeigte
nun das neunzehnte Jahrhundert mit ſeiner gegenwärtigen Geſtalt
der „Gymnaſialfrage.“

Während nämlich in der obigen Weiſe ſich die wirthſchaftliche Be-
rufsbildung neben die claſſiſche ſtellt, bleibt doch die letztere noch
immer die höhere. Unterdeß aber gewinnt das wirthſchaftliche Leben
immer größere Bedeutung und zugleich fallen mit dem neunzehnten Jahr-
hundert die alten ſtändiſchen Schranken zwiſchen den verſchiedenen Lebens-
berufen. Der Maßſtab, den in Folge deſſen das öffentliche Bewußt-
ſein an die Bildung überhaupt legt, wird ein für alle Zweige der-
ſelben gemeinſamer; die wirthſchaftlichen Aufgaben treten in die Sphäre
des „Berufes“ mit ein und der Ausdruck dieſer hochwichtigen Thatſache
iſt die Forderung, daß die Bildung auf allen Punkten die Fähigkeit
enthalten und erzeugen müſſe, die jungen Männer für jeden Beruf
fähig zu machen, oder, wie man zu ſagen pflegte, daß die Bildung
überhaupt, alſo ſpeciell auch Vorbildung, eine „Bildung für das Leben“
und ſeine Bedürfniſſe ſein müſſe. Nun erſchien in der That das bis-
herige Syſtem der claſſiſchen Vorbildung dafür nicht geeignet. Obwohl
es als die höchſte Vorbildung galt, bot es mit ſeiner faſt ausſchließlichen
Beſchränkung auf das claſſiſche Alterthum, doch wie es ſchien jene
Vorbildung „für das Leben“ nicht, welche die Zeit forderte, während
andererſeits die zu immer größerer Bedeutung herangewachſene Real-
bildung wieder unfähig erſchien, das abſtracte höhere Element der
ethiſchen Bildung zu verleihen. So entſtand einerſeits aufs neue der
Kampf gegen das bisherige Gymnaſialweſen als claſſiſches Vorbildungs-
weſen; dießmal aber nicht mehr wie im achtzehnten Jahrhundert, um
die claſſiſche Vorbildung durch die reale wo möglich zu verdrängen und
zu erſetzen, da man recht gut einſah, daß dieß unmöglich ſei, ſo lange
es noch wiſſenſchaftliche Fachbildung gebe, die am Ende niemand läug-
nete; ſondern vielmehr in dem Sinne, daß die reale Bildung ſo weit
als möglich in die claſſiſche aufgenommen und die zu ſtrenge Scheide-

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[202/0230] im Princip dagegen ſchon ſehr beſtimmte Gegenſatz bildet den Charakter des achtzehnten Jahrhunderts. Es iſt die erſte Form der „Gymnaſial- frage“ entſchieden als Ausweiſung der praktiſchen Vorbildung aus den Gymnaſien und Erhaltung ihrer claſſiſchen Aufgabe, durch welche dann die wirthſchaftliche Berufsbildung des neunzehnten Jahrhunderts ſelbſtändig ſich entwickelt. Die faſt ausſchließliche Beziehung dieſes ganzen Gegenſatzes auf die lateiniſche Sprache war nicht, wie der Inhalt des obigen glauben machen möchte, die Hauptſache, ſondern nur das Symptom der eigentlichen Gegenſätze; denn in der Erlernung dieſer Sprache culminirte nur die claſſiſche Bildung im Gegenſatz zur gewerb- lichen; das Princip der erſteren ging vielmehr weiter und das zeigte nun das neunzehnte Jahrhundert mit ſeiner gegenwärtigen Geſtalt der „Gymnaſialfrage.“ Während nämlich in der obigen Weiſe ſich die wirthſchaftliche Be- rufsbildung neben die claſſiſche ſtellt, bleibt doch die letztere noch immer die höhere. Unterdeß aber gewinnt das wirthſchaftliche Leben immer größere Bedeutung und zugleich fallen mit dem neunzehnten Jahr- hundert die alten ſtändiſchen Schranken zwiſchen den verſchiedenen Lebens- berufen. Der Maßſtab, den in Folge deſſen das öffentliche Bewußt- ſein an die Bildung überhaupt legt, wird ein für alle Zweige der- ſelben gemeinſamer; die wirthſchaftlichen Aufgaben treten in die Sphäre des „Berufes“ mit ein und der Ausdruck dieſer hochwichtigen Thatſache iſt die Forderung, daß die Bildung auf allen Punkten die Fähigkeit enthalten und erzeugen müſſe, die jungen Männer für jeden Beruf fähig zu machen, oder, wie man zu ſagen pflegte, daß die Bildung überhaupt, alſo ſpeciell auch Vorbildung, eine „Bildung für das Leben“ und ſeine Bedürfniſſe ſein müſſe. Nun erſchien in der That das bis- herige Syſtem der claſſiſchen Vorbildung dafür nicht geeignet. Obwohl es als die höchſte Vorbildung galt, bot es mit ſeiner faſt ausſchließlichen Beſchränkung auf das claſſiſche Alterthum, doch wie es ſchien jene Vorbildung „für das Leben“ nicht, welche die Zeit forderte, während andererſeits die zu immer größerer Bedeutung herangewachſene Real- bildung wieder unfähig erſchien, das abſtracte höhere Element der ethiſchen Bildung zu verleihen. So entſtand einerſeits aufs neue der Kampf gegen das bisherige Gymnaſialweſen als claſſiſches Vorbildungs- weſen; dießmal aber nicht mehr wie im achtzehnten Jahrhundert, um die claſſiſche Vorbildung durch die reale wo möglich zu verdrängen und zu erſetzen, da man recht gut einſah, daß dieß unmöglich ſei, ſo lange es noch wiſſenſchaftliche Fachbildung gebe, die am Ende niemand läug- nete; ſondern vielmehr in dem Sinne, daß die reale Bildung ſo weit als möglich in die claſſiſche aufgenommen und die zu ſtrenge Scheide-

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/230>, abgerufen am 22.11.2024.