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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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(Art. 8) die Ernennung einseitig dem Prefet überträgt. Damit ist die
völlige Abhängigkeit des Lehrers und die Aufhebung der Gemeinderechte
endlich vollzogen; wenig hat daneben das Recht der Gemeinde zu be-
deuten, einen Wunsch darüber zu äußern, ob der vom Prefet ernannte
Lehrer weltlich oder geistlich sein soll (Decret vom 31. Oktober 1854).
Ein Lehrerstand ist auf dieser Grundlage in Frankreich unmöglich;
mit ihm eine tüchtige Volksbildung.

4) Indessen ist für die Lehrerbildung Einiges geschehen, wäh-
rend die Bedingungen eines selbständigen Charakters dem Lehrer
durch die obigen Rechtsordnungen gänzlich entzogen sind. Freilich sind
die Schulbücher (livres classiques) unter die strengste Controle ge-
stellt und natürlich die Lehre auch; allein man hat denn doch in den
Ecoles normales primaires den Anfang von Schullehrerseminarien ge-
macht (Reglement vom 21. März 1851), ohne daß jedoch die Seminar-
bildung nothwendig erklärt wäre für die Befähigung zur Lehre;
dazu genügt einfach ein brevet de capacite, welches von einer Com-
mission des Conseil departemental, dem Reste der alten Jury, nach einer
höchst unbedeutenden Prüfung ausgestellt werden (Rechnen, Schreiben,
Lesen, die Elemente der französischen Sprachlehre und -- das Maß-
und Gewichtssystem! Gesetz von 1850, Art. 13). Doch können die
Candidaten sich auch über andere Gegenstände prüfen lassen (Art. 46).
Uebrigens ist selbst diese Prüfung und das Zeugniß nicht einmal noth-
wendig; es genügt schon dreijähriger Dienst als Hülfslehrer ("stage"
Art. 43. 25). Das geistige Element der Lehrerbildung ist damit na-
türlich so gut als überflüssig erklärt. Von einem Lehrkörper oder
gar von Lehrerversammlungen ist natürlich dabei gar keine Rede.

Dieß sind die Grundlagen des Rechts der öffentlichen Volksschulen
der Instruction primaire in Frankreich. Die natürliche Folge davon ist
die, daß die besitzende Klasse sich so weit als möglich denselben entzieht
und ein eigenes System des Elementarunterrichts bildet. Dasselbe be-
steht aus den Ecoles libres und den Pensionnats.

B) Die Ecoles libres sind ihrem Princip nach eben so wie die Pen-
sionnats,
was sie in England sind, gewerbliche Unternehmungen für den
Unterricht, während sie ihrem Rechte nach dennoch im Geiste aller fran-
zösischen Verwaltung der Oberaufsicht der Behörden unterworfen bleiben.
Im ersten Sinne sind sie frei, und mußten es um so mehr sein, als
die geistlichen Körperschaften, um sich der staatlichen Gewalt der Ecoles
publiques
zu entziehen, eigene Elementarschulen und Erziehungsanstalten
gründeten. Das Verhältniß der Behörden zu denselben hat aber dem
ganzen Gange des Volksschulwesens analog drei Hauptepochen durch-
gemacht. Die erste Epoche geht bis 1833 und erlaubt gegen Autorisation

(Art. 8) die Ernennung einſeitig dem Préfet überträgt. Damit iſt die
völlige Abhängigkeit des Lehrers und die Aufhebung der Gemeinderechte
endlich vollzogen; wenig hat daneben das Recht der Gemeinde zu be-
deuten, einen Wunſch darüber zu äußern, ob der vom Préfet ernannte
Lehrer weltlich oder geiſtlich ſein ſoll (Decret vom 31. Oktober 1854).
Ein Lehrerſtand iſt auf dieſer Grundlage in Frankreich unmöglich;
mit ihm eine tüchtige Volksbildung.

4) Indeſſen iſt für die Lehrerbildung Einiges geſchehen, wäh-
rend die Bedingungen eines ſelbſtändigen Charakters dem Lehrer
durch die obigen Rechtsordnungen gänzlich entzogen ſind. Freilich ſind
die Schulbücher (livres classiques) unter die ſtrengſte Controle ge-
ſtellt und natürlich die Lehre auch; allein man hat denn doch in den
Écoles normales primaires den Anfang von Schullehrerſeminarien ge-
macht (Reglement vom 21. März 1851), ohne daß jedoch die Seminar-
bildung nothwendig erklärt wäre für die Befähigung zur Lehre;
dazu genügt einfach ein brévet de capacité, welches von einer Com-
miſſion des Conseil départemental, dem Reſte der alten Jury, nach einer
höchſt unbedeutenden Prüfung ausgeſtellt werden (Rechnen, Schreiben,
Leſen, die Elemente der franzöſiſchen Sprachlehre und — das Maß-
und Gewichtsſyſtem! Geſetz von 1850, Art. 13). Doch können die
Candidaten ſich auch über andere Gegenſtände prüfen laſſen (Art. 46).
Uebrigens iſt ſelbſt dieſe Prüfung und das Zeugniß nicht einmal noth-
wendig; es genügt ſchon dreijähriger Dienſt als Hülfslehrer („stage“
Art. 43. 25). Das geiſtige Element der Lehrerbildung iſt damit na-
türlich ſo gut als überflüſſig erklärt. Von einem Lehrkörper oder
gar von Lehrerverſammlungen iſt natürlich dabei gar keine Rede.

Dieß ſind die Grundlagen des Rechts der öffentlichen Volksſchulen
der Instruction primaire in Frankreich. Die natürliche Folge davon iſt
die, daß die beſitzende Klaſſe ſich ſo weit als möglich denſelben entzieht
und ein eigenes Syſtem des Elementarunterrichts bildet. Daſſelbe be-
ſteht aus den Écoles libres und den Pensionnats.

B) Die Écoles libres ſind ihrem Princip nach eben ſo wie die Pen-
sionnats,
was ſie in England ſind, gewerbliche Unternehmungen für den
Unterricht, während ſie ihrem Rechte nach dennoch im Geiſte aller fran-
zöſiſchen Verwaltung der Oberaufſicht der Behörden unterworfen bleiben.
Im erſten Sinne ſind ſie frei, und mußten es um ſo mehr ſein, als
die geiſtlichen Körperſchaften, um ſich der ſtaatlichen Gewalt der Écoles
publiques
zu entziehen, eigene Elementarſchulen und Erziehungsanſtalten
gründeten. Das Verhältniß der Behörden zu denſelben hat aber dem
ganzen Gange des Volksſchulweſens analog drei Hauptepochen durch-
gemacht. Die erſte Epoche geht bis 1833 und erlaubt gegen Autoriſation

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[105/0133] (Art. 8) die Ernennung einſeitig dem Préfet überträgt. Damit iſt die völlige Abhängigkeit des Lehrers und die Aufhebung der Gemeinderechte endlich vollzogen; wenig hat daneben das Recht der Gemeinde zu be- deuten, einen Wunſch darüber zu äußern, ob der vom Préfet ernannte Lehrer weltlich oder geiſtlich ſein ſoll (Decret vom 31. Oktober 1854). Ein Lehrerſtand iſt auf dieſer Grundlage in Frankreich unmöglich; mit ihm eine tüchtige Volksbildung. 4) Indeſſen iſt für die Lehrerbildung Einiges geſchehen, wäh- rend die Bedingungen eines ſelbſtändigen Charakters dem Lehrer durch die obigen Rechtsordnungen gänzlich entzogen ſind. Freilich ſind die Schulbücher (livres classiques) unter die ſtrengſte Controle ge- ſtellt und natürlich die Lehre auch; allein man hat denn doch in den Écoles normales primaires den Anfang von Schullehrerſeminarien ge- macht (Reglement vom 21. März 1851), ohne daß jedoch die Seminar- bildung nothwendig erklärt wäre für die Befähigung zur Lehre; dazu genügt einfach ein brévet de capacité, welches von einer Com- miſſion des Conseil départemental, dem Reſte der alten Jury, nach einer höchſt unbedeutenden Prüfung ausgeſtellt werden (Rechnen, Schreiben, Leſen, die Elemente der franzöſiſchen Sprachlehre und — das Maß- und Gewichtsſyſtem! Geſetz von 1850, Art. 13). Doch können die Candidaten ſich auch über andere Gegenſtände prüfen laſſen (Art. 46). Uebrigens iſt ſelbſt dieſe Prüfung und das Zeugniß nicht einmal noth- wendig; es genügt ſchon dreijähriger Dienſt als Hülfslehrer („stage“ Art. 43. 25). Das geiſtige Element der Lehrerbildung iſt damit na- türlich ſo gut als überflüſſig erklärt. Von einem Lehrkörper oder gar von Lehrerverſammlungen iſt natürlich dabei gar keine Rede. Dieß ſind die Grundlagen des Rechts der öffentlichen Volksſchulen der Instruction primaire in Frankreich. Die natürliche Folge davon iſt die, daß die beſitzende Klaſſe ſich ſo weit als möglich denſelben entzieht und ein eigenes Syſtem des Elementarunterrichts bildet. Daſſelbe be- ſteht aus den Écoles libres und den Pensionnats. B) Die Écoles libres ſind ihrem Princip nach eben ſo wie die Pen- sionnats, was ſie in England ſind, gewerbliche Unternehmungen für den Unterricht, während ſie ihrem Rechte nach dennoch im Geiſte aller fran- zöſiſchen Verwaltung der Oberaufſicht der Behörden unterworfen bleiben. Im erſten Sinne ſind ſie frei, und mußten es um ſo mehr ſein, als die geiſtlichen Körperſchaften, um ſich der ſtaatlichen Gewalt der Écoles publiques zu entziehen, eigene Elementarſchulen und Erziehungsanſtalten gründeten. Das Verhältniß der Behörden zu denſelben hat aber dem ganzen Gange des Volksſchulweſens analog drei Hauptepochen durch- gemacht. Die erſte Epoche geht bis 1833 und erlaubt gegen Autoriſation

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/133>, abgerufen am 24.11.2024.