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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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etre poursuivis pour des faits relatifs a leur fonctions qu'en vertu
d'une decision du Conseil d'Etat."
Diese Autorisation des Staats-
raths ist daher die eigentliche Grundlage des Systems der Haftung;
wird sie nicht ertheilt, so folgt allerdings noch nicht, daß das Voll-
zugsorgan ohne Strafe innerhalb der Disciplin bleibe, wohl aber, daß
das Klagrecht ausgeschlossen ist. Der Conseil d'Etat entscheidet
daher, ob eine Uebertretung der Vollzugsvorschrift stattgefunden habe
oder nicht, so daß das Verfahren vor dem Conseil d'Etat das eigent-
liche Beschwerdeverfahren ist, während das Klagrecht oder die Ver-
folgung der Haftung vor dem ordentlichen Gericht nur sehr selten zur
Ausübung kommt. Der eigenthümliche Charakter des ganzen Verwal-
tungsrechts und seine scharfe, eben so sehr historische als principielle
Scheidung vom Gerichte, den wir in der Lehre von der vollziehenden
Gewalt dargelegt haben, kommt hier in schlagender Form wieder zur
Erscheinung. Bei aller scheinbaren Freiheit des öffentlichen Rechts
Frankreichs hat dasselbe sich niemals dazu verstehen können, das Ver-
waltungsrecht und die Stellung der Beamteten als eine dem bürger-
lichen Recht gleichstehende Rechtsbildung anzuerkennen, und die Be-
amteten dem letzteren zu unterwerfen. Das Klagrecht des Code Penal
gegen die violences des fonctionnaire und die Art. 485. 486. des Code
d'Instr. Crim.
sind daher in der That eine leere Fiktion, und werden
effektiv fast nie als bei gemeinen Verbrechen ausgeübt, während bei
Rechtsverletzungen durch die Vollziehung grade das Beschwerderecht das
einzig wirklich praktische Mittel ist.

Da nun aber trotzdem der Code Penal mit seinen Vorschriften be-
steht, so hat sich aus dem oben bezeichneten Gegensatze desselben zu der
Verfassung des Jahres VIII eine vollständige Jurisprudenz entwickelt,
deren einzelne Sätze meistens durch Entscheidungen des Cassationshofes
zu anerkanntem öffentlichem Recht geworden sind. Die darauf bezüg-
lichen, geltenden Normen scheiden sich in zwei Gruppen.

Zuerst ist durch eine Reihe von Entscheidungen festgestellt, daß
für gewisse Kategorien von Beamten eine Zustimmung des Conseil
d'Etat
zur gerichtlichen Verfolgung überhaupt, also auch zum Klag-
recht wegen Vollzugshandlungen, nicht erforderlich ist. Jedoch sind dieß
nur Steuerbeamtete wegen Rechnungsmängel, und die Mitglieder der
verschiedenen Conseils, Greffiers und andere, die eigentlich gar keine
Beamteten sind.

Zweitens ist jene Verpflichtung, die Erlaubniß zur klagrechtlichen
Verfolgung des Beamteten wegen seiner amtlichen Akte nachzusuchen,
so weit ausgedehnt, daß in der That die letzte Illusion über die
Beseitigung desselben bei jedem andern als dem gemeinen Verbrechen

être poursuivis pour des faits rélatifs à leur fonctions qu’en vertu
d’une décision du Conseil d’État.“
Dieſe Autoriſation des Staats-
raths iſt daher die eigentliche Grundlage des Syſtems der Haftung;
wird ſie nicht ertheilt, ſo folgt allerdings noch nicht, daß das Voll-
zugsorgan ohne Strafe innerhalb der Disciplin bleibe, wohl aber, daß
das Klagrecht ausgeſchloſſen iſt. Der Conseil d’État entſcheidet
daher, ob eine Uebertretung der Vollzugsvorſchrift ſtattgefunden habe
oder nicht, ſo daß das Verfahren vor dem Conseil d’État das eigent-
liche Beſchwerdeverfahren iſt, während das Klagrecht oder die Ver-
folgung der Haftung vor dem ordentlichen Gericht nur ſehr ſelten zur
Ausübung kommt. Der eigenthümliche Charakter des ganzen Verwal-
tungsrechts und ſeine ſcharfe, eben ſo ſehr hiſtoriſche als principielle
Scheidung vom Gerichte, den wir in der Lehre von der vollziehenden
Gewalt dargelegt haben, kommt hier in ſchlagender Form wieder zur
Erſcheinung. Bei aller ſcheinbaren Freiheit des öffentlichen Rechts
Frankreichs hat daſſelbe ſich niemals dazu verſtehen können, das Ver-
waltungsrecht und die Stellung der Beamteten als eine dem bürger-
lichen Recht gleichſtehende Rechtsbildung anzuerkennen, und die Be-
amteten dem letzteren zu unterwerfen. Das Klagrecht des Code Pénal
gegen die violences des fonctionnaire und die Art. 485. 486. des Code
d’Instr. Crim.
ſind daher in der That eine leere Fiktion, und werden
effektiv faſt nie als bei gemeinen Verbrechen ausgeübt, während bei
Rechtsverletzungen durch die Vollziehung grade das Beſchwerderecht das
einzig wirklich praktiſche Mittel iſt.

Da nun aber trotzdem der Code Pénal mit ſeinen Vorſchriften be-
ſteht, ſo hat ſich aus dem oben bezeichneten Gegenſatze deſſelben zu der
Verfaſſung des Jahres VIII eine vollſtändige Jurisprudenz entwickelt,
deren einzelne Sätze meiſtens durch Entſcheidungen des Caſſationshofes
zu anerkanntem öffentlichem Recht geworden ſind. Die darauf bezüg-
lichen, geltenden Normen ſcheiden ſich in zwei Gruppen.

Zuerſt iſt durch eine Reihe von Entſcheidungen feſtgeſtellt, daß
für gewiſſe Kategorien von Beamten eine Zuſtimmung des Conseil
d’État
zur gerichtlichen Verfolgung überhaupt, alſo auch zum Klag-
recht wegen Vollzugshandlungen, nicht erforderlich iſt. Jedoch ſind dieß
nur Steuerbeamtete wegen Rechnungsmängel, und die Mitglieder der
verſchiedenen Conſeils, Greffiers und andere, die eigentlich gar keine
Beamteten ſind.

Zweitens iſt jene Verpflichtung, die Erlaubniß zur klagrechtlichen
Verfolgung des Beamteten wegen ſeiner amtlichen Akte nachzuſuchen,
ſo weit ausgedehnt, daß in der That die letzte Illuſion über die
Beſeitigung deſſelben bei jedem andern als dem gemeinen Verbrechen

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[85/0107] être poursuivis pour des faits rélatifs à leur fonctions qu’en vertu d’une décision du Conseil d’État.“ Dieſe Autoriſation des Staats- raths iſt daher die eigentliche Grundlage des Syſtems der Haftung; wird ſie nicht ertheilt, ſo folgt allerdings noch nicht, daß das Voll- zugsorgan ohne Strafe innerhalb der Disciplin bleibe, wohl aber, daß das Klagrecht ausgeſchloſſen iſt. Der Conseil d’État entſcheidet daher, ob eine Uebertretung der Vollzugsvorſchrift ſtattgefunden habe oder nicht, ſo daß das Verfahren vor dem Conseil d’État das eigent- liche Beſchwerdeverfahren iſt, während das Klagrecht oder die Ver- folgung der Haftung vor dem ordentlichen Gericht nur ſehr ſelten zur Ausübung kommt. Der eigenthümliche Charakter des ganzen Verwal- tungsrechts und ſeine ſcharfe, eben ſo ſehr hiſtoriſche als principielle Scheidung vom Gerichte, den wir in der Lehre von der vollziehenden Gewalt dargelegt haben, kommt hier in ſchlagender Form wieder zur Erſcheinung. Bei aller ſcheinbaren Freiheit des öffentlichen Rechts Frankreichs hat daſſelbe ſich niemals dazu verſtehen können, das Ver- waltungsrecht und die Stellung der Beamteten als eine dem bürger- lichen Recht gleichſtehende Rechtsbildung anzuerkennen, und die Be- amteten dem letzteren zu unterwerfen. Das Klagrecht des Code Pénal gegen die violences des fonctionnaire und die Art. 485. 486. des Code d’Instr. Crim. ſind daher in der That eine leere Fiktion, und werden effektiv faſt nie als bei gemeinen Verbrechen ausgeübt, während bei Rechtsverletzungen durch die Vollziehung grade das Beſchwerderecht das einzig wirklich praktiſche Mittel iſt. Da nun aber trotzdem der Code Pénal mit ſeinen Vorſchriften be- ſteht, ſo hat ſich aus dem oben bezeichneten Gegenſatze deſſelben zu der Verfaſſung des Jahres VIII eine vollſtändige Jurisprudenz entwickelt, deren einzelne Sätze meiſtens durch Entſcheidungen des Caſſationshofes zu anerkanntem öffentlichem Recht geworden ſind. Die darauf bezüg- lichen, geltenden Normen ſcheiden ſich in zwei Gruppen. Zuerſt iſt durch eine Reihe von Entſcheidungen feſtgeſtellt, daß für gewiſſe Kategorien von Beamten eine Zuſtimmung des Conseil d’État zur gerichtlichen Verfolgung überhaupt, alſo auch zum Klag- recht wegen Vollzugshandlungen, nicht erforderlich iſt. Jedoch ſind dieß nur Steuerbeamtete wegen Rechnungsmängel, und die Mitglieder der verſchiedenen Conſeils, Greffiers und andere, die eigentlich gar keine Beamteten ſind. Zweitens iſt jene Verpflichtung, die Erlaubniß zur klagrechtlichen Verfolgung des Beamteten wegen ſeiner amtlichen Akte nachzuſuchen, ſo weit ausgedehnt, daß in der That die letzte Illuſion über die Beſeitigung deſſelben bei jedem andern als dem gemeinen Verbrechen

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/107>, abgerufen am 06.05.2024.