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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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Berufsbildung, schon die Volksschule ist ihrer höheren Funktion nach
eine Staatserziehungsanstalt. Dieser Gedanke, schon im vorigen
Jahrhundert ausgesprochen, kommt nun in den ersten Decennien unsers
Jahrhunderts zum Ausdruck. Jetzt erst beginnt die praktische Bedeutung
der Volksschule klar zu werden. Der alte Standpunkt der Polizei-
wissenschaft und der bloßen staatlichen Oberaufsicht wird überwunden;
das ganze Gebiet der Volksbildung geht jetzt in die Lehre vom Staate
über; es wird, wie einst bei den griechischen Philosophen, ein Theil der
Politik; das Volksschulwesen ist, wenn auch zunächst nur im Princip,
zu einem Theile der Staatswissenschaft geworden.

III. An diese abstrakte Bewegung schlie t sich nun eine concrete
in demselben Geiste an. Ist die Volksschule das, was jene fordert,
so muß sie auch eine neue, freie Organisation haben. Die Grundlage
dieser Organisation muß zunächst die öffentliche Achtung des Lehrer-
standes werden. Eine solche Achtung beruht allerdings zunächst auf
der Selbstachtung, die aus dem Bewußtsein von dem hohen sittlichen
und staatlichen Berufe hervorgeht, und die aus den einzelnen Lehrern
einen Lehrer stand erzeugt. Allein dieser Lehrerstand will, einmal durch
die Pädagogik zum Bewußtsein gebracht, nun auch die äußere An-
erkennung. Mit dieser Forderung beginnt nun ein eigenthümlicher
Kampf, der nur indirekt der Volksschule, direkt aber dem Lehrer-
stande
angehört. Die Berufsgenossenschaft, einmal entstanden, fordert
für die Volksschule das, wodurch die Berufsbildungsanstalten so glän-
zend dastehen, wodurch sie am meisten wirken. Sie will zuerst die
Unabhängigkeit des einzelnen Lehrers von der bisherigen Gewalt der
Grundherrlichkeit, also Aufnahme in die Gemeindeverwaltung und Be-
soldung durch die Gemeinde, kurz den Charakter eines öffentlichen
Amtes; sie will zweitens eine berufsmäßige Vorbildung, also die Ein-
richtung von Lehrerseminarien; sie will drittens eine den höheren
Bildungsanstalten nachgebildete Selbstverwaltung des Schulwesens,
namentlich durch Lehrkörper für die einzelnen Schulen, und Lehrer-
versammlungen
für das gesammte Schulwesen. Diesen Forderungen
entgegen tritt nun aber die noch historisch berechtigte Grundherrlichkeit
und die Geistlichkeit; die Unselbständigkeit und Gleichgültigkeit der Ge-
meinden kommt dem Lehrerberufe nur wenig zu Hülfe, namentlich in
dem in Deutschland noch immer in den Händen des Gutsherren befind-
lichen Schulwesen des Landes, während die Städte allerdings vielfach
die Volksschule freier auffassen; selbst die Volksvertretungen haben
eine Zeitlang noch nicht die geistige Kraft, jenes hohe ethische Element
im Volksschullehrerwesen zu verstehen. Und so bewegen sich diese
Elemente hin und her, allein schon in den dreißiger Jahren ist der

Berufsbildung, ſchon die Volksſchule iſt ihrer höheren Funktion nach
eine Staatserziehungsanſtalt. Dieſer Gedanke, ſchon im vorigen
Jahrhundert ausgeſprochen, kommt nun in den erſten Decennien unſers
Jahrhunderts zum Ausdruck. Jetzt erſt beginnt die praktiſche Bedeutung
der Volksſchule klar zu werden. Der alte Standpunkt der Polizei-
wiſſenſchaft und der bloßen ſtaatlichen Oberaufſicht wird überwunden;
das ganze Gebiet der Volksbildung geht jetzt in die Lehre vom Staate
über; es wird, wie einſt bei den griechiſchen Philoſophen, ein Theil der
Politik; das Volksſchulweſen iſt, wenn auch zunächſt nur im Princip,
zu einem Theile der Staatswiſſenſchaft geworden.

III. An dieſe abſtrakte Bewegung ſchlie t ſich nun eine concrete
in demſelben Geiſte an. Iſt die Volksſchule das, was jene fordert,
ſo muß ſie auch eine neue, freie Organiſation haben. Die Grundlage
dieſer Organiſation muß zunächſt die öffentliche Achtung des Lehrer-
ſtandes werden. Eine ſolche Achtung beruht allerdings zunächſt auf
der Selbſtachtung, die aus dem Bewußtſein von dem hohen ſittlichen
und ſtaatlichen Berufe hervorgeht, und die aus den einzelnen Lehrern
einen Lehrer ſtand erzeugt. Allein dieſer Lehrerſtand will, einmal durch
die Pädagogik zum Bewußtſein gebracht, nun auch die äußere An-
erkennung. Mit dieſer Forderung beginnt nun ein eigenthümlicher
Kampf, der nur indirekt der Volksſchule, direkt aber dem Lehrer-
ſtande
angehört. Die Berufsgenoſſenſchaft, einmal entſtanden, fordert
für die Volksſchule das, wodurch die Berufsbildungsanſtalten ſo glän-
zend daſtehen, wodurch ſie am meiſten wirken. Sie will zuerſt die
Unabhängigkeit des einzelnen Lehrers von der bisherigen Gewalt der
Grundherrlichkeit, alſo Aufnahme in die Gemeindeverwaltung und Be-
ſoldung durch die Gemeinde, kurz den Charakter eines öffentlichen
Amtes; ſie will zweitens eine berufsmäßige Vorbildung, alſo die Ein-
richtung von Lehrerſeminarien; ſie will drittens eine den höheren
Bildungsanſtalten nachgebildete Selbſtverwaltung des Schulweſens,
namentlich durch Lehrkörper für die einzelnen Schulen, und Lehrer-
verſammlungen
für das geſammte Schulweſen. Dieſen Forderungen
entgegen tritt nun aber die noch hiſtoriſch berechtigte Grundherrlichkeit
und die Geiſtlichkeit; die Unſelbſtändigkeit und Gleichgültigkeit der Ge-
meinden kommt dem Lehrerberufe nur wenig zu Hülfe, namentlich in
dem in Deutſchland noch immer in den Händen des Gutsherren befind-
lichen Schulweſen des Landes, während die Städte allerdings vielfach
die Volksſchule freier auffaſſen; ſelbſt die Volksvertretungen haben
eine Zeitlang noch nicht die geiſtige Kraft, jenes hohe ethiſche Element
im Volksſchullehrerweſen zu verſtehen. Und ſo bewegen ſich dieſe
Elemente hin und her, allein ſchon in den dreißiger Jahren iſt der

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[85/0113] Berufsbildung, ſchon die Volksſchule iſt ihrer höheren Funktion nach eine Staatserziehungsanſtalt. Dieſer Gedanke, ſchon im vorigen Jahrhundert ausgeſprochen, kommt nun in den erſten Decennien unſers Jahrhunderts zum Ausdruck. Jetzt erſt beginnt die praktiſche Bedeutung der Volksſchule klar zu werden. Der alte Standpunkt der Polizei- wiſſenſchaft und der bloßen ſtaatlichen Oberaufſicht wird überwunden; das ganze Gebiet der Volksbildung geht jetzt in die Lehre vom Staate über; es wird, wie einſt bei den griechiſchen Philoſophen, ein Theil der Politik; das Volksſchulweſen iſt, wenn auch zunächſt nur im Princip, zu einem Theile der Staatswiſſenſchaft geworden. III. An dieſe abſtrakte Bewegung ſchlie t ſich nun eine concrete in demſelben Geiſte an. Iſt die Volksſchule das, was jene fordert, ſo muß ſie auch eine neue, freie Organiſation haben. Die Grundlage dieſer Organiſation muß zunächſt die öffentliche Achtung des Lehrer- ſtandes werden. Eine ſolche Achtung beruht allerdings zunächſt auf der Selbſtachtung, die aus dem Bewußtſein von dem hohen ſittlichen und ſtaatlichen Berufe hervorgeht, und die aus den einzelnen Lehrern einen Lehrer ſtand erzeugt. Allein dieſer Lehrerſtand will, einmal durch die Pädagogik zum Bewußtſein gebracht, nun auch die äußere An- erkennung. Mit dieſer Forderung beginnt nun ein eigenthümlicher Kampf, der nur indirekt der Volksſchule, direkt aber dem Lehrer- ſtande angehört. Die Berufsgenoſſenſchaft, einmal entſtanden, fordert für die Volksſchule das, wodurch die Berufsbildungsanſtalten ſo glän- zend daſtehen, wodurch ſie am meiſten wirken. Sie will zuerſt die Unabhängigkeit des einzelnen Lehrers von der bisherigen Gewalt der Grundherrlichkeit, alſo Aufnahme in die Gemeindeverwaltung und Be- ſoldung durch die Gemeinde, kurz den Charakter eines öffentlichen Amtes; ſie will zweitens eine berufsmäßige Vorbildung, alſo die Ein- richtung von Lehrerſeminarien; ſie will drittens eine den höheren Bildungsanſtalten nachgebildete Selbſtverwaltung des Schulweſens, namentlich durch Lehrkörper für die einzelnen Schulen, und Lehrer- verſammlungen für das geſammte Schulweſen. Dieſen Forderungen entgegen tritt nun aber die noch hiſtoriſch berechtigte Grundherrlichkeit und die Geiſtlichkeit; die Unſelbſtändigkeit und Gleichgültigkeit der Ge- meinden kommt dem Lehrerberufe nur wenig zu Hülfe, namentlich in dem in Deutſchland noch immer in den Händen des Gutsherren befind- lichen Schulweſen des Landes, während die Städte allerdings vielfach die Volksſchule freier auffaſſen; ſelbſt die Volksvertretungen haben eine Zeitlang noch nicht die geiſtige Kraft, jenes hohe ethiſche Element im Volksſchullehrerweſen zu verſtehen. Und ſo bewegen ſich dieſe Elemente hin und her, allein ſchon in den dreißiger Jahren iſt der

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/113>, abgerufen am 28.04.2024.