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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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deutschen Literatur wenig bekannt, dennoch sehr wichtig, weil es eben
durch diese Aufstellung eines selbständigen Polizeistrafrechts den Anlaß
zu der Frage gab, ob und wie weit die Elemente des allgemeinen
Theils des peinlichen Strafrechts auf die Verwaltungsstrafen anzuwen-
den seien. Und auf diesem Gebiet liegt nun der Standpunkt für
das, was die beiden andern Polizeistrafgesetzbücher geleistet haben.

Das erste ihm folgende ist das bayerische von 1861. Wir
können uns der Ueberzeugung nicht verschließen, daß durch dieß Gesetz-
buch und vielleicht noch mehr durch die Verhandlungen über dasselbe
die Bahn für eine neue selbständige Behandlung des Verwaltungsstraf-
rechts gebrochen ist. In der That ist es das erste, welches die Frage
nach dem organischen Inhalt des Polizeistrafrechts zuerst gründlich
angeregt, und ein festes System für das Recht der Polizeiverfügung
aufgestellt hat. Die Grundlagen dieses Systems sind: I. Bestimmung
der Competenz zum Erlaß ortspolizeilicher und distriktspolizeilicher
Vorschriften (Art. 32--36). II. Competenz zum Erlaß von strafpolizei-
lichen
Vorschriften ohne spezielle Ermächtigung durch ein Gesetz, nur
als königliche Verordnung, mit Polizeistrafen von 10--100 fl. (Art. 38).
III. Die erste Anwendung der Grundbegriffe des allgemeinen Theils
des peinlichen Strafrechts auf das Polizeistrafrecht. Der Mangel in
diesem sonst trefflichen Gesetze scheint in dem Fehlen einer allgemeinen
Ordnungsstrafe zu bestehen, das nicht durch die allgemeine Verweisung
auf das (peinliche) Strafgesetzbuch in Art. 31. ersetzt wird. Für die
frühere Geschichte und die speziellen Motive siehe Edels gründlichen
Bericht a. a. O. Auf den Schultern dieses Gesetzes steht das neueste
badische vom 31. Oktober 1863. Auch dieß Gesetz hat zunächst zur
Aufgabe, das Verwaltungsstrafrecht zu einer selbständigen Gesetzgebung
zu machen; zugleich aber dasselbe durch innige Verbindung mit den
Grundbegriffen des peinlichen Strafrechts zu einem auch wissenschaftlichen
System zu erheben. Es enthält fast dieselben Elemente, wie das baye-
rische; einen "allgemeinen Theil" mit den Begriffen von That, Versuch,
Verjährung u. s. w. und einen speziellen mit den einzelnen Strafbe-
stimmungen. Nur ist es mit, wir möchten sagen mehr Bewußtsein
über Wesen und Stellung des Polizeistrafrechts entworfen, indem es
speziell noch die neben seinen Bestimmungen geltenden Verwaltungs-
strafgesetze aufnimmt, und dadurch dasjenige begründet, was als der
wahre Abschluß dieser ganzen Bewegung angesehen werden muß, die
Aufstellung eines vollständigen Verwaltungsstrafgesetzes
neben dem peinlichen Strafgesetz
, so daß das eigentlich soge-
nannte Polizeistrafgesetz hier selbst wieder nur als ein Theil des Ver-
waltungsstrafrechts angesehen wird. Wir sind überzeugt, daß damit

deutſchen Literatur wenig bekannt, dennoch ſehr wichtig, weil es eben
durch dieſe Aufſtellung eines ſelbſtändigen Polizeiſtrafrechts den Anlaß
zu der Frage gab, ob und wie weit die Elemente des allgemeinen
Theils des peinlichen Strafrechts auf die Verwaltungsſtrafen anzuwen-
den ſeien. Und auf dieſem Gebiet liegt nun der Standpunkt für
das, was die beiden andern Polizeiſtrafgeſetzbücher geleiſtet haben.

Das erſte ihm folgende iſt das bayeriſche von 1861. Wir
können uns der Ueberzeugung nicht verſchließen, daß durch dieß Geſetz-
buch und vielleicht noch mehr durch die Verhandlungen über daſſelbe
die Bahn für eine neue ſelbſtändige Behandlung des Verwaltungsſtraf-
rechts gebrochen iſt. In der That iſt es das erſte, welches die Frage
nach dem organiſchen Inhalt des Polizeiſtrafrechts zuerſt gründlich
angeregt, und ein feſtes Syſtem für das Recht der Polizeiverfügung
aufgeſtellt hat. Die Grundlagen dieſes Syſtems ſind: I. Beſtimmung
der Competenz zum Erlaß ortspolizeilicher und diſtriktspolizeilicher
Vorſchriften (Art. 32—36). II. Competenz zum Erlaß von ſtrafpolizei-
lichen
Vorſchriften ohne ſpezielle Ermächtigung durch ein Geſetz, nur
als königliche Verordnung, mit Polizeiſtrafen von 10—100 fl. (Art. 38).
III. Die erſte Anwendung der Grundbegriffe des allgemeinen Theils
des peinlichen Strafrechts auf das Polizeiſtrafrecht. Der Mangel in
dieſem ſonſt trefflichen Geſetze ſcheint in dem Fehlen einer allgemeinen
Ordnungsſtrafe zu beſtehen, das nicht durch die allgemeine Verweiſung
auf das (peinliche) Strafgeſetzbuch in Art. 31. erſetzt wird. Für die
frühere Geſchichte und die ſpeziellen Motive ſiehe Edels gründlichen
Bericht a. a. O. Auf den Schultern dieſes Geſetzes ſteht das neueſte
badiſche vom 31. Oktober 1863. Auch dieß Geſetz hat zunächſt zur
Aufgabe, das Verwaltungsſtrafrecht zu einer ſelbſtändigen Geſetzgebung
zu machen; zugleich aber daſſelbe durch innige Verbindung mit den
Grundbegriffen des peinlichen Strafrechts zu einem auch wiſſenſchaftlichen
Syſtem zu erheben. Es enthält faſt dieſelben Elemente, wie das baye-
riſche; einen „allgemeinen Theil“ mit den Begriffen von That, Verſuch,
Verjährung u. ſ. w. und einen ſpeziellen mit den einzelnen Strafbe-
ſtimmungen. Nur iſt es mit, wir möchten ſagen mehr Bewußtſein
über Weſen und Stellung des Polizeiſtrafrechts entworfen, indem es
ſpeziell noch die neben ſeinen Beſtimmungen geltenden Verwaltungs-
ſtrafgeſetze aufnimmt, und dadurch dasjenige begründet, was als der
wahre Abſchluß dieſer ganzen Bewegung angeſehen werden muß, die
Aufſtellung eines vollſtändigen Verwaltungsſtrafgeſetzes
neben dem peinlichen Strafgeſetz
, ſo daß das eigentlich ſoge-
nannte Polizeiſtrafgeſetz hier ſelbſt wieder nur als ein Theil des Ver-
waltungsſtrafrechts angeſehen wird. Wir ſind überzeugt, daß damit

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[43/0065] deutſchen Literatur wenig bekannt, dennoch ſehr wichtig, weil es eben durch dieſe Aufſtellung eines ſelbſtändigen Polizeiſtrafrechts den Anlaß zu der Frage gab, ob und wie weit die Elemente des allgemeinen Theils des peinlichen Strafrechts auf die Verwaltungsſtrafen anzuwen- den ſeien. Und auf dieſem Gebiet liegt nun der Standpunkt für das, was die beiden andern Polizeiſtrafgeſetzbücher geleiſtet haben. Das erſte ihm folgende iſt das bayeriſche von 1861. Wir können uns der Ueberzeugung nicht verſchließen, daß durch dieß Geſetz- buch und vielleicht noch mehr durch die Verhandlungen über daſſelbe die Bahn für eine neue ſelbſtändige Behandlung des Verwaltungsſtraf- rechts gebrochen iſt. In der That iſt es das erſte, welches die Frage nach dem organiſchen Inhalt des Polizeiſtrafrechts zuerſt gründlich angeregt, und ein feſtes Syſtem für das Recht der Polizeiverfügung aufgeſtellt hat. Die Grundlagen dieſes Syſtems ſind: I. Beſtimmung der Competenz zum Erlaß ortspolizeilicher und diſtriktspolizeilicher Vorſchriften (Art. 32—36). II. Competenz zum Erlaß von ſtrafpolizei- lichen Vorſchriften ohne ſpezielle Ermächtigung durch ein Geſetz, nur als königliche Verordnung, mit Polizeiſtrafen von 10—100 fl. (Art. 38). III. Die erſte Anwendung der Grundbegriffe des allgemeinen Theils des peinlichen Strafrechts auf das Polizeiſtrafrecht. Der Mangel in dieſem ſonſt trefflichen Geſetze ſcheint in dem Fehlen einer allgemeinen Ordnungsſtrafe zu beſtehen, das nicht durch die allgemeine Verweiſung auf das (peinliche) Strafgeſetzbuch in Art. 31. erſetzt wird. Für die frühere Geſchichte und die ſpeziellen Motive ſiehe Edels gründlichen Bericht a. a. O. Auf den Schultern dieſes Geſetzes ſteht das neueſte badiſche vom 31. Oktober 1863. Auch dieß Geſetz hat zunächſt zur Aufgabe, das Verwaltungsſtrafrecht zu einer ſelbſtändigen Geſetzgebung zu machen; zugleich aber daſſelbe durch innige Verbindung mit den Grundbegriffen des peinlichen Strafrechts zu einem auch wiſſenſchaftlichen Syſtem zu erheben. Es enthält faſt dieſelben Elemente, wie das baye- riſche; einen „allgemeinen Theil“ mit den Begriffen von That, Verſuch, Verjährung u. ſ. w. und einen ſpeziellen mit den einzelnen Strafbe- ſtimmungen. Nur iſt es mit, wir möchten ſagen mehr Bewußtſein über Weſen und Stellung des Polizeiſtrafrechts entworfen, indem es ſpeziell noch die neben ſeinen Beſtimmungen geltenden Verwaltungs- ſtrafgeſetze aufnimmt, und dadurch dasjenige begründet, was als der wahre Abſchluß dieſer ganzen Bewegung angeſehen werden muß, die Aufſtellung eines vollſtändigen Verwaltungsſtrafgeſetzes neben dem peinlichen Strafgeſetz, ſo daß das eigentlich ſoge- nannte Polizeiſtrafgeſetz hier ſelbſt wieder nur als ein Theil des Ver- waltungsſtrafrechts angeſehen wird. Wir ſind überzeugt, daß damit

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/65>, abgerufen am 25.11.2024.